Decoupling - Frachtschiffe fahren auf dem Meer

Decoupling: Handel zwischen Konfrontation und Wettbewerb

Was durch Decoupling und die neue Geopolitik droht – und was nicht

Durch die starke Internationalisierung und globale Vernetzung, die die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten erreicht hat, basiert sie auf weltweiten Lieferketten und Absatzmärkten. Decoupling – also die Entkopplung der Weltwirtschaft, insbesondere der beiden großen Wirtschaftsmächte USA und China – und geopolitische Störfälle, wie Kriege, Pandemien, Cyber-Attacken oder Maßnahmen wie Sanktionen und Handelsbeschränkungen, bedrohen nun dieses bisherige Geschäftsmodell der deutschen Wirtschaft.

Geopolitik ist zu einem handfesten Risiko für Unternehmen geworden. Der Bedarf für eine Einordnung der vermeintlichen neuen Weltordnung ist groß. Was genau ändert sich in der Weltwirtschaft? Welche „Spielregeln“ gelten fortan?

Auf dem KPMG Zukunftsgipfel besprach KPMG-Bereichsvorstand International Business, Andreas Glunz, die Lage mit Ex-Bundeswirtschafts- und -Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sowie Dr. Johann Wieland, dem langjährigen Präsidenten und CEO von BMW Brilliance Automotive, einem 2003 gegründeten chinesischen Joint Venture von BMW.

Wenn die Wirtschaft nicht mehr im Mittelpunkt steht

Die Grundlagen unserer globalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit verändern sich. Ursache dafür sei das „Ringen um eine neue Weltordnung“, wie Sigmar Gabriel sagte. „Macht ist die neue Währung.“ Dabei stehe die Ökonomie nicht mehr im Mittelpunkt.

Besonders deutlich wird das durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine. Statt Handelsbeziehungen auszubauen gehe es nun darum, komplexe Sanktionen einzuhalten, Anlagevermögen abzuschreiben, Vorräte abzuwerten und Schadensersatzforderungen zu evaluieren, fasste Andreas Glunz die aktuelle Situation zusammen. Das Sanktionsmanagement sei für die betroffenen Unternehmen eine große Herausforderung. Ganz abgesehen von den Lieferengpässen und Preissteigerungen, die der Ukraine-Krieg mit sich bringt. So wird vor allem anhand der aktuellen geopolitischen Vorfälle der Corona Pandemie und des Ukraine-Kriegs die Zentralität der Geopolitik und von Decoupling für Unternehmen deutlich.

Geopolitische Risiken erkennen

Dr. Johann Wieland unterstrich, dass es für die Automobilindustrie „extrem schwierige Zeiten“ seien. „Die Globalisierungsdividende, die wir über viele Jahre eingefahren haben, werden wir zum Teil verlieren.“

Dass sich auch China geopolitisch selbstbewusster positioniert, sorgt ebenfalls für Verunsicherung in der deutschen Wirtschaft. „China ist für viele Unternehmen zu einer Art Klumpenrisiko geworden“, sagte Dr. Johann Wieland.

Lokalisierung und Diversifizierung als Lösungsansatz

Dabei ist es laut Andreas Glunz nötig, sich vom in den letzten Jahrzehnten vielfach betriebenen Single Sourcing zu verabschieden. Mehr Lokalisierung und Diversifizierung seien zwei Antworten auf die veränderte geopolitische Lage. Und er mahnte dazu, in Szenarien zu denken mit umsetzungsreifen Plänen, die auch den Worst Case umfassen.

Gabriel: „Das sind ein paar heftige Jahre, die vor uns sind“

„Das sind ein paar heftige Jahre, die vor uns sind“, blickte Sigmar Gabriel voraus und wusste doch Hoffnung zu verbreiten. Er zweifele daran, dass es zu einer Entkopplung von China kommen werde. Gabriel erwarte nicht das Ende der internationalen Arbeitsteilung. Stattdessen werde es Konfrontation, Kooperation und Wettbewerb gleichermaßen geben. So könne und werde es keine Lösung beispielsweise für den Klimawandel ohne China geben.

Hoffnungsschimmer für die Zusammenarbeit

CEO Weiland hob die sehr langfristigen Joint-Venture-Verträge als Grundlage für die weitere Zusammenarbeit hervor. Andreas Glunz konnte auf eine KPMG-eigene Umfrage verweisen, der zufolge deutlich mehr Unternehmen ihre Zusammenarbeit mit China ausweiten als reduzieren.

Die Hoffnung, dass die volatilen Zeiten, in denen wir uns befinden, sich auch wieder zum Positiven wandeIn könnten, ließe sich aus einer weiteren Befragung zu den wirtschaftlichen Folgen des russischen Kriegs erkennen. So wollen etwa zwei Drittel der in Russland tätigen Unternehmen zumindest den Kontakt wahren, sagte Andreas Glunz.

Sehen Sie hier das ganze Video „Panel in Kooperation mit der Atlantik-Brücke zum Thema Decoupling“ vom KPMG Zukunftsgipfel, aufgenommen am 28.04.2022 und moderiert von Dr. Christian Sellmann, Managing Director des Handelsblatt Research Institute.

 

Transkript:
Herzlich Willkommen zur letzten Etappe, die wir nehmen, hier beim Zukunftsgipfel vom KPMG, einer ganz besonders spannenden,denn die Überschrift ist Decoupling und ich glaube, wer das vor einem halben Jahr sich ausgedacht hätte, hätte doch nicht gedacht, welche Dimension wir mittlerweile erreichen in dieser Diskussion.

Wir freuen uns sehr, dass wir dies mit ganz prominenten Mitstreitern hier heute machen dürfen, denn die Ereignisse überschlagen sich wirklich. Wir haben einmal, wollen das aus drei Perspektiven betrachten.

Einmal, Sigmar Gabriel, Herzlichen Dank für die Teilnahme.
Das wollen wir geopolitisch, volkswirtschaftlich betrachten.
Wir haben einmal Andreas Glunz, KPMG.
Da gucken wir mal in den Branchenquerschnitt
Und wir gucken als letztes dann auf die Automobilindustrie
mit Johann Wieland, langjähriger CEO von BMW Brilliance in China, jetzt Experte der Automobilindustrie.

Ich habe es eben bereits gesagt, da passiert gerade sehr viel.
Soeben hat der Bundestag beschlossen, dass schwere Waffen in die Ukraine geliefert werden sollen, gestern ist der die Gaszufuhr nach Polen, nach Bulgarien gestoppt worden. Weiteres droht.

Ich glaube, wir können , es wäre naiv zu denken, dass der Konflikt schnell gelöst würde. Umso mehr müssen wir schauen, wie wir und sortieren mit Blick auf die drei Mächte Russland, China und Amerika. Und wir wollen mit Ihnen beginnen,
lieber Herr Gabriel, was ist Ihre Einschätzung derzeit, geopolitisch. Wie sehen Sie das Ganze, was wird passieren?

Sigmar Gabriel:
Vielen Dank für die Einladung, das sind Debatten, die wir in der da dringend brauchen.
Ich glaube, das, was wir der Ukraine erleben, der Krieg, den Russland dort führt, ist eher eine Folge des Decoupling in der Welt.

Ich glaube, wir sind schlicht und ergreifend am Ende der bisherigen Weltordnung,die im wesentlichen nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde und diezumindest mal den letzten 30 Jahren auch davor sehr stark von den Vereinigten Staaten von Amerika gestaltet worden ist.

Das geht jetzt zu Ende, denn als diese Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieggeschaffen wurde waren Länder wie China, Indien, aber auch viele andere Entwicklungsländer, die heute aber mehr sein wollen als einfach nur ein billiger Marktplatz für ihre früheren Kolonialstaaten und die mit Macht zu einer Neuordnung der Welt drängen. Ich glaube, das muss man auch verstehen.

Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was die wollen, aber dass diese Länder mit entscheiden wollen. Und das führt jetzt erst mal in den nächsten –
ich vermute mindestens zehn Jahren – zu einer Dekade von Unsicherheit.
Wir leben, glaube ich, gerade in einer Phase von G 0.
Nicht etwa, G 20 oder G 7, sondern eine Welt ohne wirkliche Ordnungsmacht, einer G 0- Welt. Und Russland scheint den Eindruck gehabt zu haben, dass es erstens dabei sein will und zweitens, dass es sich als Großmacht rekonstruieren will in Europa, vor allen Dingen aber Eurasien. Russland ist in den letzten 30 Jahren herabgestiegen auf das Niveau eines Energielieferanten, es hatte politisch und wirtschaftlich keinen Einfluss mehr auf die europäische Entwicklung und das will
Wladimir Putin ändern, das wollte er ändern, und er dachte vermutlich, dass Debatten über den Hirntod der Nato, die gespaltenen USA, Regierungswechsel in Deutschland und Frankreich, Neuwahlen, der Streit in Europa zwischen Ost und West, eine günstige Gelegenheit sein, sich diesem Großmachtstatus in Europa zurückzuerobern,
um mitzumischen bei dieser Neuordnung der Welt.
Ich glaube, dass wir das gerade erleben, dass wir sozusagen überall, nicht nur bei uns in Europa, ein Ringen um eine neue Weltordnung haben. Und statt mehr zusammenzuarbeiten, bei der Pandemie, beim Klimawandel, auch bei der Begrenzungder Nuklearwaffen in der Welt, erleben wir das Gegenteil.

Es wird nicht mehr über Ökonomie geredet, sondern über Geopolitik. Macht ist die neue Währung. Und nicht, wie wir Deutschen vor allem dachten, dass die wirtschaftlichen Fragen im Mittelpunkt standen. Und das ist eine Welt, die viel Unsicherheit bedeutet.

Und ich glaube nicht, dass sich das jetzt schnell ändert.

Vielen Dank, Herr Gabriel. Herr Glunz, Macht ist die neue Währung.

Wenn wir jetzt mit Blick jetzt zunächst mal und den Blick wenden auf Russland,
was heißt „Macht ist eine neue Währung“ jetzt für die deutsche Wirtschaft?

Zunächst mal im Verhältnis zu Russland?

Ich würde Ihnen ganz gerne mal einen kurzen Überblick geben über die Diskussionen, die wir zurzeit mit Unternehmen in Deutschland führen. Und die sind schon sehr stark betroffen,muss man sagen, von dem was in Russland passiert.
Man muss wissen, das Handelsvolumen zwischen Russland und Deutschland sind so circa. 60 milliarden Euro.
Es gibt fast 4000 deutsche Unternehmen, die stark investiert sind, in Russland. Fast 280.000 Menschen sind dort beschäftigt. Und die Themen, die wir aktuell mit mit den Unternehmen diskutieren, das sind ihre ihre großen Herausforderung aktuell, das insbesondere die Umsetzung der Sanktionsmaßnahmen, aber auch die Reaktion auf die Gegensanktionen, die drohen und das Thema Sanktionsmaßnahmen umsetzen.
Das hört sich so einfach an, aber es ist ein komplexes Thema.
Denn es gibt wirklich vielfältige Fragestellungen, die da betrachtet werden müssen. Das geht von der Frage: Wie geht man mit sanktionierte Vorprodukten um, die in Produkten sind? Wie geht man mit mit Übergangszeiten um? Wie geht man mit mit Alt-Vertrags-Regelungen um? Wie stellt man noch die Wartung von Anlagen sicher, für die man sich vertraglich verpflichtet hat über lange Zeit?
Und auch das Thema Gegensanktionen ist ein großes Thema, weil aufgrund dieser massiven Sanktionsmaßnahmen beschlossen worden sind, viele deutsche Unternehmen hingegangen sind und den Markt verlassen, zunächst das Neugeschäft eingestellt haben, er fort folgend auch den Markt komplett verlassen und auch, dass es keine kann triviale Aufgabe, denn es bedeutet, dass es gibt bestimmte… Es gibt eine Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter in Russland, strafrechtliche Risiken für das lokal beschäftigte Management, und es gibt auch drohende Zwangsverwaltung oder sogar
Verstaatlichungen von den Anlagen in Russland. Also auch von daher, keine kurzfristig zu lösende Aufgabe für die deutschen Unternehmen, sondern etwas, mit dem sie sich die nächsten Monate werden befassen müssen.

Wir sehen grundsätzlich und auf die Diskussion gucken, eine große Unsicherheit.
Also uns sagen ungefähr 40 % der befragten deutschen Unternehmen, dass sie nicht wissen, was das für eine Auswirkung haben wird auf ihre Umsätze und Ergebnisentwicklung im nächsten Jahr? Also, wir sehen natürlich wegbrechende Umsätze im großen Umfang, wir sehen noch großen Abwertungsbedarf auf der Aktivseite.

Das wird sich jetzt manifestieren in den Quartalsabschlüssen, die sehen werden,
jetzt, also, wo Anlagevermögen abgeschrieben werden muss, wo Vorräte abgewertet werden müssen, Beförderung ausfallen, die nicht mehr bezahlt werden, wo Beteiligungen abgewertet werden. Aber auch auf der Passiv-Seite, wo gegebenenfalls Drohverluste für Schadenersatz drohen. Also schon wirklich massive Auswirkungen, die Unternehmen direkt verspürenund genau so glaube ich, muss man auch denken an die indirekten Folgen. Und die sind glaube ich, noch größer als die direkten Folgen. Das sind die Lieferengpässe, die wir sehen bei vielen Rohstoffen, Vorprodukten. Und das betrifft viele verschiedene Branchen. Nicht nur die Chemieindustrie. Mittlerweile reden wir, glaube ich auch, über die Nahrungsmittelindustrie, die Bauindustrie, also viele andere, die miteinander verwoben und vernetzt sind durch die Domino-Effekte.

Wir sehen natürlich die steigende Einkaufspreise aufgrund der Lieferengpässe. Das ist etwas, das wird uns noch lange verfolgen, auch aufgrund der Umstellung der Lieferketten. Und letztendlich darf man glaube ich auch nicht vergessen, dass Russland ein Transitland ist nach Asien. Das heißt, es ist nicht nur direkte Betroffenheit zwischen Russland und Deutschland, sondern es ist auch der Güter- und Personenverkehr per Luft, per Schiene, per Straße, der massiv beeinträchtigt ist.

Vor dem Hintergrund ist für uns überraschend, dass wir dann hören, dass zwei Drittel der deutschen Unternehmen, also wir befragen die regelmäßig, sagen, sie wollen den Kontakt zu Russland grundsätzlich aufrecht erhalten. Nur ein Fünftel sagen uns, dass sie das Land wirklich nachhaltig verlassen werden.

Das ist, glaube ich, noch mal eine interessante Aussage.

Herr Wieland,
wie positioniert sich die Automobilindustrie in diesen schwierigen Zeiten?
Ja, Sie haben vollkommen recht. Das sind extrem schwierige Zeiten
für die Automobilindustrie, weil die Automobilindustrie natürlich sehr internationale und sehr extrem ausgeklügelte Lieferantennetzwerke hat.
Deshalb ist der Impact auf die Autoindustrie natürlich viel, viel mehr als jetzt der Verlust des Geschäftes in Russland oder in der Ukraine. Es wird dann Impact auf das weltweite Produktionsvolumen haben. Es wird ein Impact auf Preise und Kosten haben. Ich geben ihnen zwei Beispiele, wenn Sie an Energiekosten denken:
50 % eines Aluminium Preises hängen am Strompreis, weil Aluminium natürlich aus einer Elektrolyse gewonnen wird. Oder auch, wenn sie an die Elektrifizierung denken,
circa. 70 bis 75 % der Zellkosten sind abhängig von den Rohstoffpreisen. Was wir sehen werden und was wir eigentlich jetzt akzeptieren müssen, ist: es kommt zu einem Decoupling und das heißt, dass die Globalisierungs-Dividenden, die wir über viele Jahre eingefahren haben, wir jetzt zumindest zum Teil verlieren werden.

Das heißt, es kommt zu Effizienz-Impact, Nachteilen, Reduzierungen der Effizienz. Es wird zu höheren Preisen kommen, und es ist ja nicht nur die Ukraine-Situation. Was in China massiv mit dazu kommt, ist die Verbindung hatte ja mit der Pandemie. Und natürlich auch mit geostrategischen oder industriepolitischen Weichenstellungen, die natürlich auch einen enormen Einfluss zum selben Zeitpunkt jetzt haben.

Zu China kommen wir gleich. Noch mal zu Ihnen, Herr Gabriel, Sie haben gesagt, eine Dekade der Unsicherheit droht uns. Lassen Sie uns mal konkret auf das Thema Energie kommt. Das Gas- Öl-Embargo kommt, oder?
Also, Öl ist relativ schnell zu ersetzen. Das hat ja der Bundeswirtschaftsminister auch gesagt. Bei Gas werden wir einfach darauf angewiesen sein, dass Länder wie Katar erstmal ihre Produktionskapazitäten hochfahren, weil die natürlich Verträge habenfür LNG und das nicht einfach verfügbar ist. Aber ich glaube, auch da werden wir in überschaubarer Zeit deutlich weniger aus Russland bedient werden. Und die Folge, die ist richtig beschrieben worden, dass ist natürlich dann zu höheren Preisen der Fall, denn LNG ist teurer als Pipeline-Gas. Ist das ja der Grund, warum im Rahmen der Liberalisierung der Energiemärkte ab 2002, Unternehmen die preiswerteste Ressource gewählt haben, nämlich russisches Pipeline-Gas, nicht LNG. Das wird sich jetzt ändern. Ich glaube, dass eben der Vertreter von BMW gut beschrieben hat, wie wir zumindest mal mit einer anderen Form der Globalisierung werden leben müssen und Deutschland ist ein hauptbetroffenes Land. Unser ganzer Wohlstand…..

weiter im Video.