Finanzinstitute: Machine Learning steigert Qualität und Effizienz

Verbesserte Messung, Steuerung und Validierung von Marktpreis- und Kontrahentenrisiken

Künstliche Intelligenz (KI) feiert seit Jahren Triumphe. Die Google-KI „Alpha Go“ besiegte 2016 den europäischen Go-Meister, eine andere, „Libratus“, schlug 2017 einige der besten Poker-Spieler und 2018 übersetzte eine KI chinesische Nachrichten genauso gut wie ein Mensch ins Englische. Diese Fähigkeiten macht sich die Wirtschaft zunutze, auch Finanzinstitute haben das Potenzial von KI längst entdeckt. Die Anwendungen reichen von intelligenter Prozessautomatisierung über die KI-gestützte Auswahl von Investments – die sogenannten Robo-Advisor – bis zur Ermittlung des Credit Scores, um die Kreditvergabe zu optimieren.

KI, genauer gesagt das Machine Learning, kann aber auch im Rahmen der Bewertung von Finanzinstrumenten sowie der Messung, Steuerung und Validierung von Marktpreis- und Kontrahentenrisiken eingesetzt werden. Bei den Top-Tier-Investmentbanken geschieht das bereits in großem Umfang, aber auch kleinere Institute können die Technologie nutzbringend einsetzen. Der gezielte Einsatz von Machine Learning kann die Risikomessung und -steuerung verbessern, die Datenqualität erhöhen, und nicht zuletzt die Arbeitsprozesse in der Linie optimieren. Am Ende trägt all das zur Einsparung von Kosten, zur Entlastung von Mitarbeitern und zu einer besseren Risikosteuerung bei.

Machine Learning: Von Bewertung und Risikomessung bis hin zur Analyse von Big Data

Dank Machine Learning führen Computer Aufgaben aus, ohne speziell dafür programmiert worden zu sein. Während traditionelle Programme fest codierten Regeln folgen, existieren beim Machine Learning nur Richtlinien, nach denen die KI auf der Grundlage von Trainingsdaten die Regeln selbst entwickelt beziehungsweise erlernt.

Zum Einsatz kann dies beispielsweise bei der Bewertung von Derivaten kommen. Die KI erkennt Muster in den Trainingsdaten und entwickelt daraus ein eigenes Bewertungsmodell. Besonders die Ermittlung von Bewertungs-Adjustments (sogenannte XVAs), die zu den aufwendigsten und langwierigsten Rechnungen zählen, kann Machine Learning deutlich beschleunigen. Während die Rechnung mit herkömmlichen Methoden mehrere Minuten oder sogar Stunden dauert, ist sie dank Machine Learning in wenigen Sekunden möglich.

Außerdem können mit Hilfe von Machine Learning weit komplexere Modelle oder Ansätze in der Bewertung verfolgt werden, die mit den bestehenden Methoden nicht oder nur näherungsweise möglich gewesen sind (z. B. Capital- und Margin Valuation Adjustment, Rough Volatility Models). Sogar eine Bewertung unter Marktfriktionen ist denkbar (z. B. Deep Hedging).

Die Vorteile von Machine Learning im Rahmen der Bewertung, Bepreisung und Risikomessung sind vielfältig

  • Schnellere und effizientere Bewertung von komplexen Finanzprodukten inkl. Berechnung von Credit- und Funding Valuation Adjustments (d. h. CVA, DVA, FVA)
  • Beschleunigte Berechnung von Kontrahentenrisiken sowie verbesserter Pre-Deal-Limit-Check
  • Herstellung einer verbesserten Simulationsfähigkeit risikogewichteter Aktiva (RWA) und somit Berechnung von Capital Valuation Adjustment (KVA)
  • Effiziente Simulation von Initial Margins inkl. der Ermittlung von Margin Valuation Adjustments (MVA)
  • Optimierte Berechnung des Marktpreisrisikos inkl. einer verbesserten Modellvalidierung und verbesserten Approximationen bei Szenario- und Risikoberechnungen

Neben der direkten Anwendung bei der Bewertung und Risikomessung ist ein weiterer wichtiger Anwendungsfall von Machine Learning im täglichen Reporting insbesondere bei der Analyse von Daten zu finden:

  • Analyse von Fehlern bei Inputdaten wie Markt-, Geschäfts- und Kontrahentendaten sowie von technischen Fehlern
  • Automatisierte Analyse der Ergebnisse der Risikoberechnung (z. B. Risikotreiberanalyse, PnL Attribution und Explain, Kommentierungen)
  • Unterstützung im Reporting-Prozess (z. B. Flashreporting) und bei Was-wäre-wenn-Analysen

Machine Learning verbessert die Prozesse und Methoden somit auf verschiedenen Ebenen. In der täglichen Analyse reduziert sich der Ressourcenbedarf, denn die KI verbessert und beschleunigt das Reporting und hilft bei der methodischen Optimierung. Ad-hoc- und Intraday-Analysen bieten verbessertes Risikomonitoring und eine größere Marktnähe. Auch Anfragen von Management oder Aufsicht lassen sich flexibler bearbeiten. Mit der Nutzung von Machine Learning können zudem neue Aspekte in der Risikomessung aufgegriffen werden, wie zum Beispiel der Einfluss von Social Media Hypes.

Machine Learning am Beispiel eines komplexen Bewertungsmodells

Das Grundprinzip und die Vorgehensweise von Machine Learning lassen sich sehr gut am Beispiel des „Erlernens“ eines Bewertungsmodelles zeigen. Es eignet sich auch gut, um erste eigene Erfahrungen zu sammeln. Der Vorteil ist, dass Trainingsdaten, die zumeist eine knappe Ressource sind, synthetisch erzeugt werden können.

Der Ablauf des Projektes „Erlernen eines Bewertungsmodells mit Hilfe eines künstlichen Neuronalen Netzes (KNN)“:

  1. Daten erzeugen: Mit dem bestehenden Bewertungsmodell werden synthetische Preise so simuliert, dass ein möglichst großer Parameterraum abgedeckt wird.
  2. Crossvalidation aufsetzen: Aufteilung der Daten in Trainings- und Testdaten.
  3. (Hyper-)Parameter festlegen: Definition des Set-ups des künstlichen neuronalen Netzes (Aktivierungsfunktionen, Anzahl Neuronen) und Festlegung der Startparameter (Gewichte).
  4. KNN trainieren: Training des neuronalen Netzes auf Basis der synthetischen Optionspreise und somit Bestimmung der variablen Parameter.
  5. Modell testen: Überprüfung der Modellperformance anhand des Testdatensets.

Einmal aufgesetzt, produziert das neuronale Netz verlässlich und schnell die Preise, die eine Berechnung mit dem herkömmlichen Modell ergeben würde. Der Berechnungsaufwand liegt in der Erzeugung der Daten und im Trainieren. Dies kann über Nacht oder am Wochenende erfolgen. Bereits hier wird in kleinem Maßstab die Zeit- und Kostenersparnis deutlich, die Machine Learning bei umfangreicheren Berechnungen erbringen kann.

Machine Learning – do it yourself: Der Start sollte einfach, Use-Case-orientiert und prototypisch sein

Wenn Sie eigene Machine-Learning-Projekte umsetzen wollen, sollten Sie mit einfachen Use Cases beginnen, die Sie zunächst prototypisch umsetzen. Mit diesem Ansatz stellen Sie sicher, dass Sie schnell erste Erfolge erzielen und zudem Erfahrung sammeln. Komplexere Anwendungen können dann mit steigender Erfahrung umgesetzt werden. Frühe Erfolge erhöhen zudem die Akzeptanz beim Management und im Team, die ein wichtiger Baustein für Weiterentwicklungen und der Nutzung sind.

Bei der Wahl einer geeigneten Anwendung von Machine Learning steht immer die Idee, also der konkrete Use Case im Vordergrund. Die Wahl des spezifischen Machine-Learning-Ansatzes ist zunächst von geringerer Bedeutung, denn durch die vielfältigen technischen Möglichkeiten können leicht verschiedene Varianten ausprobiert werden.

Im nächsten Schritt ist es wichtig, dass Trainingsdaten in ausreichender Menge vorliegen. Auch die Validierung der Methoden und ihr „Black Box“-Charakter sind zu bedenken – eine Metapher, die beschreibt, wie schwierig es nachzuvollziehen ist, auf welchem Weg die Maschine das gesetzte Problem gelöst hat. Aus diesem Grund bieten sich für erste Projekte Anwendungen an, bei denen die regulatorischen und internen Validierungsanforderungen gering sind, zum Beispiel bei Analysen.

Abschließend ist die Integration in die eigene IT-Infrastruktur zu beachten. Allerdings lassen sich viele Machine Learning Use Cases auch erst einmal als einfache Desktop-Anwendungen umsetzen.

Wer so die ersten Schritte mit dem Einsatz von Machine Learning geht, wird sich schnell vom Nutzen der Technologie bei der Bewertung und der Risikomessung des Marktpreis- und Kontrahentenrisikos überzeugen können.

 

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Future of Risk

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Gut aufgestellt für kommende Herausforderungen: Das Risikomanagement für Banken und Versicherungen weitergedacht.

Chief Risk Officer (CRO) in Banken, Versicherungen, Asset Managern und Immobilienunternehmen stehen unter Druck. Auf der einen Seite nehmen die regulatorischen Anforderungen und die Erwartungen interner Stakeholder an das Risikomanagement seit Jahren stetig zu. Es gilt, immer mehr Risiken und Risikotreiber zu erkennen, zu bewerten und zu steuern. Immer häufiger sind Stresstests und Analysen durchzuführen, und immer umfassender soll die Risikoorganisation über die entwickelten Aktivitäten berichten.

Auf der anderen Seite kann sich auch das Risikomanagement dem Effizienzdruck in der Finanzindustrie nicht entziehen. Es muss seine finanziellen und personellen Ressourcen kontinuierlich hinterfragen und Beiträge zu den unternehmensweiten Kostenzielen leisten. Auch eine klar erkennbare Ausweitung der regulatorischen Anforderungen reicht nicht aus, um hohe Kosten oder gar eine Aufstockung des Personals zu rechtfertigen – ein schwieriges Spannungsfeld.

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