Barrierefreiheit stärken: Was Finanzunternehmen jetzt tun müssen
Barrierefreiheit: Was jetzt zu tun ist
Institute sind bald verpflichtet, für bessere digitale Teilhabe zu sorgen.
Keyfacts:
- In einem Jahr tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft.
- Finanzunternehmen müssen ihre Websites und Apps bis dahin barrierefrei gestalten.
- Gerade für Banken ist Barrierefreiheit durch hohe Sicherheitsanforderungen besonders komplex.
Haben Sie am Mobiltelefon schon die größere Textanzeige eingestellt, damit sie auf dem Display alles gut erkennen können? Oder nutzen Sie – zum Beispiel im Zug oder der U-Bahn – bisweilen die Untertitel bei Videos? Dann sind Sie mit dem Thema digitale Barrierefreiheit bereits vertraut.
Sie wird jetzt auch gesetzlich bindend und stellt besonders Finanzunternehmen vor große Aufgaben. Zum einen sind Finanzdienstleistungen für alle Menschen von großer Bedeutung für die Teilhabe am Leben in Wirtschaft und Gesellschaft. Zum anderen stellen Authentifizierungs- und Sicherheitsvorgaben hohe Anforderungen an die Kundeninteraktion.
Die digitale Teilhabe erhöhen soll das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das Mitte 2025 in Deutschland in Kraft tritt: „Produkte und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ müssen gemäß BFSG künftig barrierefrei gestaltet sein. Konkret bedeutet das, dass alle Unternehmen, die eine eigene Website betreiben, verpflichtet werden, ihren Auftritt im Internet – auch über die zugehörigen Apps – digital barrierefrei zu gestalten.
Barrierefreiheit – vor allem für die Finanzindustrie eine Herausforderung
Für die Finanzindustrie ist das eine einschneidende Veränderung. Immer mehr Angebote von Banken und Versicherungen werden heute online abgeschlossen – ob Girokonto, Haftpflichtversicherung oder Wertpapiersparplan. Und vor allem die umfangreichen Informationen zu den oft erklärungsbedürftigen Produkten finden ihre Nutzerinnen und Nutzer auf elektronischem Weg.
Gleichzeitig schneiden Banken und andere Finanzdienstleister in wissenschaftlichen Untersuchungen zur Verständlichkeit und in Analysen zu Zugänglichkeit ihrer Informationsangebote häufig nicht besonders gut ab. Die Kundenkommunikation von Banken wie zum Beispiel Broschüren, Geschäftsbedingungen und Produktinformationsblätter gilt als sperrig, das Sprachniveau oft als zu hoch.
Der Hintergrund des Barrierefreiheitsstärkungsgesetztes (BFSG)
Das Ziel des Gesetzes, das den „European Accessibility Act“ in deutsches Recht umsetzt: Älteren oder durch Krankheit oder Behinderung beeinträchtigten Menschen digitale Teilhabe zu ermöglichen. Grundsätzlich betrifft es alle Unternehmen, die digitale Dienstleistungen oder Produkte für Endverbraucherinnen und -verbraucher anbieten.
Ausnahmen gibt es nur für kleine Dienstleistungsunternehmen mit bis zu zehn Angestellten mit einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro. Verstöße gegen das Gesetz können mit Bußgeldern von bis zu 100.000 Euro geahndet werden. Müssen Produkte oder Dienstleistungen wegen Verstoßen vom Markt genommen werden, drohen zusätzliche wirtschaftliche Einbüßen.
Was das Gesetz besonders macht, ist die Tatsache, dass nicht nur Betroffene den Verstoß melden können. Auch Klagen von Interessenverbänden sind möglich und somit bereits absehbar. Über finanzielle Sanktionen hinaus ist also auch mit Medienberichten oder Publikationen zu rechnen, die erheblichen Reputationsschaden für nachlässige oder zögerliche Unternehmen nach sich ziehen würden.
Warum ein Gesetz?
Studien besagen, dass derzeit nur etwa vier Prozent des Internets barrierefrei gestaltet sind. Gleichzeitig sind fast ein Fünftel der Weltbevölkerung signifikant von einer Behinderung beeinträchtigt – laut Bundesregierung leben in Deutschland mehr als 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen. Aus wirtschaftlicher Sicht wird also eine große Kaufkraft von unternehmerischen Angeboten ausgeschlossen. Im Kern geht es aber um etwas anderes: um Inklusion.
Ein großer Teil unseres täglichen Lebens findet mittlerweile online statt. Auch der Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt wird durch eine mangelnde digitale Barrierefreiheit stark eingeschränkt. Dabei sollten alle Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten oder Einschränkungen, ihre Rechte und Freiheiten in vollem Umfang wahrnehmen können – auch im digitalen Raum.
Das BFSG ist eine Maßnahme, die dabei helfen soll, diese Hürden abzubauen und für mehr Gleichberechtigung und Teilhabe für alle zu sorgen.
Wozu sind Unternehmen künftig verpflichtet?
Laut Gesetz müssen unter anderem digitale Dienste, die unter die Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr fallen, barrierefrei sein – außerdem alles, das zum Abschluss eines Verbrauchervertrags gehört.
Dabei gilt laut dem BFSG: „Produkte und Dienstleistungen sind barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“
Das betrifft in der Finanzindustrie zum Beispiel Geldautomaten und Online-Banking, den elektronischen Geschäftsverkehr, digitale Bankdienstleistungen, Online-Terminbuchungen sowie sämtliche Webseiten und Apps. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, können die Anforderungen der internationalen Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) herangezogen werden.
Sie definieren vier übergeordnete Prinzipien:
- Wahrnehmbarkeit: Informationen und Bestandteile auf einer Webseite müssen allen zugänglich sein, zum Beispiel durch Bildbeschreibungen und Alternativtexte.
- Bedienbarkeit: Alle Menschen, auch jene mit einer körperlichen oder kognitiven Einschränkung, können auf einer Webseite navigieren und mit allen Bestandteilen interagieren, zum Beispiel durch klare Strukturierung und einfache Bedienelemente.
- Verständlichkeit: Sprache und Inhalt sind für alle Menschen, auch jene mit einer Lernschwierigkeit, leicht zu verstehen, zum Beispiel durch übersichtliche Formulare oder das Verwenden von leichter Sprache.
- Robustheit: Eine barrierefreie Webseite ist mit verschiedenen Geräten und Browsern kompatibel, zum Beispiel mittels assistiver Technik wie Screenreader oder Spracherkennungssoftware
Die Version 2.1 der WCAG liefert außerdem 78 Erfolgskriterien. Diese Übersicht bietet eine gute Möglichkeit, eigene Dienstleistungen oder den Webauftritt hinsichtlich des BFSG zu überprüfen. Wie wir eine Förderbank dabei begleitet haben, eine interne Enterprise-Anwendung in Sachen Usability zu optimieren, beschreiben wir zum Beispiel hier.
Schritt für Schritt zur barrierefreien Kundeninteraktion
Es gibt viele weitere Anforderungen, die Banken umsetzen müssen. Dazu zählt beispielsweise das Authentifizierungsverfahren für das Online-Banking und für Überweisungen. Hier reicht das Scannen eines QR-Codes oder das Bestätigen von Captchas nicht aus, um als barrierefrei zu gelten.
Auch das automatische Timeout kann problematisch werden: für Blinde ist die Anzeige nicht ersichtlich. Ältere und behinderte Menschen benötigen ebenfalls grundsätzlich deutlich mehr Zeit für das Lesen und das Eingeben von Informationen.
Fehlendes Wissen, mangelhafte Planung und doppelte Entwicklungskosten gehören zu den möglichen Hürden auf dem Weg zu mehr digitaler Barrierefreiheit. Mit den folgenden vier Schritten starten Finanzunternehmen gut auf die Reise:
- Barrierefreiheit und Unternehmenskultur: Barrierefreiheit beginnt mit dem Bekenntnis zu Inklusion und Vielfalt. Die Geschäftsstrategie muss diesem Leitbild folgen und Mitarbeitende sollten entsprechend geschult werden.
- Audits zur Barrierefreiheit: Zunächst muss geprüft werden, welche Bereiche unter das BFSG fallen und welche Anforderungen bereits erfüllt werden. Anhand dieser Auswertungen können Maßnahmen entlang der gesamten Kundenreise des Unternehmens geplant und Umsetzungszeiträume festgelegt werden.
- Barrierefreies Design: Um die geforderten Standards jetzt und in Zukunft zu erfüllen, kann wie beschrieben beispielsweise die WCAG herangezogen werden. Die Erfolgskriterien werden regelmäßig geprüft und angepasst und bieten so eine fundierte Grundlage für jede barrierefreie Umsetzung.
- Tests zur Barrierefreiheit: Da sich sowohl Inhalte als auch Anforderungen ändern, sollten regelmäßige Tests auf Barrierefreiheit und die Prüfung der gesetzlichen Vorgaben erfolgen. Außerdem sollte auch in jeder zukünftigen Neuentwicklung Barrierefreiheit von Beginn an mitgedacht werden – das vermeidet nicht nur Kosten, sondern eröffnet den Zugang zu einer ganz neuen Zielgruppe, erleichtert auch Bestandskunden die Nutzung von Produkten und kann ein Unternehmen zum Vorreiter in sozialen Themen werden lassen.