Marktverwerfungen an den Kapitalmärkten

Mit Szenarioanalysen die Risikosteuerung optimieren

Keyfacts:

  • Die Marktturbulenzen im Jahr 2022 trafen viele Banken härter als in ihren Stressszenarien angenommen und führten zu Verlusten.
  • Beim Stresstesting nur auf historische und regulatorische Szenarien zu schauen, kann zu kurz gedacht sein.
  • Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise ist ein robustes Stresstesting-Rahmenwerk elementar: Es enthält geschäftsmodellspezifische Aspekte und bindet Expert:innen über Abteilungsgrenzen hinweg ein.

Als Folge des Russland-Ukraine-Kriegs und der Probleme in internationalen Lieferketten kam es 2022 zu erheblichen Turbulenzen im Kapitalmarkt. Das führte zu einer rapiden Zinswende, höherer Inflation und Volatilitäten in Credit Spreads und anderen Marktfaktoren.

Die Auswirkungen waren direkt spürbar für viele Banken, da sie die Verluste in Millionenhöhe aufgrund von Bewertungseffekten verbuchen mussten. Insbesondere Banken, welche eine stabile oder rückläufige Zinserwartung hatten, mussten deutliche Verluste hinnehmen, da sie sich nicht gegen die Möglichkeit eines Zinsanstiegs ausreichend abgesichert haben.

Marktturbulenzen stellen die Stressannahmen der Banken in Frage

Die Verluste in der PnL (Profit and Loss / Gewinn und Verlust) deuten auf Schwächen in der Risikomessung und Steuerung bei Banken hin – sie haben diese Auswirkungen nicht angemessen antizipiert und ausgesteuert. Als eine wesentliche Schwäche in den Risikomethoden zeigte sich ein adäquates Stresstesting, das seitdem stärker in den Fokus gerückt ist.

Stresstesting ermöglicht es Banken, Risiko- und Ertragszahlen in einem simulierten (marktweiten oder spezifischen) Stressszenarios zu messen und zu steuern. Obwohl viele Banken ihre Stresstest-Rahmenwerke, unter anderem als Folge neuer EBA-Richtlinien (u.a. EBA/GL/2018/04), ausgebaut haben, betrachten sie Stresstests häufig nur als regulatorische Pflichtübung und messen ihnen in der internen Risikomessung und -steuerung einen geringeren Wert bei.

Das ist aus unserer Sicht zu kurz gedacht, da gerade die Simulation geschäftsmodellspezifischer Stresstests wertvolle Steuerungsimpulse liefern können, die wesentlichen PnL-Schwankungen entgegenwirken.

In der Praxis zeigt sich der unzureichende Fokus auf Stresstests häufig darin, dass die ermittelten Stressfaktoren nicht ausreichend konservativ sind und wesentliche Risikofaktoren nicht berücksichtigt werden. So werden beispielsweise selten kombinierte Szenarien berechnet, in welchen die Zusammenhänge zwischen Marktfaktoren, Volatilitäten und Bilanzkennzahlen ökonomisch sinnvoll berücksichtigt werden.

Wir sehen unter anderem Schwachpunkte hinsichtlich

  • der Höhe der angenommenen Stressfaktoren und -ausprägungen (geringer als historisch beobachtet);
  • der Berechnung kombinierter Stresstests, in welcher ein ökonomisch sinnvolles Szenario (unter Berücksichtigung von Korrelationen) angemessen simuliert werden kann;
  • eine fehlende Verzahnung der Stresstests mit der strategischen Geschäftsplanung;
  • eine unzureichende Berücksichtigung von Stresstests mit Bezug auf Risikofaktoren der Bilanz und Bilanzkennzahlen und
  • die Berechnung von graduellen Szenarien, in welchen die zeitliche Komponente angemessen berücksichtigt werden, etwa in Form angemessener Zinspfade, Trends in Aktien- / Bondmärkten und Inflation.

Die Erfahrungen aus den turbulenten Ereignissen im Kapitalmarkt im Jahr 2022 haben gezeigt, dass unzureichende Stresstests bei Banken zu Fehlsteuerungen und handelsrechtlichen Problemen führen können. Um solche Fehlentwicklungen künftig zu vermeiden, ist es wichtig, dass die Definition sinnvoller Stresstests von Expert:innen aus verschiedenen Bereichen vorgenommen wird. Unserer Erfahrung nach erfolgt die Stresstest-Definition häufig noch in den risikoartenbasierten Silos und Expert:innen aus anderen Bereichen, wie etwa Finanzbuchhaltung, Finanzcontrolling und Unternehmensplanung, werden selten einbezogen. Deren Fachwissen zu Risiken der Bilanz, Ergebnisrechnung und Planung könnte jedoch wichtige Hinweise zu Stressfaktoren und -abhängigkeiten liefern.

Die Aufsicht rückt das Thema vermehrt in den Fokus

Als Folge der Marktentwicklungen rückt auch die europäische Aufsicht das Thema mehr und mehr in den Fokus ihrer Überlegungen. So wurden in vergangenen Vorträgen der Aufsicht die häufig zu geringen Schockfaktoren, insbesondere für Credit Spreads, kritisiert (s. auch Keynote Speech „Bankenaufsicht im Dialog“ vom 08.11.2022). Es kam vermehrt zu Datenabfragen bei Banken, welche als besonders gefährdet betrachtet wurden.

Ein wesentliches Thema für die Zukunft sind die ökonomisch sinnvolle Definition von Szenarien und die Berücksichtigung von Abhängigkeiten (z.B. zwischen Zins, Credit Spreads und Inflation). Perspektivisch wird hier vor allem das Thema ESG stärker in den Fokus rücken. Aktuell haben vielen Banken noch Schwierigkeiten damit, Nachhaltigkeitsaspekte in ihren Stressszenarien zu berücksichtigen.

Beispiel IRRBB und CSRBB

Eine Sonderstellung im Rahmen des Stresstestings nehmen häufig die Zinsänderungsrisiken des Anlagebuchs (IRRBB) ein. Die Steuerung der Zinsrisiken in der barwertigen und periodischen Sicht basiert hier bei vielen Banken primär auf regulatorisch definierten Standardzinsschocks („EBA-Szenarien“), mit vorgegebenen Schockfaktoren. Die Historie zeigt jedoch, dass die hier angenommenen Zinsschocks (z.B. ±200 Basispunkte) nicht so konservativ sind wie angenommen. Wenn sich Banken nur auf die regulatorischen Szenarien beschränken, besteht das Risiko, dass sie die tatsächlichen finanziellen Risiken unterschätzen.

Die Anforderungen an das Credit-Spread-Risiko wurden außerdem an jene für Zinsrisiken angeglichen. Auch hier werden viele Banken nachbessern müssen, um die Risikomessung und -steuerung auf eine stabile Grundlage zu stellen. Vor dem Hintergrund des steigenden Fokus auf das Thema, gehen wir davon aus, dass in Zukunft mehr Banken „Green Bonds“ und ESG-Risiken in ihre Stressszenarien aufnehmen werden.

Erfolgsfaktoren für ein zukunftsfähiges Stresstesting

Die jüngsten Verwerfungen an den Märkten zeigen, wie wichtig angemessenes Stresstesting im Marktpreisrisiko ist. Bei den Simulationsrechnungen handelt es sich nicht nur um eine „regulatorische Übung“, sondern um einen wichtigen Steuerungsimpuls, welcher es den Banken ermöglicht, ihr Risikoprofil besser zu verstehen und sich gegen adverse Eigenkapital- und PnL-Effekte zu schützen. Erfolgsfaktoren für einen zukunftssicheren Stresstest-Lösungsansatz sind dabei vor allem:

  • eine Überarbeitung der Prozesse zur Szenario-Ableitung, in welcher auch geschäftsmodellspezifische Aspekte explizit berücksichtigt werden;
  • eine explizite Berücksichtigung von Korrelationen und Abhängigkeiten zwischen den Stressfaktoren, um ökonomisch sinnvolle Szenarien abzuleiten;
  • eine Einbindung von Expert:innen über Abteilungsgrenzen hinweg, um das notwendige Know-how sicherzustellen sowie
  • eine saubere Governance für Erstellung, Review und Dokumentation der Szenarien.

Aus unserer Sicht wäre ein (jährlicher) Workshop-basierter Ansatz erforderlich: Expert:innen aus den Bereichen Risiko, Treasury, Finanzbuchhaltung und Finanzcontrolling reviewen die Stresstests und ergänzen sie bei Bedarf. Das bricht mit aktuellen Silo-Ansätzen und definiert ökonomisch sinnvolle Szenarien.

Am Markt beobachten wir, dass erste Banken bereits damit begonnen haben, ihre Rahmenwerke anzupassen und beispielsweise Extremschockszenarien, komplexere makroökonomische Szenarien oder auch graduelle Schockfaktoren einführen und an das Management kommunizieren. Marktpraxis sind solche Vorgehensmodelle jedoch noch nicht. Wir raten Banken daher, ihre aktuellen Stressannahmen zu hinterfragen und zu aktualisieren. Durch ein proaktives Vorgehen können sie Marktpreisrisiken effektiv steuern und sind bestmöglich auf den nächsten Marktumschwung vorbereitet.

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Die Niedrigzinsphase der vergangenen Jahre stellte viele Banken vor Herausforderungen. Insbesondere Häuser mit hohen Einlagenvolumina, die sich an traditionellen Einlagenmodellen orientierten, litten unter einer schleichenden Margenkompression. Im Whitepaper „Einlagenmodellierung im Niedrigzinsumfeld“ analysieren wir die Schwächen dieser Einlagemodelle und erklären, wie Banken künftig besser vorgehen können.  

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Gut aufgestellt für kommende Herausforderungen: Das Risikomanagement für Banken und Versicherungen weitergedacht.

Chief Risk Officer (CRO) in Banken, Versicherungen, Asset Managern und Immobilienunternehmen stehen unter Druck. Auf der einen Seite nehmen die regulatorischen Anforderungen und die Erwartungen interner Stakeholder an das Risikomanagement seit Jahren stetig zu. Es gilt, immer mehr Risiken und Risikotreiber zu erkennen, zu bewerten und zu steuern. Immer häufiger sind Stresstests und Analysen durchzuführen, und immer umfassender soll die Risikoorganisation über die entwickelten Aktivitäten berichten.

Auf der anderen Seite kann sich auch das Risikomanagement dem Effizienzdruck in der Finanzindustrie nicht entziehen. Es muss seine finanziellen und personellen Ressourcen kontinuierlich hinterfragen und Beiträge zu den unternehmensweiten Kostenzielen leisten. Auch eine klar erkennbare Ausweitung der regulatorischen Anforderungen reicht nicht aus, um hohe Kosten oder gar eine Aufstockung des Personals zu rechtfertigen – ein schwieriges Spannungsfeld.

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