Die Welt verfolgt aktuell gebannt den polarisierenden US-Wahlkampf. Prognosen für den Ausgang am 5. November sind schwierig, das Präsidentschaftsduell ums Weiße Haus ist laut Demoskopen auf der Zielgeraden „too close to call“: Die Demokratin Kamala Harris und der Republikaner Donald Trump sind in Umfragen gleichauf.
Klar ist indes: Trump und Harris stehen in vielerlei Hinsicht für unterschiedliche Weltanschauungen. Das zeigt sich nicht zuletzt bei ökonomischen Aspekten. Wirtschaftspolitisch liegen Trump und Harris weit auseinander. Wir analysieren, auf was sich deutsche Unternehmen einstellen sollten – und zeigen auf, inwieweit ein Machtwechsel zu einer Zäsur auf den internationalen Märkten führen könnte.
Bei der Analyse stehen drei Kernbereiche der bisher kommunizierten Agenda im Fokus: Handel, Steuern und Infrastruktur. Veränderte Rahmenbedingungen in diesen drei Kernbereichen sind besonders folgenreich für Partner und Wettbewerber.
➡️Handel
Donald Trump setzt nach derzeitigem Stand auf mehr Protektionismus als Kamala Harris. Er will eigenen Aussagen zufolge Importe mit Zöllen belegen: zehn bis 20 Prozent auf alle Güter – und sogar 60 Prozent auf alle Güter aus China. Für den Fall, dass andere Staaten auf derartige Handelsbarrieren mit Vergeltungszöllen reagieren, behält sich Trump jüngsten Meinungsäußerungen zufolge Erhöhungen von bis zu 500 Prozent vor – oder sogar eines beliebig hohen Satzes.
Die Biden-Harris-Administration hat bereits beträchtliche Importzölle auf diverse chinesische Güter durchgesetzt, darunter Elektrofahrzeuge und Rohstoffe. Zölle, die Donald Trump zwischen 2016 und 2020 erhoben hatte, wurden zudem nicht rückabgewickelt. Zusätzliche Zölle hat Harris aber nicht angekündigt. Sie kritisiert Trumps aggressive Rhetorik, mit der er eine diffuse Drohkulisse bei Regierungen weltweit aufbaut.
➡️Steuern
Trump plant Steuersenkungen „across the board“, bei Betrieben, Privatpersonen und Kapitalanlagegesellschaften. Unternehmen, die in den USA produzieren, will er mit einer Steuersatzsenkung auf 15 Prozent belohnen. Ziel ist die Stärkung der nationalen Fertigungsindustrie. In seiner ersten Amtszeit als US-Präsident hatte Trump den Spitzensteuersatz für Unternehmen bereits von 35 auf 21 Prozent gesenkt. Bei einer erneuten Wahl Trumps scheinen zudem „grüne“ Projekte nicht mehr steuerlich begünstigt zu werden, Erdöl- und Erdgas-Förderprojekte hingegen wieder.
Harris plädiert wiederum für höhere Unternehmenssteuersätze. Statt 21 Prozent präferiert sie 28 Prozent. Außerdem regt sie weitreichendere Steuervergünstigungen als bisher für kleine und mittlere Unternehmen an. Schlagzeilen machte Harris zudem jüngst, weil sie versprach, keine Steuererhöhungen für Menschen mit einem Einkommen unter 400.000 Dollar durchzusetzen.
➡️Infrastruktur
Trump konnte seine Pläne für Infrastrukturinvestitionen während seiner ersten Amtszeit als US-Präsident nicht durchsetzen. Für eine mögliche zweite Amtszeit hält er sich zu diesem Thema bedeckt. Erwartet wird, dass er den inhaltlichen Kurs der Biden-Harris-Administration erheblich verändern wird: Die mit Steuergeldern geförderte nachhaltige Transformation wird sich aller Voraussicht nach verlangsamen.
Kamala Harris hat den verabschiedeten Investment Infrastructure and Job Act von US-Präsident Joe Biden mitgestaltet. Darin wird die branchenübergreifende Verwendung von Geldern in Höhe von mehreren Hundert Milliarden Dollar festgelegt. Im Mittelpunkt stehen Energie- und Verkehrswende. Wahlkampfreden zufolge plant Harris zusätzliche Initiativen, etwa im Bereich Straßenbau und Digitalisierung. Im Gegensatz zu Trump konzipiert Harris etliche unterstützende Maßnahmen für erneuerbare Energien.
Konsequenzen für deutsche Unternehmen: Das sollte jetzt beachtet werden
Seit dem zweiten Weltkrieg war der Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA nicht mehr so wichtig für die ganze Welt und zugleich so wenig vorhersehbar. Möglich ist sogar ein Szenario, in dem auch Tage nach dem 5. November noch keine Wahlentscheidung feststeht. Klar ist: Die Fronten in den USA sind verhärtet und die kommenden Monate können turbulent werden.
Bei einer Wahl Trumps ist mit spontanen und selbst gänzlich unerwarteten Entwicklungen zu rechnen. Trump ist unberechenbar. Er selbst hält diese Eigenschaft für einen Trumpf im Duell mit politischen und wirtschaftlichen Kontrahenten – und zu dieser Gruppe gehören potenziell diverse Stakeholder, von innerparteilichen Widersachern über CEOs und Staatenlenker bis zu ausländischen Investoren.
Das bedeutet unter anderem, dass Geschäftsmodellen, bei denen lediglich in die USA exportiert und nicht in den USA produziert wird, sehr kurzfristig die Grundlage entzogen werden könnte. Wer noch nicht in den USA oder einem der Mitgliedsländer des USMCA-Freihandelsabkommens – also in Mexiko oder Kanada – Produktionsstätten unterhält, sollte dies jetzt konkret planen. Auch eine weitere Regionalisierung der gesamten Wertschöpfungskette global tätiger Unternehmen sollte vorbereitet werden, da nach der US-Wahl – auch bei einem Sieg von Kamala Harris – mit einem fortgesetzten Derisking- beziehungsweise Decoupling-Ansatz der USA von China zu rechnen ist.
Unternehmen sollten zudem genau beobachten, welche Steuerprojekte tatsächlich umgesetzt werden. Falls Trump, wie angekündigt, Regelungen des Inflation Reduction Acts von Joe Biden rückabwickeln sollte, könnten gegebenenfalls sogar De-Investitionen in den USA ratsam sein. Angesichts der Tatsache, dass je nach Wahlausgang künftig unterschiedliche Branchen und Segmente entweder gefördert oder benachteiligt werden dürften, sollten Investitionen in Geschäftsaktivitäten nicht vorgenommen werden, bis finale Richtungsentscheidungen in Washington stehen. Für Unternehmen ist die Gemengelage komplex – und die Einschnitte könnten drastisch werden.
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