Wie steht es um die pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland? Wo werden in Zukunft unsere Medikamente produziert? Und wo sehen die Unternehmen derzeit ihre größten Wachstumschancen? Zu den aktuellen Trends in der Life-Sciences-Branche haben wir mit unserem Branchenexperten Thomas Hillek gesprochen.
Herr Hillek, wie geht es den Unternehmen der Life-Sciences-Branche?
Der Branche geht es im Allgemeinen relativ gut, aber die Situation stellt sich je nach Marktsegment und auch einzelnem Unternehmen höchst unterschiedlich dar. In der Corona-Pandemie haben insbesondere die Impfstoffhersteller glänzend verdient, wie auch die Laborausrüster und die Hersteller von Covid-19-relevanten Medikamenten. Gut für die Branche war zudem, dass Politik und Gesellschaft ihre Systemrelevanz erkannt haben. Dass es dafür erst die Pandemie brauchte, ist allerdings tragisch.
Herausfordernd für viele Unternehmen ist aktuell der Preisdruck. Egal ob Chemikalien, Vorprodukte, Energie oder Verpackungsmaterial – alles ist viel teurer geworden. Hinzu kommt: Pharmaunternehmen können diese Kosten nur bedingt weitergeben, da sie in der Regel mit den Krankenkassen feste Beträge für Arzneimittel verhandelt haben und auch sonst in der Gesundheitsbranche viel durch die öffentliche Hand vorgegeben ist. In der Preisgestaltung sind sie somit stark limitiert.
Wie begegnen die Unternehmen dieser Entwicklung?
Die meisten setzen auf Restrukturierungs- und Effizienzprogramme, um mit den gestiegenen Kosten umgehen zu können. Sie versuchen ihren Aufwand im Vertrieb und in der Produktion sowie im Gemeinkostenbereich zu senken. Insbesondere in der Forschung, in der Produktion sowie im Vertrieb ist zudem ein verstärkter Digitalisierungstrend zu beobachten. Vor allem aber investieren die Unternehmen in Therapiegebiete und Medikamente, von denen sie sich zukünftig hohe Gewinne versprechen, wohingegen Investitionen in konventionelle Indikationsgebiete nur selektiv erfolgen und sogar zurückgefahren werden.
Was bedeutet dies konkret?
Generell ist die Investitionstätigkeit in der Pharmabranche im Branchenvergleich sehr hoch, insbesondere im Bereich der Forschungsleistungen; die Forschungsintensität liegt bei rund 15 bis 23 Prozent vom Umsatz. Aktuellen Umfragen vom Verband der forschenden Pharmaunternehmen (VfA) oder auch vom VCI zufolge hat zwar die zunehmende Kostenbelastung dazu geführt, dass die Investitionsneigung abnimmt – dies ist jedoch sehr individuell und segmentbezogen. Wenn man sich die großen Unternehmen der Branche anschaut, zeigt sich, dass weiterhin konsequent in wichtige Therapiegebiete wie Onkologie, Immunologie sowie in Zell- und Gentherapie investiert wird, weil man sich hier zukünftig einen Durchbruch erhofft und sich das neue Segment erschließen will. Investitionen in eher klassische Therapiegebiete stagnieren hingegen oder werden zurückgefahren. Auch Generikahersteller haben ihre Investitionen deutlich reduziert.
Der Trend zu hochinnovativen Medikamenten resultiert auch daraus, dass hier höhere Arzneimittelpreise durchsetzbar sind. Überall, wo mit klassischen Therapien keine nachhaltigen Erfolge zu erzielen sind, es aber einen hohen Bedarf gibt, zeichnet sich ein sehr starker Trend zu personalisierter Medizin ab – im Bereich der Krebstherapie, bei Immunerkrankungen oder bei Erkrankungen wie zum Beispiel Parkinson, Alzheimer oder der Huntington-Krankheit. In diese Forschungsfelder werden nach wie vor hohe Summen investiert.
Hat der Pharmastandort Deutschland eine Zukunft?
In Deutschland wird staatlicherseits viel in die Grundlagenforschung investiert. Wir haben gute Universitäten, sehr gute Forschungsinstitute, auch die Unternehmen investieren in die Suche nach neuen Behandlungsmethoden und Medikamente. Die Herausforderung in Deutschland wie auch in ganz Europa ist die Deckelung der Arzneimittelpreise, die mit unseren Krankenversicherungssystemen einhergeht.
In der Regel braucht es 10 bis 15 Jahre und Investitionen von mehreren Milliarden Euro, um einen Wirkstoff zu entdecken, ihn zu testen und zur Marktreife zu führen. Aufgrund der starken Preisdeckelung überlegen mehr und mehr Pharmahersteller, wo sie ihre Medikamente primär vermarkten wollen. Viele fokussieren sich auf die USA und China, dort herrscht mehr Flexibilität in der Preisgestaltung. Dies hat natürlich Auswirkungen auf zukünftige Investitionen in Europa. Denn wenn mit hochinnovativen Medikamenten eher in anderen Ländern Geld verdient werden kann, wird zukünftig auch eher dort in Forschung und Produktionstechnologie investiert werden.
Zudem ist der bürokratische Aufwand zur Genehmigung von Produktionsanlagen hierzulande recht hoch und langwierig. Dies sollte die Politik beschleunigen.
Die Pharmaproduktion hat sich zunehmend nach Asien verlagert…
… was eine dramatische Entwicklung ist, wenn man das Ausmaß betrachtet. Heute stammen 70 Prozent der Wirkstoffe für klassische Herz-Kreislauf-Medikamente oder für Präparate der Dermatologie aus China oder Indien. Im Jahr 2000 war das Verhältnis noch umgekehrt. Damals wurden noch zwei Drittel der Wirkstoffe in Europa produziert. Eine Umkehr dieser Entwicklung wird ein langer und schmerzlicher Prozess.
Deutschland und Europa brauchen eine umfassende Arzneimittelversorgungsstrategie. Hierzu gibt es auch bereits erste Pläne. Natürlich muss die Gesellschaft dann aber auch höhere Kosten akzeptieren, wenn man sich von Indien und China zumindest teilweise unabhängiger machen möchte. Eine vollkommene Abkopplung wird jedoch kaum möglich sein und ist aufgrund drohender Kostensteigerungen auch nicht sinnvoll.
Fehlen auch in der Life-Sciences-Branche die Fachkräfte?
Der Industrie- und Pharmaziestandort Deutschland muss durch gezielte Einwanderung gestärkt werden. Die aktuelle Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften nach Deutschland reicht nicht aus; Top-Mediziner:innen und Datenwissenschaftler:innen müssen permanent ins Land geholt werden. Hier sollten die Verfahren der Visumsvergabe und der Arbeitserlaubnis vereinfacht und beschleunigt werden.
Und in Zukunft?
Bei hochinnovativen Medikamenten wie individuellen Krebstherapien oder Zell- und Gentherapien sind die USA und Europa bislang führend und auch die meisten Produktionsanlagen für Hochtechnologiemedizin stehen hier. Allerdings investiert insbesondere China aktuell massiv in seine biopharmazeutische Kompetenz. Die Marktkapitalisierung ausgewählter chinesischer Biotech-Unternehmen ist gewaltig gestiegen: Vor fünf Jahren lag diese in der Summe noch bei zirka fünfzig Milliarden Dollar, 2021 waren es bereits knapp 400 Milliarden Dollar, mit weiterer Tendenz nach oben. In China entstehen gerade im Bereich der medizinischen Hochtechnologie neue Konkurrenten. Damit wird der Innovations- sowie Kostendruck für die EU-Hersteller auch in diesem Segment steigen. Um nicht auch hier wie bei klassischen Medikamenten in eine Abhängigkeitsfalle zu tappen, sollte Europa wachsam sein und seine Versorgungsstrategie im Pharmasektor kontinuierlich überprüfen und anpassen.
Wie schätzen die Unternehmen der Life-Sciences-Branche selbst ihre eigene Zukunftsfähigkeit ein? Lesen Sie im aktuellen Future Readiness Index 2022 zur Life-Sciences-Branche, warum die Unternehmen sich trotz geopolitischer Spannungen und verschlechternder Konjunktur nach wie vor gut für die Zukunft gewappnet sehen – wenn auch mit sinkender Tendenz.