Mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) und des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen das wohl ehrgeizigste Projekt der Menschheitsgeschichte auf den Weg gebracht: Die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
Bei dieser Transformation kommt dem Finanzsektor eine herausragende Bedeutung zu. Denn mit seiner Hilfe lassen sich Kapitalströme in nachhaltige Investitionen lenken und Anreize für ein nachhaltigeres Handeln setzen. Außerdem wird so Nachhaltigkeit zu einem integralen Bestandteil des Risikomanagements und die Transparenz von Finanz- und Wirtschaftsaktivitäten deutlich erhöht.
Um diese Hebelwirkung des Finanzsektors für die gewünschte ESG-Transformation (Environment, Social, Governance) zu nutzen, hat die Europäische Kommission 2018 den EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums verabschiedet. Er richtet sich an alle Akteure des Finanzsektors: Banken, Versicherungen, Asset Manager und Immobilienunternehmen. Ein zentrales Element des Aktionsplans ist die EU-Taxonomie. Ihr Ziel ist es, nachhaltige ökonomische Aktivitäten einheitlich zu klassifizieren und damit Transparenz über den Nachhaltigkeitsgrad von Unternehmen und Finanzprodukten herzustellen.
Der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums hat in Verbindung mit der EU-Taxonomie und einer Vielzahl weiterer Gesetze und Verordnungen – insbesondere mit der Richtlinie zur Erweiterung der Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) – dazu geführt, dass Finanzdienstleister zahlreiche Prozesse umgestalten und ihre Produktangebote neu ausrichten müssen. Da nahezu alle Funktionen, Ebenen und Aktivitäten eines Finanzinstituts von Nachhaltigkeitsanforderungen betroffen sind und viele Interdependenzen zu berücksichtigen sind, ist dies eine äußerst komplexe Aufgabe.
Dabei sind zahlreiche Entscheidungen zu treffen, die tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen und erhebliche Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg und das Geschäftsmodell haben. Um „ESG-Ready“ zu werden und zu bleiben, sind daher die Entwicklung einer umfassenden Roadmap, die laufende Überprüfung getroffener Entscheidungen und die Antizipation von Trends und Entwicklungen bis hin zu neuen geopolitischen Rahmenbedingungen von zentraler Bedeutung.
Eine besondere Herausforderung stellt dabei die hohe Anzahl an ständig neuen ESG-Gesetzen und -Regularien dar, die den Finanzinstituten ein hohes Maß an Flexibilität abverlangen. Viele Standards, Kennzahlen und Bewertungen sind noch nicht etabliert. Insbesondere offene Fragen und Interpretationsspielräume im Zusammenhang mit der EU-Taxonomie und den Berichtspflichten führen immer wieder zu Unsicherheiten.
So deckt die aktuelle Fassung der EU-Taxonomie bislang nur die Umweltziele „Klimaschutz“ sowie „Anpassung an den Klimawandel“ ab. Für die weiteren von der EU definierten Umweltziele („Nachhaltige Nutzung / Schutz von Wasser- und Meeresressourcen“, „Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“, „Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung“, „Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme“) sind Verordnungen bisher nur angekündigt. Auch eine Konkretisierung der sozialen Ziele steht weiterhin aus.
Trotz dieser vielen regulatorischen Unsicherheiten und Veränderungen führt für Finanzinstitute kein Weg an der Entwicklung und Umsetzung einer ESG-Strategie vorbei. Zum einen, weil sich dadurch neue Geschäftspotenziale und -modelle entwickeln können, zum anderen, weil nur so die Erwartungen der Stakeholder sowie die regulatorischen Anforderungen erfüllt werden können. Finanzdienstleister sind daher gefordert, sehr klare Vorstellungen darüber zu entwickeln, welches Ambitionsniveau sie im Rahmen ihrer ESG-Strategie verfolgen wollen.
Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass das angestrebte Ambitionsniveau im Einklang mit der bestehenden und gelebten Governance der Organisation steht. Ansonsten steigt das Risiko von Greenwashing-Vorwürfen, die in der jüngeren Vergangenheit gegenüber dem Finanzsektor an Zahl und Intensität deutlich zugenommen haben. Sie können die Reputation eines Instituts erheblich schädigen und lassen sich nur verringern, wenn sichergestellt ist, dass entsprechend der gewünschten Außenwahrnehmung des Instituts klare Verantwortlichkeiten, notwendige Prozesse, angemessene Dokumentationen und wirksame Kontrollsysteme vorhanden sind.
Um der wachsenden Bedeutung von ESG-Themen gerecht zu werden, sind Finanzinstitute außerdem gefordert, ihr Risikomanagement und ihr Reporting neu auszurichten. Denn Nachhaltigkeitsaspekte können immer häufiger zu existenziellen Risiken für das Geschäftsmodell des Instituts führen. Und da ESG-Risiken oft als Treiber für andere Risikoarten wirken, sind gerade im Hinblick auf ESG-Risiken sehr umfassende Analysen erforderlich. Regelmäßig sind auch qualitative Einschätzungen vorzunehmen, um mögliche Szenarien und deren Auswirkungen auf den zukünftigen Geschäftserfolg abschätzen und bewerten zu können. Dies erfordert nicht nur einen erweiterten Methodenbaukasten und den Zugriff auf bisher nicht erhobene Daten, sondern auch einen Perspektivenwechsel sowie neue Qualifikationen, um ESG-Wirkungsmechanismen verstehen und bewerten zu können.
Ähnliches gilt für das Reporting: Finanzinstitute sind gefordert, ihre bisherige Finanzberichterstattung um eine Vielzahl von ESG-Angaben zu ergänzen. Außerdem erfordern grüne Finanzprodukte eine Weiterentwicklung der Rechnungslegung. Der Identifikation, Bewertung und Konsolidierung valider ESG-Daten kommt daher in der Finanzfunktion eine immer größere Bedeutung zu. Hierzu müssen neue Architekturen, Prozesse und Kompetenzen in der Finanzfunktion aufgebaut werden.
Die nachhaltige Transformation verlangt von den Akteuren im Finanzsektor nicht zuletzt, auch ihre eigene Organisation nachhaltig auszurichten. Im Fokus stehen derzeit vor allem die Herstellung von Klimaneutralität durch den Einsatz umweltfreundlicher Lösungen sowie ein sozial nachhaltiges Handeln. Insbesondere die Potenziale einer „Green IT“ werden von Finanzinstituten häufig noch unterschätzt, um CO2-Emissionen signifikant zu reduzieren und zu einem nachhaltigen Betrieb zu kommen.