Kognitive Vertragsdaten­extraktion im Rahmen der IBOR-Reform

IBOR-Reform: Kognitive Vertragsanalyse

IBOR-Reform macht KI-basierten Vertrags-Check notwendig

Die Ära der in die Kritik geratenen IBOR-Referenzzinssätze geht zu Ende. Spätestens 2022 sollen nur noch risikofreie Referenzzinssätze genutzt werden. Von diesen Veränderungen sind fast sämtliche Finanzprodukte mit einer variablen Verzinsung betroffen wie auch festverzinsliche Kredite mit eingebetteten Kündigungsrechten, die von variablen Zinsen abhängen. Welche es genau sind, zeigt die KI-basierte Lösung von KPMG.

Die IBOR-Referenzzinssätze (Interbank Offered Rates) gerieten 2011 durch den LIBOR-Skandal weltweit in die Kritik. Verschiedene Marktteilnehmer hatten über Jahre hinweg die Referenzzinssätze manipuliert und damit den Bedarf nach einer Reform offenbart. Supranationale Gremien und Zentralbanken stießen in der Folge die IBOR-Reform 2012 auf globaler Ebene an.

Das Resultat: Ab 2022 sollen nur noch sogenannte risikofreie Referenzzinssätze bei zinsabhängigen Produkten und Finanzinstrumenten unterlegt werden: Die risikofreien Zinssätze sollen robust, zuverlässig, repräsentativ und nicht manipulierbar sein.

Hier werden IBOR-Referenzzinssätze eingesetzt

IBOR-Referenzzinssätze bestimmen die Konditionen, zu denen sich Finanzdienstleister in den wichtigsten Handelswährungen für Laufzeiten bis zu einem Jahr im Interbankenhandel unbesichert Geld leihen können. Die Größe des Marktes für Finanzkontrakte, die sich auf die betroffenen Referenzzinssätze beziehen, ist riesig – börsengehandelte und OTC-Derivate, Anleihen, Kredite, Verbriefungen, Geldmarktprodukte und Einlagen im Wert von umgerechnet Hunderten Billionen Euro hängen direkt oder indirekt an den IBORs.

Die Bedeutung der IBORs geht aber noch weiter: Zahlreiche Bewertungsmodelle verwenden zur Diskontierung und zur Ermittlung von Forward-Sätzen IBOR-basierte Zinskurven. Bei der Verzinsung von gestellten Sicherheiten im Rahmen des bilateralen oder zentralen Clearings werden Overnight-Sätze verrechnet, die ebenfalls im Rahmen der IBOR-Reform angepasst werden.

Herausforderungen der IBOR-Reform

Daher sind fast sämtliche Finanzprodukte mit einer variablen Verzinsung, die über 2021 hinauslaufen, direkt von der IBOR-Reform betroffen. Darüber hinaus tangiert sie auch Festzinsprodukte, wie festverzinsliche Kredite mit eingebetteten Kündigungsrechten, die von variablen Zinsen abhängen.

Das Problem daran: Bisherige Referenzzinssatz-basierte Finanzprodukte und Finanzinstrumente haben meistens keine Regelungen für den dauerhaften Wegfall dieser Zinssätze. Eine Verpflichtung zur Aufnahme von Ausweichregelungen in Verträge bestand bis zum Inkrafttreten der neuen EU-Benchmark-Verordnung Anfang 2018 nicht.

Um herauszufinden, welche Verträge von den Änderungen betroffen sind, ist eine Analyse der entsprechenden Abschnitte nötig. Spezifische Regelungen in den Verträgen und anderen Instrumenten, die zur Anwendung kommen, wenn der IBOR nicht verfügbar ist, sind dabei eine besondere Herausforderung bei der Analyse. Diese sogenannten Rückfallklauseln sind in einer Vielzahl von Verträgen, die auf einen IBOR verweisen, enthalten. Die Rückfallklauseln sind selten in einem System hinterlegt.

Und an dieser Stelle wird es kniffelig. Viele der Verträge stehen noch auf Papier gedruckt im Regal. Oder sind zumindest digitalisiert, aber nicht digital ausgewertet. Das bedeutet unterm Strich, keine Bank kann auf Knopfdruck ermitteln, was in den ganzen Verträgen bezüglich der Referenzzinssätze steht und dementsprechend gibt es auch keine Möglichkeit darauf zu reagieren.

Damit die entsprechenden Vertragsabschnitte verbessert werden können, müssen die Institute aber wissen, welche Verträge betroffen sind, wie genau diese Abschnitte und Rückfallklauseln gestaltet sind und welche Maßnahme ergriffen werden muss. Eigentlich eine Aufgabe für einen Juristen, da Rechts- und ökonomische Risiken für die Institute bestehen. Doch der Einsatz von Juristen für das Durchforsten Tausender Verträge ist langwierig und würde die Kosten über die Maßen strapazieren.

Mit Machine Learning Verträge analysieren

Das Ziel ist es daher, möglichst automatisiert die Vielzahl an Verträgen zu analysieren und alle von der IBOR-Reform betroffenen Stellen zu extrahieren. Wir haben dafür eine Lösung entwickelt, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Auf diese Weise können alle benötigten Informationen in den relevanten Verträgen identifiziert und extrahiert werden, um potenzielle Chancen und Risiken bewerten zu können.

Dafür werden in einem ersten Schritt alle infrage kommenden Verträge maschinenlesbar gemacht. Das bedeutet, sie werden digitalisiert und in ein maschinenlesbares Format überführt, um sie für die Analyse vorzubereiten. In einem zweiten Schritt werden dann die gewünschten Vertragsattribute aus den Verträgen extrahiert. Bei diesem Verfahren werden abhängig von der Art des Attributes unterschiedlichste Algorithmen verwendet, die für jedes Projekt individuell fein justiert werden.

Gezieltes Training optimiert die Ergebnisse

Das Machine Learning ist dabei die wichtigste Komponente. In einer Trainings- und Aufbauphase wird die Technik befähigt, in der gewünschten Sprache Verträge zu analysieren. Dafür muss im Vorfeld jedoch erstmal der Maschine „antrainiert“ werden, wonach sie suchen soll. Pro Vertragstyp und Sprache müssen abhängig von der Grundgesamtheit, Heterogenität und Komplexität der Verträge eine bestimmte Anzahl Dokumente definiert werden, um das System auf einem Testdatensatz zu trainieren. So kann die Qualität kontrolliert und optimiert werden.

Kunden und KPMG arbeiten in der Trainingsphase für jede Art von Dokumententypen zusammen, um einen „Lösungsschlüssel” festzulegen, der die relevanten Informationen und Interpretationen beinhaltet. Im Anschluss trainiert das KPMG Lighthouse Team zusammen mit Experten für Finanzprodukte und vertragliche Fragestellungen die KPMG KI-Lösung auf den spezifischen Anwendungsfall und der erforderlichen Messgenauigkeit.

Da oft die Rückfallklauseln nicht explizit im Vertrag benannt sind, identifiziert der Algorithmus durch sprachstrukturelle Analyse die entsprechenden Abschnitte anhand der Sprachmuster. Daher kommen in diesem Prozess zudem Experten für vertragliche Fragestellungen, IT-Experten und Sprachspezialisten zum Einsatz, um die Präzision der Ergebnisse zu erhöhen. Nachdem die Trainingsphase abgeschlossen ist, erledigt die Maschine die Arbeit.

Das leistet die KPMG-Lösung:

  • Automatisierte Interpretation von Vertragsspezifika wie Rückfallklauseln
  • Identifikation von nicht-standardisierten und komplexen Geschäften
  • Identifikation von allen gängigen wie relevanten variablen Zinssätzen, die an einen Index gebunden sind
  • Bearbeitung von allen Dokumenten mit variablen Zinsindizes, inkl. Derivatvereinbarungen, kommerziellen Darlehen und Privatkundenkrediten
  • Priorisierung der Verträge für eine strukturierte Bearbeitung
  • Testen und validieren von Vertragsänderungen
  • Visualisierung der Betroffenheit nach verschiedenen Gesichtspunkte

Wir bieten Kunden damit eine automatisierte Verarbeitung, die die Verträge und Vereinbarungen liest, bewertet und die Ergebnisse in ein strukturiertes Format bringt. Auf diese Weise können Banken und andere Finanzdienstleister die Herausforderungen bewältigen, die durch die bevorstehende IBOR-Transformation resultieren.