ESMA-Leitlinien zu Offenlegungspflichten nach der Prospektverordnung

Neuerungen der ESMA-Leitlinien am Beispiel des Capitalisation und des Indebtedness Table

Die European Securities and Market Authority (ESMA) veröffentlichte am 15. Juli 2020 den finalen Entwurf der „ESMA Guidelines on disclosure requirements under the Prospectus Regulation”. Diese neuen ESMA-Leitlinien zu Offenlegungspflichten nach der Prospektverordnung ersetzen nunmehr die Empfehlungen zum alten Prospektrecht, die in 2005 von der CESR veröffentlicht wurden. Offiziell in Kraft getreten sind die neuen Leitlinien mit Veröffentlichung in allen EU-Landessprachen am 4. März 2021. Gleichwohl hat die BaFin in der Zwischenzeit die aktualisierten Grundsätze in aktuellen Projekten bereits angewendet und verwies dabei auf die neuen Leitlinien. Anlass genug, um sich in diesem Blog-Artikel die Änderungen zu den Angaben zur Kapitalisierung und Verschuldung, der sogennanten Capitalisation und Indebtedness Table näher anzusehen.

Hintergrund der neuen ESMA Guidelines

Die Überarbeitung der CESR Recommendations als auch der ESMA Questions & Answers waren mit den Änderungen in der neuen EU-Prospektverordnung ab Juli 2019 überfällig. Über unsere ersten Erfahrungen mit der neuen EU-Prospektverordnung haben wir bereits an anderer Stelle berichtet. Nun liegen die aktualisierten ESMA-Leitlinien zu Offenlegungspflichten nach der Prospektverordnung in ihrer finalen Fassung vor, sodass auch hier eine erste Einschätzung möglich ist.

Wenngleich sich die ESMA-Leitlinien inhaltlich an den vormaligen CESR-Empfehlungen orientieren, gibt es umfangreiche Änderungen und Klarstellungen. Diese betreffen insbesondere die Pro-Forma-Finanzinformationen, die Gewinnprognosen und das Working Capital Statement sowie die hier im Folgenden näher ausgeführten Capitalisation und Indebtedness Table.

Unsere Erfahrungen mit ausgewählten wesentlichen Änderungen bezüglich Capitalisation und Indebtedness Table

Auf den ersten Blick fällt auf, dass es mehr Guidance für den Emittenten gibt als bisher. In den bisherigen CESR-Empfehlungen war die Guidance bezüglich Inhalt und Aufbau der Tabellen für die Emittenten auf einer Seite zusammengefasst. Die neuen ESMA-Leitlinien enthalten nunmehr nicht nur Vorgaben bezüglich des Aufbaus der beiden Tabellen, sondern auch inhaltliche Erläuterungen zu den Tabellen über eine Vielzahl von Seiten, ergänzt um einige Beispiele.

Weiter ist festzustellen, dass der allgemein gültige Grundsatz zur Aufstellung der Capitalisation und Indebtedness Table unverändert bleibt, das heißt die Tabellen werden auf Grundlage der zuletzt veröffentlichten Finanzinformationen erstellt, der Stichtag der verwendeten Finanzinformationen darf nicht früher als 90 Tage vor Billigung des Prospekts liegen sowie signifikante Änderungen innerhalb dieser 90 Tage sind zu beschreiben oder zu aktualisieren.

Aufbau der Tabellen und Guidance zu einzelnen Posten

Während der grundsätzliche Aufbau und Inhalt der Kapitalisierungstabelle (Tz. 166) unverändert ist, wurden dennoch kleinere Anpassungen in der Verschuldungstabelle (Tz. 175) vorgenommen, beispielsweise Anpassung bzw. Umwidmung von Zeilenbezeichnungen. Die BaFin betonte in den jüngsten Projekten, dass Aufbau von Kapitalisierung und Verschuldung mit den Tabellen in Guideline 38 und 39 übereinstimmen müssen. Unsere Erfahrungen mit dieser Praxis zeigen, dass Abweichungen vom Aufbau nicht akzeptiert werden.

Zudem befinden sich in den Textziffern 178-184 der Leitlinien eine Vielzahl von Erläuterungen zu den Zeileninhalten der Indebtedness-Tabelle. Dies soll die Zuordnung der einzelnen Posten erleichtern und die Vergleichbarkeit der Tabellen in den Prospekten gewährleisten. Ein Blick in aktuelle als auch vergangene Prospekte zeigt jedoch eine uneinheitliche Zuordnung. Jeder Emittent definiert die Begrifflichkeiten unterschiedlich und erläutert in den Fußnoten unterhalb der Tabelle, wie die Zuordnung erfolgt ist. Hier sind nach unserer Ansicht weiterhin ausreichende Erläuterungen dringend erforderlich.

Konkretisiert wurde die Angabe zu den finanziellen Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit kurz- und/oder langfristigen Leasingverträgen, die gemäß Textziffer 180 entsprechend in einen kurzfristigen und langfristigen Teil aufzuteilen sind. Die Angabe erfolgt regelmäßig unterhalb der Verschuldungstabelle, entweder in den entsprechenden Fußnoten und in einem zusätzlichen Satz unterhalb der Fußnoten.

Berücksichtigung von wesentlichen aktuellen und zukünftigen Änderungen

Bezüglich der Berücksichtigung von wesentlichen aktuellen oder zukünftigen Änderungen, die durch zusätzliche Spalten abgebildet werden können bzw. sollen, gibt die ESMA erstmals sehr detaillierte Leitlinien anhand eines „Entscheidungsbaumes“ vor. Diese wurden angereichert um relevante Beispiele, was genau unter wesentlichen aktuellen Änderungen („recent change“, Tz. 171) oder wesentlichen zukünftigen Änderungen („future change“, Tz. 173) zu verstehen ist. Die Berücksichtigung zusätzlicher Spalten ist in der Prospektpraxis nicht neu, wurde nunmehr mit Aufnahme in die Leitlinien durch die ESMA kodifiziert.

Eine zusätzliche Spalte kommt daher regelmäßig in Frage, wenn beispielsweise eine Umwandlung eines Schuldinstruments in ein Eigenkapitalinstrument („Convertible Bond“) innerhalb der sogenannten 90 Tage ansteht und das als wesentlich seitens des Emittenten eingeordnet wird. Die Auswirkungen einer solchen Transaktion sind in einer sogenannte Anpassungsspalte abzubilden. Eine genaue Definition, was unter einer wesentlichen aktuellen oder zukünftigen Änderung genau zu verstehen ist, hat die ESMA offengelassen, gleichwohl sich eine Orientierung an den dort genannten Beispielen anbietet. Insbesondere bei der wesentlichen zukünftigen Änderung stellt sich die Frage, wo die zeitliche Grenze über das Datum der Prospektbilligung hinaus zu ziehen ist. Unserer Einschätzung nach fallen hierunter beispielsweise. Erwerbe in der Zukunft, also sogenannte „Significant Financial Committments“ nach Artikel 18 Delegierte Verordnung 2019/980, die ein Emittent eingegangen ist und die kurz nach Prospektbilligung (oder in zeitlicher Nähe danach) stattfinden.

Indirekte Verbindlichkeiten und Eventualverbindlichkeiten

Indirekte Verbindlichkeiten und Eventualverbindlichkeiten sind in einem separaten Abschnitt nach der Verschuldungstabelle anzugeben. Die ESMA gibt nun erstmalig dem Emittenten Leitlinien, ergänzt um Beispiele, an die Hand. So enthält Textziffer 186 eine nicht abschließende Aufzählung von Sachverhalten, die ein Emittent als Eventualschulden und indirekte Schulden anzugeben hat. Dabei ist die Definition von Eventualschulden und indirekten Schulden grundsätzlich unverändert geblieben. Sowohl die vergangene als auch die aktuelle Prospektpraxis zeigt auch hier ein uneinheitliches Vorgehen, teilweise werden im Abschluss bilanzierte Rückstellungen im Indebtedness Table erfasst, in anderen Fällen im Abschnitt zu den indirekten Schulden und Eventualverbindlichkeiten aufgeführt.

Fazit

Auch wenn sie oft stiefmütterlich behandelt werden und nicht selten erst kurz vor Prospektbilligung erstellt werden, sind die Inhalte und die formalen Vorgaben der Verschuldungs- und Kapitalisierungstabellen anspruchsvoll. Dies gilt erst recht dann, wenn zusätzliche Spalten hinzukommen infolge wesentlicher Änderungen, wie zum Beispiel eine in der Zwischenzeit erfolgte Kapitalerhöhung, der Abschluss einer neuen Finanzierung oder im Fall eines Börsengangs die komplexen Auswirkungen des IPO auf die Kapitalisierung und Verschuldung des Emittenten. Wir konnten bislang beobachten, dass die BaFin bereits frühzeitig beide Tabellen mit den entsprechenden Erläuterungen in den Fußnoten erwartet. Wir empfehlen, einen Prozess für die Erstellung der Tabellen rechtzeitig aufzusetzen und mit allen Beteiligten abzustimmen.

Dieser erste Blick auf die aktualisierte ESMA-Leitlinie zu Offenlegungspflichten nach der Prospektverordnung am Beispiel der Capitalisation und Indebtedness Table zeigt, dass die gelebte Praxis in Teilen nunmehr in den neuen Leitlinien niedergelegt ist. Insbesondere bezüglich der Darstellung der wesentlichen aktuellen und zukünftigen Änderungen bleibt jedoch noch abzuwarten, wie die Umsetzung in der Praxis erfolgt und wie die BaFin darauf reagiert.