Immer mehr Sanktionen: So gehen Banken mit zunehmenden False Positives um

Sanktionen: Umgang mit False Positives

Gegen die steigenden Zahlen von Fehlsignalen helfen gut trainierte KIs.

Keyfacts:

  • Beim Erkennen von Verstößen gegen Sanktionsvorschriften ist der Anteil von Fehlsignalen, sogenannten False Positives, vergleichsweise hoch.
  • Im aktuellen politischen Umfeld steigt die Zahl der Sanktionsvorgaben weiter an – das erhöht auch den manuellen Pflegeaufwand deutlich.
  • Systeme künstlicher Intelligenz können die Daten verbessern, den Menschen Arbeit abnehmen, Prozesse beschleunigen und Kosten sparen.

    Prozessautomatisierung ist ein wichtiger Schlüssel zu einem effizienten Compliance Management. Aber wie sollen Unternehmen damit umgehen, wenn die eingesetzten Tools zum Beispiel Bewohner einer Richard-Wagner-Straße in einer deutschen Stadt mit Angehörigen der russischen Söldnergruppe Wagner verwechseln?

    Anfang Februar kündigte die Europäische Union (EU) an, die Sanktionen gegen Russland noch einmal auszuweiten. Nur wenige Tage zuvor hatte die EU bekanntgegeben, weitere Maßnahmen gegen Iran ergreifen zu wollen. Die Sanktionspakete werden in beiden Fällen also umfangreicher – und betreffen unter anderem Banken, vermögende Personen, politische Eliten und weitere Gruppen – wie etwa die eingangs erwähnte Söldnergruppe.

    Nicht nur Russland oder Iran – Zahl der Sanktionen steigt und steigt

    Grundsätzlich findet man auf Sanktionslisten seit jeher zwar Drogenbosse, Terroristen und Despoten – aber eben auch Unternehmen, Industrieprodukte, Länder oder Gruppierungen. Und mit den aktuellen geopolitischen Spannungen verschärft sich ein schon langer zu beobachtender Trend: Zwischen 2000 und 2021 verzehnfachte sich zum Beispiel die Anzahl der Sanktionen der Vereinigten Staaten von 912 auf 9421 – so die Zahlen der zuständigen Behörde OFAC (Office of Foreign Assets Control). Und darin sind die umfangreichen Russland-Sanktionen, die größtenteils erst 2022 verhängt wurden, noch gar nicht enthalten.

    Die Gründe für den Anstieg liegen auf der Hand: Sanktionen werden als ein politisches und wirtschaftliches Druckmittel verwendet, und sie verändern sich immer schneller. Die Menge und der Umfang der sanktionierten natürlichen und juristischen Personen befinden sich auf einem Höhepunkt, und eine Trendumkehr ist aktuell nicht absehbar.

    Banktransaktionen: Sanktionsverstöße werden ab dem ersten Cent geahndet

    Die Banken wollen Verstöße gegen die Sanktionsvorgaben um jeden Preis vermeiden. Deshalb sind die Filterkriterien, die zum Beispiel in der Vorabprüfung von Finanztransaktionen zur Identifikation von sanktionierten Personen eingesetzt werden, sehr streng. Das führt aber auch dazu, dass eine sehr große Anzahl an Transaktionen fälschlicherweise als sanktioniert eingestuft wird.

    Dadurch stehen die Unternehmen vor einem Dilemma mit weitreichenden Konsequenzen: Sie müssen sich entscheiden zwischen ungerechtfertigten Ablehnungen von Zahlungen und aufwendigen manuellen (Nach-) Kontrollen.

    Hoher menschlicher Pflegeaufwand von Fehlsignalen (False Positives)

    In der Regel entscheiden sich die Unternehmen für die zweite Variante. Das Ergebnis: Der manuelle Aufwand erhöht sich mit jeder neu eingestellten Sanktion – das ist das, was wir derzeit in den Finanzinstituten erleben. Die Pflege der Fehlsignale, der sogenannten False Positives, bindet beträchtliche Ressourcen, und zwar die teuersten: die von Menschen. Durch kluge Algorithmen könnte man die Zahl der Fehlsignale deutlich verringern. Oder man könnte sie zumindest clustern und somit den manuellen Pflegeaufwand deutlich senken.

    Aber löst die Maschine all diese Probleme? Ohne tiefgreifendes Verständnis der zugrundeliegenden Zusammenhänge und Prozesse und die Erfüllung der Grundvoraussetzungen kann künstliche Intelligenz (KI) das nicht. Sie ist kein Allheilmittel. Für einen maximalen Nutzen muss KI im Umfeld von Sanktionsscreenings zunächst auf realen Daten trainiert werden.

    Daten ohne Dialekt – die Maschine richtig trainieren und füttern

    Obwohl die meisten Menschen bei Data Analytics und Data Science an komplexe Algorithmen denken, die aus einem abstrakten Input ein geordnetes und nutzbares Ergebnis erstellen, bleibt dabei oft das Herzstück solcher Analysen außer Acht: Daten.

    Daten sind aber der Dreh- und Angelpunkt einer jeden Machine-Learning-Anwendung und haben einen maßgeblichen Einfluss auf ihre Leistungsfähigkeit. So wie wir einander besser verstehen, wenn unsere Kommunikation beispielsweise nicht durch Dialekte oder uns gänzlich unbekannte Sprachen erschwert ist, so braucht auch der Computer eine klar strukturierte und bereinigte Datenbasis, um ein optimales Verständnis der Zusammenhänge in den vorliegenden Daten zu entwickeln.

    Ebenso verhält es sich mit dem Umfang der Datenbasis, die Computer benötigen, um den Kontext besser verstehen zu können. Somit sind eine hochqualitative Datenbasis der Transaktions- und Geschäftspartnerdaten, die verwendeten Sanktionslisten und eine gute Historie das A und O jeder Machine-Learning-Anwendung.

    Es könnte so einfach sein…

    Eine einfache, für alle Fälle gleiche Lösung gibt es dabei nicht. Mit Blick auf KI müssen wir feststellen: Wir bekommen die richtigen Antworten nur dann, wenn wir auch die richtigen Fragen stellen. Also müssen erst einmal die Fragestellungen, die wir an die Maschine richten, verstanden und klassifiziert werden. Je mehr sich Menschen bei der Entwicklung der Algorithmen mit den zugrundeliegenden Strukturen auseinandersetzen, umso mehr Chancen haben sie am Ende, eine gute KI zu trainieren.

    Dabei ist es essenziell, geeignete und bestenfalls attributspezifische Metriken zu definieren. So können beispielsweise die üblichen distanzbasierten Scoring-Verfahren allein (zum Beispiel das Levenshtein-Distanz- oder das Jaro-Winkler-Distanz-Verfahren) zu einer sehr hohen Zahl von Signalen führen. Durch die Verwendung von zusätzlichen Metriken (wie die Klassifizierung oder Durchschnittsvergleiche der Attributstypen) kann die Anzahl von Fehlsignalen aber verringert werden.

    …leider ist es das nicht

    Zuletzt dürfen die regelmäßige Evaluierung der Modellergebnisse und die Verbesserung des verwendeten Algorithmus nicht vergessen werden. Und so lässt sich der Prozess der KI-Verwendung für das Erkennen von False Positives am besten mit dem Leitspruch „Per aspera ad astra“ – frei übersetzt „Durch Mühe gelangt man zum Erfolg“ – zusammenfassen.