Brandbrief statt Wunschzettel: Zum Stand der Integration von ESG-Risiken
Studie zur Integration von ESG-Risiken
KPMG-Studie: Viele Banken müssen handeln – gerade mit Blick auf kommende Regulatorik.
Keyfacts:
- National wie international steigt der Druck der Regulatoren: Banken müssen ESG-Risiken in die Managementverfahren integrieren.
- Eine neue KPMG-Studie zeigt: Viele Banken in Europa sind noch nicht so weit wie seitens der Aufsicht erwartet.
- Auf Daten und Greenwashing müssen viele Institute mehr Aufmerksamkeit legen.
Einige Wochen vor Weihnachten erhielten mehr als 20 Banken Post von der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie sieht bei den Instituten große Defizite in Sachen Nachhaltigkeit und mahnte die mangelhafte Integration von ESG‑Risikofaktoren an – etwa wegen der Auswirkungen von Extremwetterereignissen auf die Bilanz der Banken. Oder wegen eines Kundenstamms mit erhöhtem Transformationsbedarf hin zu einem CO2-armen oder -ärmeren Geschäftsmodell.
Denn beispielsweise mit den EU‑Richtlinien Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) gelten ab 2024/2025 neue Regeln für den Finanzsektor. Sie fordern von Banken nicht nur Rechenschaft über die Einhaltung der ESG-Kriterien. Sie formulieren diese auch für die Kreditvergabe.
Das sorgt für einheitliche Standards, ist aber gleichzeitig ein veritabler Risikofaktor: Bei Verstößen drohen gewaltige Imageschäden und sogar Strafzahlungen. Die aktuelle KPMG-Studie „ESG Risk Survey for Banks“ , für die mehr als 100 Banken in 20 Ländern befragt wurden, hat den Integrationsgrad von ESG‑Risikofaktoren bei Banken auf der ganzen Welt untersucht.
Das Fazit der Studie: Bei der Integration von ESG-Treibern in ihre Risikomanagementstrategien sind viele Banken zwar auf dem richtigen Weg – sie haben aber noch einiges zu tun. Zum Beispiel ergab die Umfrage, dass Banken weltweit das Tempo, mit dem ESG-Treiber in das Risikomanagement integriert werden, deutlich konservativer einschätzen als noch bei unserer Befragung vor zwei Jahren. Und für Europa gilt das interessanterweise noch mehr.
Weitere Ergebnisse lauten: Banken auf der ganzen Welt haben ihre Investitionen erhöht, um dem steigenden Druck auf das Thema Nachhaltigkeit beziehungsweise Nachhaltigkeitsrisiken zu begegnen. Regulatorik, Personalmangel für spezifische Erfahrungen oder eine fehlende Ausbildung im Thema und der Mangel an vollständigen, präzisen Daten sind dabei ihre größten Herausforderungen.
ESG Risk Survey for Banks
Wie werden ESG-Kriterien bei Banken in der Praxis umgesetzt? Unsere detaillierte, englischsprachige Studie, basierend auf Umfragen bei 111 Banken weltweit, bietet eine sachliche Analyse der Risikobewertung und -managementstrategien im Kontext von Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen.
Studie herunterladenVorreiter Europa doch nicht so weit wie gedacht?
Die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in das Risikomanagement ist ein langer Weg – das haben die meisten Häuser erkannt. Die Mehrheit geht davon aus, die ESG-Risikotreiber bis 2025 oder später vollständig in die wichtigsten Bereiche des Risikomanagements integriert zu haben. In Europa sind die Banken weiter: Die von der EZB beaufsichtigten Institute sind in der Regel ehrgeiziger als der globale Durchschnitt – zudem stehen sie unter größerem Druck durch Regulatorik.
Die meisten von ihnen wollen die vollständige Integration von ESG-Risikotreibern vor 2025 abschließen. Zudem haben fortgeschrittenere Häuser in der Regel viel Erfahrung mit Gesetzesänderungen und neuen Standards. Deshalb fällt es ihnen zumeist leichter als anderen, für die Entwicklung der notwendigen Prozesse und Methoden die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen und zu priorisieren.
Sie beteiligen sich aktiv am Dialog mit den jeweiligen Aufsichtsbehörden, um Unklarheiten bei neuen Anforderungen zu beseitigen. Auch flexible Prototypen sind ein wirkungsvolles Instrument: Sie können schrittweise an die Best Practices der Branche angepasst werden, etwa bei Klimarisiko-Stresstests.
Der Brandbrief der EZB und die Tatsache, dass sogar Strafzahlungen im Raum stehen, überrascht allerdings. Die Ereignisse sind ein klares Indiz dafür, dass die Branche auch in Europa noch nicht so weit ist, wie viele Experten (und die Institute selbst) angenommen hatten. Gerade Transparenz mit Blick auf die ESG-Risikotreiber ist fundamental wichtig, da sich alle anderen Aktivitäten zur Verbesserung der Risikomanagementverfahren für die verschiedenen Risikoarten daraus ableiten.
Mit den Budgets steigen die Erwartungen
Zwar ist die EU im Bereich ESG-Risiken Vorreiter, doch scheinen Banken auf der ganzen Welt fest entschlossen, ESG-Risikomanagement als Langzeitprojekt anzugehen und umzusetzen. Die Tatsache, dass die Investitionsbudgets weltweit steigen, ist ein Indiz dafür. Allerdings ist die Notwendigkeit von Budgeterhöhungen auch auf den oftmals noch nicht ausreichenden Reifegrad der Banken zurückzuführen: Manche Häuser müssen nachbessern, weil Behörden unzufrieden sind oder sich herausstellt, dass zuvor implementierte schlanke Lösungen nicht ausreichend waren.
Besonders die großen Banken sind sich allerdings einig, dass Investitionen ins ESG-Risikomanagement das Gebot der Stunde sind. Darin spiegelt sich einerseits das zunehmend bessere Verständnis für die Bedeutung von Nachhaltigkeit auf dem Finanzsektor und für die Notwendigkeit der entsprechenden Umsetzung wider. Andererseits ist dieser Trend analog zur EU auch ein Resultat des weltweit zunehmenden regulatorischen Drucks.
Denn auch in Ländern und Regionen, in denen bisher weniger strenge Standards galten, werden die Vorschriften strenger. Daher rechnen immer mehr Finanzinstitute mit steigenden Ausgaben für ESG-Daten, -Methoden und -Prozesse. Mit diesen Investitionen geht oft die Erwartung von Wettbewerbsvorteilen einher. Zwar kann die Implementierung neuer Standards und Risikomanagementmethoden in diesem Kontext kein Nachteil sein – ob und wann die Methoden integrativer Bestandteil der Risikosteuerung werden, bleibt aber abzuwarten.
Die dramatischen Auswirkungen des Klimawandels auf der ganzen Welt zeigen allerdings unter anderem deutlich, wie wichtig das Management der damit verbundenen physischen Risiken wie Extremwetterereignisse ist.
Wir brauchen Daten, Daten, Daten
Auch bei den Herausforderungen dieses Implementierungsprozesses ist die Mehrheit der Banken sich einig – unabhängig von Größe, Geschäftsmodell oder Rechtsordnung. Die Verfügbarkeit und Qualität von Daten (zum Beispiel Energieausweise für Immobilienfinanzierungen), die sich permanent ändernde Regulatorik und der Mangel an ausreichend qualifiziertem Personal sind für die Mehrheit der Institute die höchste Hürde.
Die Lösung des Datenproblems ist für Banken in diesem Kontext der vielleicht wichtigste Faktor: Fortschrittliche Banken haben flexible Zielbetriebsmodelle (TOMs) für ESG-Daten eingeführt, um der Komplexität dieser Aufgabe gerecht zu werden. Dazu gehört zunächst die Definition von Datenquellen (etwa: externe Anbieter oder Kundenschnittstelle), dann Datenqualitätshierarchien für Schlüsselbereiche wie Treibhausgasemissionen und physische Klimarisiken.
Das erfordert einerseits die enge Zusammenarbeit mit externen Datenanbietern, etwa Spezialanbietern für physische Risiken. Andererseits verlangt es den Aufbau interner Kapazitäten für Datenanalyse und ‑aufbereitung. Banken, die sich Klimaallianzen wie der Finanzinitiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP FI) angeschlossen haben, sind bei diesem Prozess in der Regel am weitesten. Sie stufen ihre Herausforderungen in der Datenbeschaffung meist als weniger dringlich ein.
Sowohl die regulatorischen als auch die datenbezogenen Herausforderungen werden derzeit durch neue Standards für die Offenlegung von ESG-Risiken verschärft. Dazu gehören die Interpretation der Säule III der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und die bevorstehenden Anforderungen zum Beispiel von CSRD und CSDDD. Ein proaktiver Dialog mit Behörden und Kontrollorganen und flexible technische Lösungen haben sich bei führenden Banken in der jüngeren Vergangenheit als Erfolgsfaktoren erwiesen.
Die große Unbekannte: Greenwashing und daraus folgende Risiken
Angesichts der großen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der spektakulären Negativbeispiele ist ein Umstand besonders überraschend: Der Umgang mit Greenwashing-Risiken scheint für viele Banken immer noch keine Priorität zu haben.
Nur 40 Prozent der Finanzinstitute weltweit verfügen über Verfahren zur Identifizierung, Verhinderung und Handhabung von Greenwashing-Risiken. 80 Prozent aller Banken haben noch keine klare Definition von Greenwashing auf der Grundlage konkreter Fälle oder Schwellenwerte.
Allerdings haben viele Banken zumindest ihren Handlungsbedarf erkannt und sind dabei, klare Definitionen und quantitative Messgrößen für das Management dieser Risiken zu definieren. Die weltweit führenden Häuser und solche Banken, die sich Programmen wie UNEP FI angeschlossen haben, gehören auch hier zu den Vorreitern bei Anti-Greenwashing-Standards.
Diese fortschrittlichen Banken entwickeln eigene Greenwashing-Frameworks, indem sie bestehende Rahmenwerke, etwa für Reputationsrisiken, erweitern und ESG-Risikotreiber darin integrieren.
Die Sensibilität für ESG-Risikotreiber hat bei Banken auf der ganzen Welt deutlich zugenommen. Sowohl hinsichtlich ihrer Geschäftsmodelle und Risikoprofile als auch ihres Investitionsaufwands. Gleichzeitig erwartet die Branche jedoch, dass sowohl der gesetzliche als auch der öffentliche Nachhaltigkeitsdruck zunehmen. In Staaten mit aufkommender Regulierung wie in den USA, Kanada und der Schweiz hat die Reise der Banken Richtung ESG-Risikotreiber Implementierung erst begonnen.
In Regionen mit ausgeprägter Regulatorik wie der EU beurteilt die EZB heute, fast drei Jahre nach ihren ersten Vorgaben für das Risikomanagement, erstmals detailliert etablierte Prozesse wie Kreditvergabe, Überwachung und Risiko- und Kapitalsteuerung nach ESG-Kriterien.
Will die Branche in Sachen Nachhaltigkeitsregulatorik aber in ruhiges Fahrwasser, muss sie mittelfristig vom Change- in den Run-the-Bank-Modus wechseln und Risikomanagement dauerhaft verorten – aufbau- und ablauforganisatorisch sowie unternehmensphilosophisch und kulturell.
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