Verlust der Biodiversität – das „Zwillingsrisiko“ des Klimawandels

Warum die Erhaltung der Artenvielfalt auch das Risikomanagement von Banken beeinflusst

Keyfacts:

  • Laut dem Wirtschaftsforum gehört der Biodiversitätsverlust neben dem Klimawandel zu den größten globalen Herausforderungen unserer Zeit.
  • Der Verlust der Artenvielfalt betrifft auch Finanzinstitute – bei der Kreditvergabe, ihrer Anlagepolitik oder durch drohende Reputationsverluste sehen sie sich mit hohen Risiken konfrontiert.
  • Es ist daher wichtig, Biodiversität in ihre Risikomanagement-Prozesse aufzunehmen.

Der deutsche Löwenzahn, in vielzähligen europäischen Flüssen beheimatete Störe, afrikanische Elefanten oder Tiger in Asien – mehr als 41 000 Tier- und Pflanzenarten wurden von der Weltnaturschutzunion IUCN im Juli 2022 auf der roten Liste gefährdeter Arten als vom Aussterben bedroht eingestuft. In einem Ökosystem sind Lebewesen bekanntermaßen in ihrer Funktion aufeinander abgestimmt, so dass das Aussterben einer Art nicht folgenlos für das Gesamtsystem bleibt.

Der Living Planet Report 2022 des WWF beschreibt einen weltweiten Rückgang der Wildtierbestände seit 1970 um 69 Prozent, bei Erhöhung der Erderhitzung ist von einer Zunahme des Aussterberisikos auszugehen. Gleichzeitig kurbelt die verminderte Biodiversität durch zum Beispiel immer größere Monokulturen mit verringerter CO2-Speicherung den Klimawandel teufelskreisartig weiter an. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) beschreibt, dass Klima und Biodiversität als Teile desselben komplexen Problems betrachtet werden müssen, welches auch Handlungen, Motivationen und Bestrebungen der Menschen umfasst.

Verlust der biologischen Vielfalt als eines der drei größten Risiken unserer Zeit

Während das Bewusstsein für die Risiken des Klimawandels in der Gesellschaft und auch bei der Politik und Bankenaufsicht steigt und damit sukzessive in den Finanzinstituten zunehmend Entscheidungen prägt, gelangen die Risiken aus dem Verlust der Biodiversität bisher noch sehr langsam in den Diskurs der Finanzmarktakteure. Dabei stuft der Global Risks Report 2022 des Weltwirtschaftsforums den Verlust der biologischen Vielfalt als eines der drei größten Risiken für die kommenden zehn Jahren ein. Auch von Bankenaufsichtsbehörden wird gefordert, neben dem Klimarisiko auch Risiken aus dem Verlust der Biodiversität stärker in die Risikomanagementprozesse zu integrieren.

Politik und Gesellschaft erhöhen den Druck zum Schutz der Artenvielfalt

Ende 2022 steht in Montreal ein UN-Biodiversitätsgipfel auf der Agenda. Entsprechend dem Pariser Klimaabkommen, das die Zeitwende für den Klimaschutz einläutete, soll nun Montreal zum Meilenstein für den Schutz der Biodiversität werden. Es zeichnet sich ab, dass Politik und Gesellschaft den Druck auf die Wirtschaft zum Schutz der Ökosysteme deutlich erhöhen werden. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) sprach bereits Empfehlungen aus, wie der Biodiversitätsverlust in den Regulierungsrahmen integriert werden könnte, allerdings steckt das Risikomanagement in diesem Bereich im Vergleich zu klimabezogenen Themen noch in den Kinderschuhen. Konkrete Klimarisiko-Szenarien, wie sie von NGFS modelliert wurden, liegen für Biodiversitätsrisiken derzeit noch nicht vor.

Auswirkungen auf die Wirtschaft und besonders betroffene Branchen

Biodiversitätsrisiken lassen sich im Vergleich zu Klimarisiken schwerer kalkulieren und managen. Die Zerstörung von Ökosystemen und das Artensterben können nicht auf eine monokausale Ursache zurückgeführt werden, sondern entstehen aus einem komplexen und multidimensionalen Netz aus Risikotreibern. Deshalb lässt sich keine einzelne Handlungsmaxime ableiten, sondern es bedarf mehrerer differenzierter Ansätze.

Aktuell beginnen Akteure an den Finanz -und Gütermärkten, die potenziellen Auswirkungen des globalen Biodiversitätsverlusts anhand verschiedener Szenarien festzustellen und deren Konsequenzen zu verstehen.

Wirtschaftssektoren können sowohl durch ihre Abhängigkeit von Ökosystemleistungen als auch durch ihre Einflüsse auf die Natur einem Biodiversitätsrisiko ausgesetzt sein. Besonders stark abhängig von natürlichem Kapital sind die Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei und Viehzucht, da ihre Produktion und somit auch ihr Output stark auf Ökosystemleistungen beruht.

Andere Sektoren, wie beispielsweise der Energiesektor, das verarbeitende- und das Baugewerbe, der Transportsektor, Bergbau und Rohstoffgewinnung haben besonders negative Einflüsse auf die Natur und fördern daher stark den Biodiversitätsverlust, wodurch auch diese Sektoren von transitorischen Risiken betroffen sein können.

Neben dem Wirtschaftssektor spielt auch die Region eine wichtige Rolle für das Ausmaß des Biodiversitätsverlusts.

Biodiversitätsverlust als Risikotreiber

Der Biodiversitätsverlust als ein gesamthafter Risikotreiber hat im finanzmarktlichen Sinne große Auswirkungen auf physische und transitorische Risiken. Ein physisches Risiko wie Artensterben kann zur Zerstörung von Kapital und zur Unterbrechung von Wertschöpfungsketten führen. Transitorische Risiken entstehen beispielweise durch staatliche Maßnahmen wie Beschränkungen, Quoten und Schwellenwerten, die Unternehmen zum Handeln und zu Investitionen zwingen. Die Betriebskosten erhöhen sich und Aktivitäten müssen verlagert und angepasst werden. Diese Treiber schlagen sich im Kredit-, Marktpreis- Liquiditäts- und operationellen Risiko nieder.

Gemeinsame Betrachtung von Klima- und Biodiversitätsrisiken

Insgesamt ist es für Finanzinstitute wichtig, die wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Kunden zunehmend auf Biodiversitätsrisiken zu analysieren und das Thema fest in ihre Risikomanagementprozesse zu integrieren. Erste Banken berücksichtigen bereits Biodiversitätstreiber in ihrer Risikoinventur oder im Stresstesting – ebenso wichtig ist es, das Thema durch eine „Reputationsrisiko-Brille“ zu betrachten und entsprechend zu handeln.

Insgesamt wird klar, dass der Biodiversitätsverlust als wesentlicher Risikotreiber dem Thema des Klimarisikos nachfolgt und Institute bereits jetzt darauf achten sollten, Klima – und Biodiversitätsrisiken gemeinsam in den Blick zu nehmen, so wie es auch von der EZB bereits mehrfach kommuniziert und eingefordert wurde.

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Mit der Verabschiedung der Sustainable Development Goals (SDGs) und des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen das wohl ehrgeizigste Projekt der Menschheitsgeschichte auf den Weg gebracht: Die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Bei dieser Transformation kommt dem Finanzsektor eine herausragende Bedeutung zu. Denn mit seiner Hilfe lassen sich Kapitalströme in nachhaltige Investitionen lenken und Anreize für ein nachhaltigeres Handeln setzen. Außerdem wird so Nachhaltigkeit zu einem integralen Bestandteil des Risikomanagements und die Transparenz von Finanz- und Wirtschaftsaktivitäten deutlich erhöht.

Um diese Hebelwirkung des Finanzsektors für die gewünschte nachhaltige Transformation zu nutzen, hat die Europäische Kommission 2018 den EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums verabschiedet. Er hat in Verbindung mit der EU-Taxonomie und einer Vielzahl weiterer Gesetze und Verordnungen – insbesondere zur ESG-Berichterstattung (Environment, Social, Governance) – dazu geführt, dass Finanzdienstleister zahlreiche Prozesse umgestalten und ihre Produktangebote neu ausrichten müssen. Dabei sind zahlreiche Entscheidungen zu treffen, die tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen und erhebliche Auswirkungen auf den Unternehmenserfolg und das Geschäftsmodell haben.

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