Digital ist besser und längst überfällig

Deutsche Verwaltungen hängen bei digitalen Angeboten hinterher – das sollte sich ändern.

Beispielsweise die Lebenslage Geburt: Ist das Kind auf der Welt, fangen die Behördengänge an. Für die Geburtsurkunde, fürs Kindergeld oder fürs Elterngeld müssen die zuständigen Ämter gefunden, Formulare besorgt und ausgefüllt, Nachfragen gestellt, Unterschriften geleistet und am Ende auch noch die Personenidentität festgestellt werden. Während Windeln, Spielzeug, Strampler und die Gute-Nacht-Geschichte online bestellt werden können, laufen die meisten Behördengänge in dieser Lebenslage wie vor 50 Jahren ab – nämlich offline – mit Papier, Stift und langen Wartezeiten auf dem Amt.

Nutzung von digitalen Angeboten ist rückläufig, das Interesse aber groß

Ein Blick in den aktuellen eGovernment-Monitor zeigt, dass die Nutzung von digitalen Verwaltungsangeboten in Deutschland rückläufig ist. Das Interesse an Online-Lösungen ist aber groß. Unsere Verwaltungen hinken in Bezug auf die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen an der Schnittstelle zu Bürgern und Unternehmen drastisch hinterher. Im Nachbarland Österreich sieht es ganz anders aus – hier steigt die Nutzung digitaler Angebote. Das Onlineangebot stellt zumeist den Standard in der Kommunikation und Interaktion mit den Behörden dar.

Viele nutzen den Weg, den sie kennen – zur Behörde

Woran liegt das? Bleiben wir bei unserem Beispiel, der Lebenslage Geburt. In dieser Lebenslage müssen viele Verwaltungsleistungen in Anspruch genommen werden – nicht nur eine.

Wenn die Bürger nicht wissen, welche Einzelleistungen digital oder analog bereitgestellt werden, dann suchen und finden sie die digitalen Angebote unter Umständen nicht. Solange die Bürger auswählen müssen, wie sie mit der Verwaltung in einer Lebens- oder Unternehmenslage interagieren können oder wollen, werden sie sich für einen Weg entscheiden – und das ist in der Regel der analoge. Auch wenn die Bürger auf einer Behördenplattform ein Formular zu 90 Prozent online ausfüllen können, für die Unterschrift aber persönlich aufs Amt müssen, dann stellt dieser Medienbruch ein grundlegendes Akzeptanzproblem für das gesamte Onlineangebot dar.

„Digital by default“ ist der wichtigste Lösungsansatz

Will Deutschland beim Thema E-Government einen großen Schritt nach vorn gehen, sind durchgängige Lösungen unerlässlich. Das heißt eine Lebenslage sollte komplett digitalisiert werden, nicht nur Einzelleistungen. Digital-by-default würde dabei helfen. Digital-by-default bedeutet, dass der Online-Kanal der Standard in der Kommunikation und Interaktion mit der Verwaltung ist. Für Bürger oder Unternehmer, die den Online-Kanal nicht nutzen können oder wollen, sollten Assistenzsysteme bereitgestellt werden, um ihnen den gleichen Zugang zu bieten.

Künstliche Intelligenz ist das Mittel der Wahl

Die Technik dafür ist da – sowohl für eine schnelle Digitalisierung als auch für die benötigten Assistenzsysteme. Zur Technik gehört Robotic Process Automation in unterschiedlichen Ausbaustufen: Etwa als einfache Prozessautomatisierung, wie wir sie zum Beispiel bei der E-Akte schon kennen. RPA wird aber vor allem wertvoll für die Verwaltung im Bereich der erweiterten Prozessautomatisierung. Denn die ermöglicht es, in Interaktion mit den Nutzern zu treten, ohne aufwendig neue Fachverfahren oder Schnittstellen anpassen zu müssen. Bots können in diesen Bereichen die Arbeit übernehmen: Sie können Antworten auf Fragen geben, auch am Sonntag um 23:35 Uhr – das schafft bisher keine Servicehotline. Und sie können unstrukturierte Daten aus E-Mails, gescannten Dokumenten, Kommentarfeldern der Kontaktformulare filtern und Vorgängen zuweisen. Assistenzsysteme helfen beim Ausfüllen der teilweise doch recht komplizierten Formulare. Das neue Bürgerkonto, das die Bundesregierung gegenwärtig realisiert, erleichtert die Authentifizierung. Bots sind gegenwärtig unsere stärksten Verbündeten bei der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen.

Deutschland nutzt den Werkzeugkoffer der modernen Technologien zu wenig

Obwohl das Thema politisch längst erkannt wurde, lässt der große Digitalwurf weiter auf sich warten. Nach wie vor konzentrieren sich die Verwaltungen darauf, Leuchttürme zu bauen. Es werden Einzelleistungen digitalisiert – und diese noch nicht einmal vollständig. Und jedes Bundesland baut seine eigene Lösung. Digital-by-default, das in England und vielen anderen Staaten beschlossen und umgesetzt wird, wird in Deutschland nicht flächendeckend diskutiert. Kritik, dass dadurch Gruppen wie etwa sehbehinderte oder hörgeschädigte Menschen diskriminiert und ausgeschlossen werden, verfängt nicht. Mit entsprechenden Assistenzsystemen können sie an den Angeboten partizipieren.

Das kann verbessert werden

Ich sehe diese Optimierungspotenziale, dass Thema weiter voranzubringen und einen Bewusstseinswandel zu schaffen.

  1. Die Digitalisierung sollte wirklich zur Chefsache werden. Das trifft sowohl auf die Politik, als auch auf die Wirtschaft zu. Zwar gibt es immer wieder politische Willensbekundungen, doch insgesamt wird an vielen Stellen gleichzeitig und doppelt gearbeitet. Mit dem Umsetzungsprogramm zum Onlinezugangsverbesserungsgesetz ist ein wichtiger Schritt nach vorn unternommen.
  2. Auch die Wirtschaft kann hier ein Zeichen setzen – wenn etwa die Vorstände der Dax-30-Unternehmen sich stark machen für digitalisierte Verwaltungsangebote. Politik und Wirtschaft könnten etwa einen Digitalisierungspakt schließen mit dem klaren Ziel, Deutschland voranzubringen.
  3. Technologie-Kenntnisse verbessern. Hier gibt es in vielen Verwaltungen noch große Wissenslücken, welche Techniken es gibt und wofür sie eingesetzt werden können. Das trifft vor allem auf künstliche Intelligenz und RPA zu. Wenn die Digitalisierung vorangetrieben werden soll, dann sollten diese Wissenslücken geschlossen werden. Schulungen sind hier eine Möglichkeit. Gemeinsame neue Formen der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft eine andere.

Fazit: Schritt nach vorne ist möglich und längst überfällig

Das Interesse der Deutschen an digitalen Angeboten ist da, die Nutzerkompetenz auch, die Technik ebenfalls. Die Grundvoraussetzungen stimmen also. Wenn sich nun die strategische Grundausrichtung ändert, das Thema noch stärker in den Fokus der Chefetagen rückt und die modernen neuen Technologien flächendeckend genutzt werden – dann gibt es eine echte Chance, dass die Digitalisierung einen großen Schritt nach vorne machen kann. Er wäre längst überfällig.