Prospektpflicht mit Perspektive: Die EU stellt die Weichen neu

Von 2026 an greifen neue Prospektstandards mit Erleichterungen für Emittenten und KMU.

Keyfacts:

  • Der EU Listing Act ist am 4. Dezember 2024 in Kraft getreten und überarbeitet die Prospektverordnung grundlegend.
  • Ziel ist es, Kapitalmärkte für Unternehmen – insbesondere KMU – attraktiver zu machen und Kosten zu senken.
  • Viele Änderungen gelten schrittweise erst ab 2026, wenn die technischen Standards und delegierten Rechtsakte greifen.

Am 4. Dezember 2024 ist der EU Listing Act in Kraft getreten – ein zentrales Reformvorhaben der EU, das die öffentlichen Kapitalmärkte für europäische Unternehmen attraktiver machen soll. Ziel ist es, die Börsennotierung für Unternehmen jeder Größe, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), zu erleichtern sowie Kosten, Aufwand und Umfang von Prospekten zu reduzieren. Gleichzeitig sollen Transparenz, Anlegerschutz und Marktintegrität weiterhin gewährleistet bleiben.

Im Zuge dieser Reform wurde auch die Prospektverordnung umfassend überarbeitet. Viele der neuen Regelungen treten jedoch erst am 5. Juni 2026 in Kraft, da sie auf ergänzende technische Standards und delegierte Rechtsakte angewiesen sind. Am 12. Juni hat die ESMA hierzu einen Final Report veröffentlicht. Darin schlägt sie Änderungen an der Delegierten Verordnung (EU) 2019/980 vor, insbesondere zu Struktur und Offenlegungsanforderungen von Prospekten.

Prospektausnahmen

Für Erstemissionen wird ein zweistufiges Schwellensystem eingeführt. Der neue Schwellenwert liegt künftig bei 12 Millionen Euro (bisher 8 Millionen Euro). Öffentliche Wertpapierangebote unterhalb dieser Grenze sind künftig von der Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts befreit, sofern sie nicht „passporting“-pflichtig sind. Den EU-Mitgliedstaaten steht es jedoch frei, diesen Schwellenwert auf bis zu 5 Millionen Euro abzusenken.

Der Schwellenwert für Sekundäremissionen – also Wertpapiere, die mit bereits zum Handel an einem geregelten Markt oder einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassenen Wertpapieren fungibel sind, wird von derzeit 20 Prozent auf 30 Prozent angehoben. Unterhalb dieser Grenze besteht keine Pflicht zur Veröffentlichung eines Wertpapierprospekts.

Standardisierte Anforderungen an Inhalt und Format von Prospekten

Mit dem EU-Listing Act wird ein standardisiertes Format und eine standardisierte Reihenfolge der in einem Prospekt offen zu legenden Informationen festgelegt, unabhängig davon, ob es sich um einen Prospekt oder einen Basisprospekt handelt. Die Gesamtlänge von Prospekten für Aktien oder gleichwertige Wertpapiere wird auf 300 Seiten begrenzt. Ausgenommen sind die Prospektzusammenfassung, Informationen, die per Verweis einbezogen werden, und Informationen über die komplexe Finanzgeschichte sowie Pro-Forma-Finanzinformationen.

Diese Begrenzung gilt nicht, wenn die Wertpapiere gleichzeitig auch in einem Drittland angeboten oder platziert werden – bei Privatplatzierungen an institutionelle Investoren bspw. in den USA.

EU-Folgeprospekt

Das neue Prospektformat steht Emittenten zur Verfügung, deren Wertpapiere seit mindestens 18 Monaten ununterbrochen an einem geregelten Markt oder einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen sind, sogenannte Sekundäremissionen. Er gilt auch im Falle eines öffentlichen Angebots oder bei der Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einem geregelten Markt.

Die Format- und Mindestanforderungen an einen EU-Folgeprospekt umfassen unter anderem eine Seitenbegrenzung für Dividendenwerte von 50 Seiten. Ausgenommen sind die Prospektzusammenfassung, Informationen, die per Verweis einbezogen werden und Informationen über die komplexe Finanzgeschichte sowie Pro-Forma-Finanzinformationen.

EU-Wachstums-Emissionsprospekt

Der neue EU-Wachstums-Emissionsprospekt richtet sich an KMU, Emittenten, die keine KMU sind, sowie kleine, nicht börsennotierte Unternehmen mit einem Gesamtwert für die öffentlich angebotenen Wertpapiere von bis zu 50 Millionen Euro in 12 Monaten und einer durchschnittlichen Mitarbeiterzahl von bis zu 499.

Zu den Format- und Mindestanforderungen an einen EU-Wachstums-Emissionsprospekt zählt unter anderem eine Seitenbegrenzung für Dividendenwerte auf 75 Seiten. Hiervon ausgenommen sind die verkürzte Prospektzusammenfassung, Informationen, die per Verweis einbezogen werden, sowie Informationen über die komplexe Finanzgeschichte sowie Pro-Forma-Finanzinformationen.

Risikofaktoren

Wesentliche und spezifische Risikofaktoren müssen weiterhin im Prospekt dargestellt werden, künftig geordnet nach Risikokategorien. Im Kern werden somit die aktuell bestehenden Leitlinien der ESMA zu den Risikofaktoren der Prospektverordnung vom 1. Oktober 2019 in die durch den EU-Listing Act angepasste Prospektverordnung integriert.

Historische Finanzinformationen

In Prospekten für Dividendenwerte sind künftig nur noch historische Finanzinformationen für zwei Geschäftsjahre erforderlich (statt drei), bei Nicht-Dividendenwerte nur noch für ein Geschäftsjahr (statt zwei). Für EU-Folge- und EU-Wachstums-Emissionsprospekte genügt ebenfalls ein Jahr.

Die Management Discussion and Analysis (MD&A) entfällt. Bei Bedarf können für zwei oder drei Jahre Finanzinformationen offengelegt werden. Auch die freiwillige Aufnahme einer MD&A ist möglich, wenn sie für das Verständnis des Prospekts wesentlich ist – etwa wenn sie Privatplatzierungen an institutionelle Investoren umfassen.

Gewinnprognosen

Änderungen bei der Aufnahme einer Gewinnprognose in einen Wertpapierprospekt sind nicht vorgesehen.

Incorporation by reference von (Konzern-)Lageberichten

Wertpapierprospekte für Dividendenwerte sollen künftig die im (Konzern-)Lagebericht des Emittenten enthaltenen Informationen entweder durch Verweis einbeziehen oder aufnehmen. Dies gilt für Emittenten, die Dividendenwerte öffentlich anbieten oder die Zulassung zum Handel von Dividendenwerten an einem geregelten Markt beantragen. Ausgenommen hiervon sind Emittenten, die einen EU-Follow-on-Prospekt erstellen oder Emittenten mit einer Marktkapitalisierung bis zu 200 Millionen Euro, die einen EU-Wachstums-Emissionsprospekt erstellen.

Nachhaltigkeit und ESG

Nachhaltigkeitsangaben gewinnen auch am Kapitalmarkt zunehmend an Bedeutung: Immer mehr Investoren achten darauf, dass Unternehmen nachhaltig handeln und ESG-Kriterien erfüllen.

In einem Wertpapierprospekt sind nachhaltigkeitsbezogene Angaben für Emittenten von Dividendenpapieren offenzulegen, sofern diese nach der CSRD-Richtlinie zur Veröffentlichung nichtfinanzieller Informationen verpflichtet sind. Hierfür sollen die Emittenten ihre (Konzern-)Lageberichte einschließlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung für die von den historischen Finanzinformationen abgedeckten Zeiträume entweder per Verweis aufnehmen oder die darin enthaltenen Informationen einbeziehen.

Die Aufnahme von ESG-spezifischen Angaben ist in allen Prospekten für Nichtdividendenwerte vorgesehen. Die neue Prospektverordnung verweist hierfür direkt auf die EU-Verordnung über europäische grüne Anleihen.

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Übergangsvorschriften

Mit Inkrafttreten des EU Listing Acts haben Emittenten die Änderungen der Prospektverordnung noch nicht vollumfänglich anzuwenden. Bereits gebilligte Prospekte behalten bis zum 4. Juni 2026 ihre Gültigkeit. Für gebilligte Prospekte von Sekundäremissionen und nach den Regelungen des EU-Wachstumsprospekts gilt eine verkürzte Frist bis zum 4. März 2026.