In den letzten Jahrzehnten gab es für viele deutsche Unternehmen nur eine Richtung: auf, in die Welt. Wie kaum eine andere entwickelte Industrienation wusste unser Land die Chancen der Globalisierung für sich zu nutzen.
Deutsche Unternehmen profitierten von schwindenden steuer- und zollrechtlichen Grenzen, Güter und Dienstleistungen konnten frei gehandelt werden. Hinzutraten disruptive Entwicklungen sowie der digitale Fortschritt, was die Kommunikation und den schnellen Austausch von Informationen vereinfachte.
Allerdings: In dem Maße, in dem die Wirtschaft globaler und schneller wurde, stiegen auch ihre Abhängigkeiten – und damit die Anzahl der Risiken, die Unternehmen erheblich beeinträchtigen können.
Geopolitische Spannungen bedrohen die Weltwirtschaft
Waren es in den vergangenen drei Jahren vor allem die Folgen der COVID-19-Pandemie, die Unternehmen vor große Herausforderungen stellten, sind es im Jahr 2023 zuvorderst politische Spannungen und die mit ihnen einhergehenden Auswirkungen auf internationale Lieferketten. So warnt das World Economic Forum (WEF) in seinem aktuellen Global Risk Report vor neuen Gefahren in einer risikoreicheren Welt. Zu den größten Risiken zählt dem Risikobericht zufolge die noch immer wachsenden geopolitischen und geoökonomischen Konfrontationen zwischen den Weltmächten.
Dabei wurde der freie Warenhandel lange Zeit als „Friedensstifter“ zwischen den Nationen betrachtet. Die Überzeugung vom „Wandel durch Handel“ prägte viele Jahre die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik und erklärt die bis heute bestehenden Verflechtungen der deutschen Volkswirtschaft auf zahlreichen Gebieten. Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine ist diese Hoffnung der Erkenntnis über einen zunehmenden Unilateralismus gewichen, der die Volkswirtschaften im Großen und Unternehmensentscheidungen zu Standorten und Lieferbeziehungen im Kleinen prägt.
Die Polykrise als Signatur spätmoderner Gesellschaften
Natürlich gab es auch in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder Krisen und Spannungen in der Welt. Jedoch ist unsere Welt im Jahr 2023 von einer Reihe von Ereignissen geprägt, deren gleichzeitiges Auftreten uns alle vor besondere Herausforderungen stellt:
- Die Ökonomie ist gegenwärtig von rezessiven Tendenzen bei gleichzeitig hoher Inflation gekennzeichnet.
- Die Politik wird zunehmend von Konfrontationen zwischen liberal verfassten Demokratien und autoritär regierten Systemen geprägt.
- Unser Verständnis von der Natur und ihren Limitierungen wandelt sich angesichts der offenkundigen Begleiterscheinungen des Klimawandels.
- Angesichts bahnbrechender Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz steht die technologische Transformation unserer Gesellschaft an einem Scheidepunkt, an dem das technisch Mögliche und das gesellschaftlich Sinnvolle miteinander abgewogen werden müssen.
Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen und sich parallel entfaltenden Entwicklungen wird es immer schwieriger, langfristig tragfähige Entscheidungen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte zu treffen. Unsicherheit und Desorientierung grassieren in Vorständen und Aufsichtsräten. Die sicherste Erwartung, die man von der Zukunft heutzutage haben kann, ist dass die heutigen Krisen durch neue Krisen abgelöst werden – und nicht, dass wir in einen Zustand der Krisenfreiheit eintreten werden.
Unternehmen sollten lernen, mit Krisen umzugehen und ihre Widerstandsfähigkeit optimieren
Diese Sachlage anzuerkennen, bedeutet indes nicht, vor ihr zu kapitulieren. So wichtig ein zielgerichtetes Krisenmanagement für Unternehmen jetzt sein mag, kurzfristige Maßnahmen ersetzen keine langfristigen Perspektiven. Worauf es jetzt ankommt, ist das Ergreifen von Maßnahmen, die geeignet sind, die institutionelle Widerstandsfähigkeit von Organisationen zu stärken. Mit anderen Worten: Wenn das Auftreten von Risiken außerhalb der Steuerungsmöglichkeiten eines Unternehmens liegt, sollten Vorkehrungen getroffen werden, die es Unternehmen ermöglichen, frühzeitig auf diese Entwicklungen zu reagieren.
Wer die geopolitischen Konfrontationen ernst nimmt, propagiert nicht zwangsläufig das „Decoupling“. Wer jedoch eine „single-source“-Beschaffungspolitik betreibt, der begibt sich in Abhängigkeiten, die im Zweifelsfall zu Lieferengpässen führen können. Eine Diversifikation der eigenen Geschäftsbeziehungen ist hier erforderlich und kann (neben der Vermeidung von Risiken) auch neue Chancen im Aufbau von (lokalen) Ökosystemen mit sich bringen.
Was es daher jetzt braucht, ist eine breit angelegte und für Impulse von außen offene Risikoanalyse, welche die unterschiedlichen Entwicklungen und Krisenphänomene evaluiert und mit der unternehmerischen Risikotragfähigkeit in Abgleich bringt, um auf dieser Grundlage gut informierte Entscheidungen in einer von Volatilitäten und Unsicherheiten geprägten Zukunft zu treffen.
Hierzu bedarf es des Mitwirkens einer Vielfalt von Beteiligten – von den die Wertschöpfungskette des Unternehmens kennzeichnenden Funktionen über die Governance-Bereiche bis hin zur gezielten Einbeziehung ausgewählter externer Stakeholder. Es ist diese Vielfalt der Perspektiven, die womöglich zwar die nächste Krise nicht verhindern wird, aber Unternehmen dabei hilft, mit deren Folgen umzugehen, sie zu überleben und gestärkt im Wettbewerb aus ihr hervorzugehen.