Systemwechsel oder Run-Off: So gelingt die Bestandsmigration

Projekte dauern, sind kompliziert und teuer – Automatisierung schafft Abhilfe

Keyfacts:

  • Ob Probleme mit veralteten IT-Systemen oder neue Kundenansprüche: Es gibt viele Gründe, warum sich Versicherer mit der Migration ihrer Versicherungsbestände auseinandersetzen müssen.
  • Die Möglichkeiten der Bestandsmigration sind vielfältig: vom Bestandswechsel innerhalb eines Unternehmens bis hin zum externen Run-Off.
  • Unternehmen sind in einer Bestandsmigration mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, die ein solches Projekt zu verzögern drohen. Trotzdem kann die Bestandsmigration gelingen.

Die Versicherungsbranche hat mit veralteten IT-Systemen zu kämpfen. Einige Unternehmen sind dabei nicht nur mit internen Herausforderungen konfrontiert – etwa mit Blick auf Flexibilität, Kosten und Wartbarkeit dieser in die Jahre gekommenen Monolithen. Auch von außerhalb ist Druck vorhanden, drohen doch durch die Aufsichtsbehörde BaFin entsprechende Kapitalaufschläge und damit einhergehend Reputationsverluste.

Zudem formulieren die Kundinnen und Kunden ihre Ansprüche an einen modernen Versicherer – sie zwingen ihn, neue, flexible, auf die jeweilige Lebenssituation passende Produkte anzubieten und Vertragsabschlüsse über diverse Endgeräte zu ermöglichen. Unter anderem aus diesen Gründen sind die Versicherungsunternehmen gezwungen, sich mit dem Wechsel ihrer IT-Systeme auseinanderzusetzen und die Migration ihrer Versicherungsbestände voranzutreiben.

Bestandsmigration – vom internen Systemtausch bis zum Run-Off

Die Möglichkeiten für Bestandsmigrationen sind vielfältig: Migrationen können innerhalb eines Unternehmens durchgeführt werden (zum Beispiel Tausch des alten Bestandsführungssystems durch ein neues, moderneres IT-System). Versicherer können sie aber auch teilweise nach außen verlagern (zum Beispiel im Software-as-a-Service-Gedanken, bei dem das Versicherungsunternehmen die Verwaltung des extern geführten Versicherungsbestandes nach einer Migration übernimmt, während sich eine Servicegesellschaft um die IT-Pflege und Wartung kümmert).

Ein dritter Weg: Versicherer verlagern den Bestand komplett nach außen (im Extremfall Verkauf des bisherigen Portfoliobestandes an einen externen Anbieter ohne Zugriffsmöglichkeit – ein sogenannter externer Run-Off).

Die Notwendigkeit, der Durchführungswille sowie auch die Vielzahl an bevorstehenden Bestandsmigrationen innerhalb der Versicherungsbranche zur effizienteren Verwaltung der Versicherungsverträge zeigen sich durch das Aufkommen von Start-ups großer Muttergesellschaften, die sich des Themas annehmen, um Versicherungsunternehmen zu unterstützen.

Auch etablierte Run-Off-Gesellschaften machen mit steigenden Überschüssen für die Versicherungsnehmer auf sich aufmerksam. An der Geschäftsaufgabe mancher Gesellschaften – trotz großer Erfahrungswerte der dahinterliegenden Mutterkonzerne – werden aber auch die Schwierigkeiten dieser Vorhaben deutlich.

Migrationsprojekte: schmerzgetrieben und daher nur alle 30 bis 40 Jahre

Versicherungsunternehmen, die sich nun einem solchen Wechsel ihrer IT-Systeme unterziehen, sind mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. Migrationsvorhaben sind in der Regel sehr groß angelegte Projekte, die sich über viele Jahre erstrecken, kostenintensiv sind und unter einem nicht unerheblichen Erfolgsrisiko stehen.

Da diese Projekte schmerzgetrieben sind, erfolgen sie meist nur alle 30 bis 40 Jahre. Zudem verfügen selbst erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft nicht über eine entsprechende Expertise oder sie werden in anderen Projekten (mit-)eingesetzt und stehen daher nur teilweise zur Verfügung.

Herausforderungen: fehlende Erfahrung, Quelltarife und Datenqualitätsprobleme

Weitere Herausforderungen liegen neben den fehlenden Erfahrungswerten auch in den Quelltarifen. Diese erstrecken sich meist über mehrere, historisch gewachsene und/oder hausintern gepflegte Quellsysteme, die technisch wie auch fachlich größtenteils eine „Black Box“ für alle Projektbeteiligte darstellen (da es sich beispielsweise um zugekaufte Systeme handelt, die isoliert weiterbetrieben und nun zusammengeführt werden sollen oder keine Einsicht in den Quellcode aufgrund fehlender Lizenzen besteht).

Im Zuge der ersten Migration einzelner Tarife kommen Abweichungen zwischen den Quell- und Zielwerten ans Tageslicht. Analysen hierzu ergeben, sofern die Mathematik dahinter sorgfältig aufeinander abgestimmt wurde, meist Datenqualitätsprobleme als Ursache für die Abweichungen. Leider finden diese Analysen in den Projekten meist erst im Zuge der Migration oder späteren Analysen statt (und nicht schon zu Beginn des gesamten Projekts), was zu Wiederholungsschleifen im Migrationsprozess und weiterem Projektverzug führt.

Projektverlängerungen können auch durch herunterpriorisiertes Testmanagement oder überambitionierte Zeitpläne verursacht werden, die den vorherigen Aspekten geschuldet von einer besseren Ausgangslage bei den Daten, einer transparenteren beziehungsweise vereinfachten Produktlandschaft des Quellsystems oder einer vereinfachten Produktabbildung im Zielsystem ausgehen.

In diesen und weiteren Fällen ist es ratsam, neben einer richtigen Abarbeitungsreihenfolge auch den gezielten Einsatz von Hilfsmitteln in Erwägung zu ziehen, um Projektrisiken zu minimieren.

Möglichkeiten der Automatisierung

Für das „Black Box“-Handicap einer intransparenten Produktabbildung im Quellsystem scheinen die neuesten Entwicklungen im Bereich künstliche Intelligenz geradezu prädestiniert. Der Einsatz von Machine-Learning- und Deep-Learning-Algorithmen dient genau dazu, einen Zusammenhang zwischen dem Input und dem Output zu generieren, wenn die Methodik dazwischen im Verborgenen liegt.

Für den Bereich Datenqualität sind Algorithmen heutzutage in der Lage, neben den einfachen Fällen wie Datenlücken und -duplikaten auch auffälliges Verhalten innerhalb von Cashflows zu identifizieren.

Bei der Produktabbildung können Softwareprogramme versicherungsrelevante Texte wie die Allgemeinen Vertragsbedingungen (AVB) aus dem Quellsystem lesen und mit denen des Zielsystems in Verbindung setzen. So werden neben einer mathematisch korrekten Abbildung auch juristische Unterschiede in den Verträgen offensichtlich.

Die Implementierung beschleunigen

Im Bereich Testautomatisierung gibt es mittlerweile Verfahren am Markt, die den implementierten Quellcode analysieren, in Teilbereiche zerlegen und automatisch Testfälle für jeden Teilbereich anlegen. Die zugehörige Abdeckungsquote der getesteten Software wird dann farblich hervorgehoben von grau (nicht getestet), grün (erfolgreich getestet) über gelb und rot (über den Test ist ein Fehler identifiziert worden).

Neben gängigen Continuous-Delivery- / Continuous-Integration-Ansätzen (kurz CI/CD, also fortlaufende und kleinschrittige Softwareentwicklung – von der Programmierung bis zur Bereitstellung) lässt sich der Implementierungsprozess (zum Beispiel bei der Entwicklung von Referenzrechnern) ebenso über sinnvoll aufgesetzte Projektmanagementstrukturen beschleunigen. Ein Bespiel dafür wäre die Kombinationen aus Wasserfall- und agilen Ansätzen.

Auch Kleinstbestände in den Blick nehmen

Auch herkömmliche Verfahren können im Zuge einer Kosten-Nutzen-Analyse Mehrwerte generieren. Dazu gehören zum einen Überlegungen hinsichtlich des Umgangs mit Kleinstbeständen im Versicherungsportfolio (zum Beispiel Zusammenlegung, Überführung in einen finanziell attraktiveren Tarif, Abfindungsangebote, Portfolioverkauf zur Ausdünnung des bestehenden Migrationsportfolios).

Zum anderen zählen dazu Gedanken zur Vorgehensweise bei Abweichungen in der Produktabbildung (zum Beispiel Anhebung der anrechenbaren Werte), zum frühzeitigen Verproben der angedachten Ziellandschaft hinsichtlich Aufnahmekapazität und Flexibilität, zur Differenzierung, welche Geschäftsvorfälle im Zuge der Migration exakt abgebildet werden müssen – oder auch die frühzeitige Einbindung der Aufsichtsbehörden in das Migrationsvorhaben.

Projekte beschleunigen durch das richtige Vorgehen

Neben den oben aufgeführten Ansätzen gibt es weitere Aspekte, die das unausweichliche Migrationsvorhaben kostengünstiger, ressourcenschonender, zeiteffizienter und sicherer in Bezug auf den Projekterfolg gestalten können.

Durch geschickten Einsatz der Verfahren und Vorgehensweisen ist es durchaus denkbar, dass bis zu 40 Prozent der ursprünglich angedachten realistischen Projektlaufzeit über alle Migrationsbereiche hinweg und kumuliert eingespart werden können. Gerade bei Migrationsprojekten, die sich zum Teil über mehrere Jahre erstrecken, ist das ein deutlicher Zeitgewinn. Er macht sich auch für andere Projekte bezahlt, da interne Ressourcen nicht länger gebunden werden.

Aber auch hierfür sind natürlich neben der sorgfältigen Auswahl der illustrierten Möglichkeiten Abwägungen zu treffen – mit Blick darauf, wie gut diese Einsatzvielfältigkeit untereinander orchestriert werden kann, wo die Schmerzpunkte der einzelnen Versicherungsunternehmen bei der Migration liegen und welche Software oder welche Verfahren den gewünschten Mehrwert bringen.

Dieser Text ist zuerst erschienen beim Fachmedium Versicherungsmonitor am 20. Juni 2023.