Kurzfristige NGFS-Szenarien für Klimarisiken: Segen und Fluch für Banken
Kurzfristige NGFS-Szenarien für Klimarisiken: Segen und Fluch für Banken
Was das neue Veröffentlichungspaket leistet und was Institute jetzt tun sollten
Keyfacts:
- Mit den neuen kurzfristigen Klimarisikoszenarien des NGFS entsteht ein neuer Maßstab, an dem Banken sich messen lassen müssen.
- Das Paket bietet Orientierung für das Entwickeln institutsspezifischer Narrative und Methoden.
- Es ist aber kein Allheilmittel für das ESG-Stresstesting in Banken – die Institute müssen weiter auf ihr Risikoprofil angepasste Lösungen finden, insbesondere im Hinblick auf neue EBA-Anforderungen.
Es ist ein deutlicher Schritt nach vorn – dennoch bleibt viel zu tun: Mit seiner jüngsten, an Aufsichtsbehörden gerichteten Veröffentlichung liefert das Network for Greening the Financial System (NGFS) erstmals Szenarien speziell für einen kurzfristigen Zeithorizont von bis zu fünf Jahren. Banken können sich davon keine fertigen Lösungen für ihr Risikomanagement erwarten. Dennoch sollten sie sich mit den Szenarien auseinandersetzen, weil diese in kommende Aufsichtstätigkeit einfließen werden und Impulse für die Weiterentwicklung der eigenen Lösungen bieten.
Worum geht es? Im Rahmen des Internen Kapitaladäquanzprozesses (Internal Capital Adequacy Assessment Process, ICAAP) sind Banken dazu verpflichtet, kurzfristige Effekte und damit verbundene Risiken für ihr Geschäft aus geeigneten Klimarisikoszenarien abzuleiten. Dafür werden bisher häufig Langfrist-Szenarien des NGFS genutzt.
Blinde Flecken: Extremwetter oder Disruption in Langfrist-Szenarien nicht berücksichtigt
Für das Erfassen realistischer kurzfristiger Risiken sind die Langfrist-Szenarien des NGFS aber kaum geeignet: Narrative und Methoden sind auf langfristige Effekte im Energiesektor ausgelegt – mit einem Projektionszeitraum bis zum Jahr 2100.
Auswirkungen kurzfristig relevanter Effekte werden nicht berücksichtigt. Dazu zählen insbesondere Folgen akuter Extremwettereignisse, von disruptiven Entwicklungen wie Technologietransformationen, Wechselwirkungen mit anderen, zum Beispiel geopolitischen Krisen oder Folgen zunehmender Politikunsicherheit und steigender Marktvolatilitäten. Dass diese Effekte außen vor bleiben, schwächt die darauf basierende Risikobewertung der Institute.
Darüber hinaus ist die konsistente integrierte Betrachtung von Makro-Auswirkungen und Mikro-Effekten auf die Unternehmenskunden für Banken in aller Regel eine wesentliche Herausforderung.
Einige dieser Punkte nimmt das NGFS nun in seinem neuen, an Aufsichtsbehörden gerichteten Paket von kurzfristigen Klimaszenarien auf. Für Banken bietet das Paket Ansatzpunkte für eine Diskussion mit dem Ziel, eine bessere Grundlage für die Bewertung kurzfristiger Risiken im institutsspezifischen Kontext zu schaffen.
Schritt nach vorn: Kurzfristige Szenarien werden für viele Länder und Branchen modelliert
Die kurzfristigen Szenarien des NGFS nehmen in vier Narrativen einen Fünf-Jahres-Horizont in den Blick und greifen grundsätzlich zentrale Einflussfaktoren wie politische Entscheidungen, Technologie, Konsumentenverhalten und akute Extremwetterereignisse auf. Sie beschreiben entlang dieser Einflussfaktoren die wichtigsten Archetypen von Klimarisikoszenarien.
Im quantitativen Ansatz verknüpft das NGFS die Makro-Modellierung konsistenter Entwicklungen zentraler Variablen mit einer Mikro-Modellierung von Unternehmen, wobei erstmals sektor- und länderspezifische Ausfallwahrscheinlichkeiten und Credit Spreads abgeleitet werden. Makro- und Mikro-Effekte sowie deren Interaktion werden in der Quantifizierung konsistent berücksichtigt.
Dabei werden direkte Effekte aus transitorischen und physischen Schocks und über Lieferketten entstehende Spillover-Effekte in anderen Ländern und Sektoren abgebildet.
Noch nicht im Ziel: Disruptive Veränderungen und wichtige Transmissionskanäle nicht abgebildet
Wer aber gehofft hat, dass das NGFS mit seiner neuen Publikation die Probleme der Banken im ESG-Stresstesting löst, wird enttäuscht. In den Narrativen werden weiter keine Risiken betrachtet, die sich plötzlich, also aus disruptivem technologischem Wandel (zum Beispiel bei Speichertechnologien) oder plötzlich veränderten Kundenpräferenzen ergeben.
Ebenfalls bleiben die durch (geo-)politische Unsicherheiten bedingte Volatilität der Transformationspfade und deren technologiespezifischen und gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen in den aktuellen Narrativen unberücksichtigt. Im deutschen Kontext wurden die Unsicherheiten in der Vergangenheit etwa durch die wiederholten Änderungen am Gebäudeenergiegesetz, die zahlreichen Novellierungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes oder die Diskussion um ein mögliches Verbrenner-Verbot getrieben.
Gänzlich außen vor bleiben Risiken aus den sogenannten grünen oder sauberen Technologien (etwa das Platzen einer grünen Investitionsblase). Ebenfalls nicht abgebildet wird die Interaktion von Klimarisiken mit anderen makroökonomischen Effekten und Krisen.
Solche Wechselwirkungen können aber zu deutlich stärkeren adversen Effekten führen, zum Beispiel bei relevanten Lieferkettenengpässen (etwa durch den Einbruch von Rohstoffexporten aus von Extremwetterereignissen betroffenen Regionen und gleichzeitigen geopolitischen Blockaden von Lieferwegen für alternative Quellen).
Der quantitative Modellierungsansatz ist zwar ein deutlicher Schritt nach vorn, deckt aber bei Weitem noch nicht alle für Banken wesentlichen Risikoaspekte ab. So unterstellt die Makro-Modellierung im Wesentlichen eine mittel- bis langfristige Anpassung. Effekte kurzfristiger Turbulenzen und Friktionen könnten dadurch unterschätzt werden (Beispiele hierfür wären verzögerte Anpassungen durch Genehmigungsverfahren oder Bauzeiten).
Potenziell wichtige Transmissionskanäle wie Änderungen von CO2- und Energiepreisen (etwa für die Stahlindustrie) und entsprechende Anpassungskosten, die für Banken auch bei der Analyse einzelner Kunden wichtig sind, sind in der Mikro-Modellierung unzureichend berücksichtigt. Retail- und Interbankengeschäft werden bislang gar nicht betrachtet.
ESG-Stresstests weiterentwickeln: NGFS-Impulse aufgreifen und Lücken schließen
Unabhängig von den weiter offenen Punkten stellt das Paket des NGFS einen neuen Maßstab dar, an dem die Aufsicht Banken messen wird. Einige Banken beginnen deshalb bereits heute, die Implikationen für das eigene Stresstestprogramm zu untersuchen.
Klimarisiko- und ESG-Stresstests müssen weiterentwickelt und stärker in den ICAAP, die Geschäftssteuerung und weitere Prozesse integriert werden – auch um entsprechende aufsichtliche Erwartungshaltungen zu erfüllen. Das Paket kann dazu beitragen, einzelne Aspekte neuer Anforderungen der European Banking Authority (EBA) an ESG-Stresstests zu adressieren. Außerdem liefert es wichtige Impulse für Szenarien, Benchmarks und eine methodische Orientierung für die eigenen internen Ansätze.
Das Paket des NGFS kann jedoch keine fertige Lösung liefern, der alle für das jeweilige Institut wichtigen spezifischen Risikotreiber und Transmissionskanäle berücksichtigt. Diesen passgenauen Ansatz zu entwickeln, bleibt nach wie vor eine vielschichtige Herausforderung.
Institute sollten ausgehend von Risikoinventur und ESG-Materialitätsanalyse in einem ersten Schritt prüfen, welche nützlichen Impulse sie aus dem neuen Paket im Hinblick auf ihre Szenario-Narrative und interne Modellierung ableiten können, und für welche Risikotreiber und Transmissionskanäle sie darüber hinaus eigene Lösungen entwickeln müssen.