Auf der Zielgeraden – TARGET2-Konsolidierung lässt Banken wenig Zeit

Der Umbau der Finanzmarktinfrastruktur erfordert Vorbereitung, verspricht aber Synergien

Die Uhr tickt. Ab dem 21. November 2022 geht die TARGET2-Konsolidierung live. Bisher separat laufende Bereiche der Finanzmarktinfrastruktur wie TARGET2 für den Zahlungsverkehr und das Liquiditätsmanagement sowie T2S für die Wertpapierabwicklung laufen dann in einem Format auf einer Plattform.

Ihre Vorbereitungen müssen die beteiligten Finanzdienstleister bis zu diesem Zeitpunkt vollständig abgeschlossen haben, denn die Umstellung erfolgt als „Big Bang“. Über Nacht wird quasi der Hebel umgelegt. Für 6.400 Kreditinstitute in Europa erfolgt der Übergang von der alten in die neue Systemwelt ohne Parallelbetrieb und Übergangsfristen. Entsprechend wichtig ist es für die Marktteilnehmer, die nötigen Vorkehrungen rechtzeitig vollständig abzuschließen.

Neue Standards erfordern Anpassung der Banken-IT

Die erforderlichen Vorbereitungen sind nicht zu unterschätzen. Immerhin liegen zahlreiche Geldinstitute gut in der Zeit, schließlich war die Umstellung ursprünglich bereits für November 2021 geplant. Angesichts der Corona-Pandemie hat der Rat der Europäischen Zentralbank aber dem Wunsch der Marktteilnehmer entsprochen und einer Verschiebung um zwölf Monate zugestimmt. Wer sich jedoch Zeit gelassen hat, sollte schnellstmöglich damit beginnen, das bankeigene IT-Umfeld so anzupassen, dass es für die neue Technologie der Interbanken- und Zentralbankkommunikation gerüstet ist.

Ein zentrales Liquiditätsmanagement und die künftig umfassende Nutzung des Standards ISO 20022 – ein universelles Nachrichtenformat für die Finanzindustrie – sind die zentralen Bausteine der TARGET2-Konsolidierung. Gemeinsam genutzte Komponenten für alle TARGET-Dienstleistungen runden die Umstellung ab. Das Zugangsportal ESMIG (Eurosystem Single Market Infrastructure Gateway) bietet einen einheitlichen Zugang für alle TARGET-Services und gehört genauso dazu wie beispielsweise ein kollektives Stammdatenmanagement.

Gemeinsame Plattform schafft Synergien

Ziel der Aufsichtsbehörden bei der Anpassung ist eine weitere Verbesserung des Leistungsangebots des Eurosystems, sowohl im Individualzahlungsverkehr als auch im Liquiditätsmanagement. Noch mehr Funktionen können künftig gemeinsam genutzt werden. Finanzdienstleister, die in der Wertpapierabwicklung aktiv sind, kennen viele der technischen Grundlagen bereits, etwa ISO 20022 als Standard für den Datenaustausch und die verwendeten XML-Nachrichtenformate.

Beide Standards erlauben einen deutlich höheren Datendurchsatz, auf den die Informationstechnologie entsprechend vorbereitet werden muss. Die neue Datenfrequenz ermöglicht zielgerichtetere Compliance-Abfragen und damit eine Reduzierung des Risikos. Durch die Erhöhung der Raten des Straight-Through-Processing, automatisiert verarbeitete Transaktionen ohne manuelle Eingriffe, wird auch die Effizienz in der Abwicklung verbessert.

Umfangreiche Tests prüfen Bereitschaft der Institute

Neben diesen Synergien spielen auch die Stärkung der IT-Sicherheit sowie Vorkehrungen gegen Cyberangriffe eine deutlich größere Rolle – Aspekte, die in den vergangenen Jahren sichtlich an Bedeutung gewonnen haben. Verantwortlich für die Entwicklung und den Betrieb ist der Zusammenschluss der sogenannten 4ZB – bestehend aus Banca d’Italia, Banco de España, Banque de France und Deutsche Bundesbank.

Um sicherzustellen, dass die Geschäftsbanken bereit sind, gehen der Umstellung umfangreiche Tests voraus. Diese starten im Dezember 2021 und laufen end-to-end, vom Auftraggeber bis zum Empfänger. Zuvor findet die Prüfung der technischen Anbindung an Netzwerk-Serviceanbieter wie zum Beispiel SWIFT statt.

Migration ermöglicht Nutzung von Innovationen im Zahlungsverkehr

Nur wer die Migration in die neue Systemumgebung erfolgreich schafft, kann auch weiter am Individualzahlungsverkehr mit Zentralbankgeld teilnehmen, geldpolitische Geschäfte abwickeln und die Mindestreservepflicht erfüllen. Auch für die Nebensystemverrechnung und den Massenzahlungsverkehr ist die Umstellung wichtig.

In einem späteren Schritt dürften sich die konsolidierten Systeme zudem für Innovationen im Zahlungsverkehr nutzen lassen, beispielsweise für die Abwicklung von Zahlungen mit einem digitalen Euro im Firmenkundengeschäft (sogenannte Trigger-Lösung). Mit Hilfe von Blockchain-Technologie und Smart Contracts (Algorithmen, die automatisiert eine Zahlung auslösen können, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind) ließe sich der Zeitverzug von Geldtransfers deutlich reduzieren.

Parallel zur Umstellung sind viele Institute unter Druck, auch andere digitale Zahlungsprojekte weiterzuentwickeln. Dazu können zum Beispiel Instant Payment mit einer Proxy-Datenbank zu einer alternativen Identifikation von Zahlungsempfängern gehören (beispielsweise über Telefonnummern, E-Mail-Adressen oder Social Media Accounts) oder die Anbindung an Zusatzdienste wie Request2Pay. All diese Projekte führen zu erheblichem Implementierungsaufwand bei den Finanzdienstleistern mit entsprechenden Auswirkungen auf Budget- und Personalplanung, Risikomanagement und IT-Sicherheit.

Auslagerung des Zahlungsverkehrs verspricht Freiräume

Für Banken, die den Zahlungsverkehr nicht zu ihren zentralen Aufgaben zählen, ist der Zeitpunkt günstig, über eine vollständige Auslagerung des Bereichs nachzudenken. Künftige Anpassungen liegen dann bei einem angebundenen Dienstleister. Das verschafft einem Geldinstitut den Freiraum, sich auf zentrale Geschäftsbereiche konzentrieren zu können.

Wer sich für die Einführung entscheidet, muss zunächst die Vorgaben zur künftigen TARGET2/T2S-Abwicklung mit dem Eurosystem umsetzen und die Risikomanagementsysteme entsprechend anpassen oder neu einführen. Zusätzlich ist der Bankbetrieb auf die reibungslose Implementierung der neuen Systeme vorzubereiten. Schließlich wird der ESMIG-Zugang so konfiguriert, dass er die Bündelung unterschiedlicher Zahlungsverkehrs- und Liquiditätsmanagementdienste in einer Hand erlaubt. Wer sich aber gegen eine Implementierung entscheidet, sollte sich nun dringend um indirekten Zugang zu den TARGET-Services über einen direkten Teilnehmer mittels einer Korrespondenzbankverbindung kümmern. All dies sollte mit dem nötigen Zeitdruck angegangen werden, andernfalls droht der Herbst 2022 in der Finanzbranche ungemütlich zu werden.

 

 

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