EU-Retail-Investment-Strategie

Die Balance zwischen überambitionierten Maßnahmen und sinnvollem Verbraucherschutz

Keyfacts:

  • Die Europäische Kommission hat am 24. Mai 2023 ihren Gesetzentwurf für eine Kleinanlegerstrategie (RIS – Retail Investment Strategy) vorgelegt.
  • Die RIS sieht umfassende Anpassungen an den bestehenden regulatorischen Anforderungen vor und wird daher weitreichende Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeiten von Banken in der EU haben.
  • Da der Gesetzentwurf noch beraten wird, besteht kein akuter Handlungsbedarf – die Entwicklungen sollten jedoch beobachtet und frühzeitig durch entsprechende organisatorische Maßnahmen aufgegriffen werden.

Die am 24. Mai 2023 veröffentlichte EU-Kleinanlegerstrategie (RIS – Retail Investment Strategy) wird sich auf die Geschäftsaktivitäten der Banken in der EU deutlich auswirken. Denn die im Gesetzesentwurf vorgesehenen Veränderungen betreffen Inhalte der MiFID, PRIIPS, AIFMD/UCITS, aber auch der IDD und Solvency 2.

Zahlreiche Handlungsfelder betroffen

Die RIS sieht Änderungen insbesondere in folgenden Bereichen vor:

1. Provisionen
Vorgesehen ist ein Teil-Verbot von Provisionen für Dienstleistungen in den Bereichen „Execution Only“ und „Reception and Transmission of Orders (RTO)“. Voraussetzung für eine Provision soll zukünftig das sogenannte „Best-Interest-Prinzip“ sein: Die Beratung soll i) auf einer angemessenen Produktpalette aufgesetzt sein, ii) das kosteneffizienteste Produkt dieser Palette thematisieren und iii) mindestens ein Alternativprodukt zur Auswahl stellen.

2. Product Governance – Pricing und Benchmarking
Mit dem „Value-for-Money-Konzept“ soll ein neuer Pricing-Prozess in das Product-Governance-Rahmenwerk von Produktentwicklern und -anbietern Einzug halten. Ziel ist es, Produkte mit geringem „Value for Money“ für Kleinanleger zu begrenzen. Setzt sich das „Value-for-Money-Konzept“ durch, erfordert dies, dass das entsprechende Produkt mit einer breiten Benchmark mit Blick auf Kosten und Performance verglichen wird.

3. Kundenklassifizierung – Professioneller Kunde
Die Opt-in-Kriterien für eine Einstufung als Professioneller Kunde sollen abgeschwächt oder erweitert werden. Vorgeschlagen wird, das Vermögenslimit von 500.000 Euro auf 250.000 Euro zu reduzieren und bei der Kundenklassifizierung ein weiteres Kriterium (Kenntnisse/Ausbildung) zu berücksichtigen.

4. Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung
Unabhängige Berater:innen, die Beratungsleistungen zu gut-diversifizierten, nicht-komplexen und kosteneffektiven Produkten erbringen, sollen eine Art „Suitability-light-Regime“ anwenden dürfen. Allerdings soll die Geeignetheitsprüfung durch ein weiteres Kriterium zur Portfoliodiversifizierung ergänzt werden.

Bei der Angemessenheitsprüfung ist vorgesehen, Elemente der Verlusttragfähigkeit und der Risikotoleranz zu implementieren. Außerdem soll bei negativer Angemessenheitsprüfung eine explizite Kundenaufforderung zur Transaktionsfortführung eingeholt werden. Darüber hinaus sollen die Sachkundeanforderungen an Anlageberater erhöht werden.

5. Veröffentlichungen und Transparenz
Um die Standardisierung und Transparenz zu erhöhen, sieht die RIS Anpassungen diverser MiFID-Veröffentlichungen vor. Hierzu zählen beispielsweise standardisierte Formate für Kosteninformationen, angemessene Risikowarnhinweise für risikoreiche Produkte sowie Warnhinweise zur Erläuterung innerhalb der Geeignetheits- und Angemessenheitsprüfung.

6. Marketing
Um Irreführungen zu vermeiden, sollen in den Marketingunterlagen die Kriterien Eindeutigkeit, Klarheit und Deutlichkeit eine noch größere Bedeutung erhalten. Außerdem sollen neue digitale Möglichkeiten bei der Bereitstellung der Marketing-Materialien genutzt werden.

7. Finanzielle Allgemeinbildung
Letztlich sieht die RIS auch die Einführung von Maßnahmen zur Förderung der finanziellen Allgemeinbildung von Kleinanlegern vor.

Potenzielle Überforderung der Kleinanleger durch komplexe Prozesse

Die RIS (wenn auch noch nicht final) beschreibt somit wesentliche Änderungen an bestehenden Prozessen und Aufgaben im Kleinanlegerschutz. Das wirft die Frage auf, ob es sich um überambitionierte Maßnahmen (nach dem vorerst zurückgezogenem Provisionskomplettverbot) oder tatsächlich um sinnvolle Aspekte zur Stärkung des Verbraucherschutzes handelt.

Einerseits können komplexer werdende Prozesse und Anforderungen zu einer Überforderung der Kleinanleger führen. Ein aufwendiger Investmentprozess mit zusätzlichen Schritten und Prüfungen könnte das gesetzte Ziel einer Stärkung des Verbraucherschutzes möglicherweise behindern. Denn lange und aufwendige Prozessschritte könnten Verbraucher:innen weiter verwirren oder entmutigen und gleichzeitig bedeuten sie für die Finanzakteure noch mehr operativen und technischen Aufwand.

Frischer Wind für Digitalisierung und Standardisierung von Informationsformaten

Auf der anderen Seite begrüßen wir weitere Ambitionen in Richtung Digitalisierung und Standardisierung von Informationsformaten. So gesehen hätte die RIS womöglich bereits viel früher eingeführt werden können, um eine Vergleichbarkeit zu erzielen und einen Marktstandard zu setzen. Wir begrüßen, dass die Bedeutung der allgemeinen Finanzbildung betont wird. Allerdings führen die gesteigerten Anforderungen und die Notwendigkeit, sie nachzuweisen, auch zu mehr Schulungsaufwand und höheren Kosten für die Finanzbranche.

Veränderungsbedarfe frühzeitig aufgreifen

Der vorgelegte Gesetzentwurf wird in den kommenden Monaten im Europäischen Parlament und im Rat der EU intensiv geprüft und beraten. Zu erwarten ist, dass sich im Laufe der Beratungen noch diverse Veränderungen im Gesetzentwurf ergeben werden und sich der Abstimmungsprozess mindestens ein Jahr hinziehen wird.

Bereits heute ist jedoch zu erkennen, dass sich durch die RIS vorgeschlagenen Veränderungen umfassender Handlungsbedarf für die Banken in der EU ergeben wird. Zu empfehlen ist daher, diese Veränderungsbedarfe frühzeitig zu analysieren und vorzubereiten, damit die nötigen Umstellungen ohne Beeinträchtigung des laufenden Geschäftsbetriebs vorgenommen werden können.