Druck von allen Seiten: Mit agilen Methoden handlungsfähig bleiben

Interview: So erobern Führungskräfte Raum für das Gestalten der Zukunft zurück

Keyfacts:

  • Regulierung, Kostendruck und Transformation im ganzen Unternehmen legen Entscheider:innen in der Finanzindustrie ein enges Korsett an.
  • Mit Methoden des Design Thinking gewinnen Verantwortliche Gestaltungsspielräume zurück, erklärt KPMG-Experte Andreas Mack im Interview.
  • Er schildert, wie Führungskräfte mit einigen praktischen Schritten schnell konkrete Veränderungen anstoßen.

In vielen Bereichen der Finanzindustrie gehen die alten Erfolgsrezepte nicht mehr auf: Große IT-Projekte stocken, Fachkräfte fehlen, neue Wettbewerber setzen die Kundensegmente unter Druck, und Reorganisationen überfordern Mitarbeitende.

Mehrere große Transformationen gleichzeitig – das verbaut schnell den klaren Blick auf Lösungen und vorausschauendes Handeln. Und das ist nur allzu menschlich. Von Führungskräften in Banken werden Weichenstellungen auch unter multiplem Transformationsdruck allerdings erwartet – und damit eine Quadratur des Kreises? KPMG-Experte Prof. Andreas Mack, Lead Specialist für Agile Innovation, erläutert im Interview, wie Führungskräfte in der Finanzindustrie handlungsfähig bleiben und durch neue Formen der Zusammenarbeit Gestaltungsspielräume zurückgewinnen.

Frage: Andreas, in welcher Zwickmühle stecken viele Verantwortliche in der Finanzindustrie heute nach Deiner Beobachtung?

Andreas Mack: Als stark regulierte Branche kommen auf die Finanzindustrie fortlaufend Neuerungen und damit auch Aufgaben zu. On top sehen wir seit Jahren einen hohen Kostendruck und mit der Digitalisierung und der Nachhaltigkeitstransformation zwei Großthemen, die einen hohen Veränderungsbedarf auslösen.

Manager:innen merken daher heute: Insbesondere hierarchische Strukturen und Top-down Prozesse gelangen an ihre Grenzen: Sie sind zu inflexibel, zu kontrollintensiv und dadurch nicht schnell genug. Die Antwort auf die vielfältigen Herausforderungen sind Methoden, mit denen Verantwortliche auch in einem disruptiven Umfeld handlungsfähig bleiben – vor allem das Design Thinking.

Design Thinking: Was will der Nutzer wirklich? 

Design Thinking ist eine Methode, die darauf ausgelegt ist, Hürden in der Zusammenarbeit zu senken und dadurch das Wissen von vielen schneller und kreativer zu verarbeiten. Herzstück des Design Thinking sind die Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern. Das können Kunden sein (Nutzer von Produkten) oder Mitarbeitende (Nutzer von internen Abläufen).

Frage: Aber woher wissen wir, was Nutzer sich wirklich wünschen? Gibt es dafür nicht die Marktforschung?

Andreas Mack: Das stimmt, sie sagt uns aber nichts darüber, wie wir ein Produkt wirklich ausgestalten können. Im Design Thinking bauen wir gezielt Empathie für verschiedene Nutzertypen auf. Menschliches Einfühlungsvermögen ist eine sehr wirksame Strategie zur Absenkung von Komplexität, die auch durch immer tiefere Analyseprozesse entsteht. Wir gehen bewusst zurück an die Oberfläche, mit einfachen Fragen: Wenn wir ein Bedürfnis aus menschlicher Sicht erkennen und verstehen, können wir Türen zu ganz neuen Lösungskorridoren aufstoßen.

In der Praxis entwickeln wir mit Design Thinking zum Beispiel Visionen und Zielbilder für Strategien oder Projekte. Oder wir entwickeln konkrete Produkte oder Services – dafür bauen wir Prototypen, die wir dann auch testen.

Vom Prototyp zum Minimum Viable Product

Frage: Wie geht es dann weiter?

Andreas Mack: Liegt ein erster Prototyp vor, bietet sich die Lean-Startup-Methode zur weiteren Entwicklung an. Dabei wird möglichst nah an konkreten Anwendungsszenarien von echten Nutzern getestet. Ziel des Lean-Startup-Zyklus ist die Entwicklung umsetzungsreifer Prototypen – sogenannte Minimum Viable Products (MVP).

Ein MVP umfasst genau die Veränderungen, Anpassungen oder Nutzungsvorteile, die einen Nutzer zu einer Verwendung bewegen – nicht mehr und nicht weniger. Diese Reduktion auf das Wesentliche soll einen möglichst frühen Startzeitpunkt für Systemumstellungen oder Produkt-Launches ermöglichen. Darüber hinaus ist der Blick auf agile Methoden wichtig.

Agil arbeiten – mit Scrum, Kanban und Sprints

In der Softwareentwicklung setzen Verantwortliche bereits seit über 20 Jahren zunehmend auf agile Methoden wie Scrum oder Kanban. Beiden gemein ist, dass sie über die Beschreibung und Priorisierung von sogenannten User Stories (ursprünglich eine in Alltagssprache formulierte Softwareanforderung) zu Scoping-Entscheidungen und Arbeitslisten gelangen (den sogenannten Backlogs) – und eben gerade nicht über Feature-Listen, Prozess- oder Systemvorgaben. Der Arbeitsfortschritt wird meist täglich in sehr kurzen, konzentrierten Meetings („Daily Stand-ups“) abgeglichen.

Frage: All das sind Tools, mit denen sich ein Weg der Veränderung beschreiten lässt. Aber wie schaffe ich es, aufzustehen und loszugehen? Kannst Du konkrete Tipps geben oder genaue Maßnahmen empfehlen, die schnell Wirkung entfalten?

Andreas Mack: Für mich beginnt im ersten Schritt alles mit Feedback. Denn Feedback ist ein kraftvolles Führungsinstrument, das oft unterschätzt wird. Es ist so mächtig, weil Manager:innen es selbst gestalten können. Es sind aber einige Punkte dabei zu beachten. Der Austausch im Feedback sollte immer durch Wohlwollen, Menschlichkeit, Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit geprägt sein – auch wenn Kritik im Raum steht. So können Menschen ihre Schutz- und Abwehrmechanismen abbauen, sich eher auf Neues einlassen. Und dadurch entsteht ein besseres Ideen- oder Lösungspotenzial, um die Zukunft zu meistern. Alle Beteiligten erleben dann Erfolg, und das macht zufriedener und kann sogar Spaß und Freude an der gemeinsamen Arbeit zurückbringen.

Abb.: Design Thinking: Prinzipien und Haltungen (Auswahl), Quelle: KPMG (eigene Darstellung)

Besseres Feedback und bessere Meetings als erste Schritte zur Veränderung

Frage: Und wie gelingt besseres Feedback?

Andreas Mack: Ich empfehle zum Beispiel, auf jegliche Barrieren (auch auf einen Tisch!) zu verzichten, so dass alle Teilnehmenden bequem eine offene Gesprächshaltung einnehmen können. Als Format bietet sich etwa der Dreiklang „I like, I wish, I give“ an. Zunächst sage ich, was mir gefallen hat. Danach äußere ich Wünsche oder Erwartungen, die nicht erfüllt wurden oder die ich ergänzen möchte. Schließlich sage ich konkret, was und wie ich dazu beitragen kann, um die Erwartungen oder Wünsche zu erfüllen.

Frage: Was können Verantwortliche noch tun?

Andreas Mack: Hinterfragen Sie doch einmal Ihren eigenen Kalender – ist jedes Meeting, ist jeder Jour fixe, der Woche für Woche oder Monat für Monat ansteht, produktiv? Wer aus den Erfahrungen nach den oben geschilderten Regeln lernt, kann gemeinsam mit den Beteiligten neue, bessere Meetings gestalten. Dazu zählen auch ein paar ganz praktische Aspekte:

  • Siezen Sie noch? Probiert mal ein Meeting aus, in dem alle per Du sind.
  • Visualisiert eure Diskussionsergebnisse – so behaltet ihr den Blick auf das Ganze und auf die Details gleichzeitig.
  • Mehr ist mehr: Lasst viele verschiedene Ideen und Lösungsansätze zu, produziert bewusst zuerst Menge und schaut erst danach auf Qualität.
  • Warm-ups aus: kurze Übungen zum Einstimmen aufeinander, um Energie zu tanken und Dynamik aufzubauen, als Unterbrechung oder um Erfolge anzuerkennen.

Und wer mit den skizzierten Schritten gute Erfahrungen gemacht hat, kann den nächsten Schritt gehen, um mehr Gestaltungsspielraum zu gewinnen: ein Innovationsprojekt. Mit Innovation ist dabei keine Weltneuheit oder eine patentfähige Erfindung gemeint. Jede Auseinandersetzung mit konkreten Herausforderungen oder Mängeln – und den oftmals verfügbaren Lösungen – bringt ein Team voran. 

Bei sich selbst anfangen und neues Arbeiten vorleben

Frage: Keine Patentanmeldung – was ist dann ein Innovationsprojekt?

Andreas Mack: Formate können zum Beispiel interne Innovationswettbewerbe oder Hackathons sein. Ein gutes Innovationsprojekt setzt daher immer bei den Erfahrungen der Teammitglieder an: Wünscht sich das Team mehr Verständnis für Kundenorientierung, so setzt es dort den Fokus. Geht es um die Verwendung neuer Tools, so kann das ein gutes Thema sein. Oft sind es Vorschläge für konkrete Prozessverbesserungen oder -vereinfachungen, die einen guten Anlass für Innovationsprojekte bieten.

Durch die gemeinsame Arbeit werden vor allem die Teamfähigkeiten in der Entwicklung von Potenzialen trainiert. Wer ein Innovationsprojekt zum Erfolg führt, kann damit belegen, dass Verbesserungsvorschläge aus dem eigenen Bereich werthaltig sind – und gewinnt damit Aufmerksamkeit und Gestaltungsspielraum für weitere Initiativen.

Und mit der Freude am Ausprobieren und Experimentieren kehrt auch die aufregende Dynamik der Vorwärtsbewegung zurück: ein Gefühl von Geschwindigkeit, Leichtigkeit und Fortschritt.

Frage: Jetzt haben wir viele praktische Schritte kennengelernt, mit denen Führungskräfte Gestaltungsspielräume zurückerobern. Aber mit welchem kann ich gleich morgen anfangen?

Andreas Mack: Ich antworte mit einer Frage: Führungskräfte in Banken und anderen Unternehmen fragen mich oft, was sie tun können, damit ihre Teams schneller und beweglicher werden. Meine Antwort ist meist diese: „Gib Dein Büro auf, gestalte darin einen Arbeitsraum für Deine Teams – und beginne, dort gemeinsam mit ihnen anders zu arbeiten.“ Der Sinn dieser Maßnahme erschließt sich vielleicht nicht sofort. Und doch bin ich von ihrer Wirksamkeit überzeugt. Denn um zu anderen Ergebnissen zu kommen, müssen wir zunächst lernen, anders zu arbeiten.

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