„Wer ein komplexes Produkt kauft, wird dies in Zukunft direkt über den Hersteller tun und so als Kunde von einheitlichen Preisen und einer verbesserten Kundenerfahrung profitieren.“
Allein dieses eine Statement spiegelt die sich abzeichnende tiefgreifende Veränderung ganzer Handelsstrukturen wider. Längst hat der Wandel vom komplexen Händlernetz zum Direktvertrieb nahezu alle Branchen erreicht. Die Corona-Pandemie treibt die Diskussion weiter und zwingt Hersteller dazu, bisherige Vertriebsstrukturen aufzubrechen. Und das gilt nicht nur für einfache Produkte, sondern auch für komplexe Produkte und Dienstleistungen, die Konfigurationen erfordern und individualisierbar sind. Unternehmen stehen hier vor einer nicht zu unterschätzenden Herausforderung. Going Direct beleuchtet die Voraussetzungen, um den Wandel von B-to-B-to-C zu Direct-to-Consumer zu befähigen und bietet Lösungen, um den Schritt zum Direktvertrieb erfolgreich zu nehmen.
Hersteller mit vermeintlich beratungsintensiven Produkten verlassen sich aktuell noch stark auf den stationären Handel, also analoge Kanäle, um ihre Produkte zu vertreiben, und bieten auch sonst nur wenige Onlinekundenkanäle. Doch das Kaufverhalten und die Kunden selbst verändern sich. Sie sind informierter, haben dadurch weniger Beratungsbedarf und nutzen zunehmend Onlinekanäle, um ihre Käufe zu tätigen. Dadurch ist der Point of Sale (PoS) immer dort, oder sollte es sein, wo der Kunde ist. Hersteller müssen daher ihr Vertriebsmodell transformieren und neue Vertriebskanäle erschließen, um auch langfristig erfolgreich zu bleiben und die veränderten Bedürfnisse ihrer Kunden erkennen und erfüllen zu können.
Aber warum besteht genau jetzt Handlungsbedarf?
Hersteller waren bisher auf Zwischenhändler angewiesen, um ihre Waren an den Kunden zu bekommen – vom Hersteller zum Großhändler, zu diversen Distributoren und schließlich zum Einzelhändler. Alle funktionierten als Verbündete in einem komplexen, mehrstufigen Vertriebsmodell. Wohl wissend wie wichtig und tiefgreifend diese Allianzen sein können, müssen sie dennoch kritisch betrachtet und auf Wertschöpfung für den Kunden hin beurteilt werden.
Denn jeder dieser Zwischenhändler bedeutet auch zusätzliche Kosten – aber wer wird diese am Ende tragen? Der Kunde. Jede dieser Instanzen bedeutet für den Hersteller aber auch Intransparenz bezüglich Transaktionspreisen und den Verlust der Preiskontrolle, was zu markenübergreifendem Wettbewerb zwischen Händlern führt. Dies ist einerseits positiv für den Kunden, denn daraus ergeben sich Möglichkeiten, Rabatte in die Höhe zu treiben. Andererseits schätzen viele Kunden das Feilschen um den besten Preis bei Weitem nicht in dem Maß, wie oft vermutet. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass Margen abschmelzen und somit Risiken für alle Player im Vertriebsmodell entstehen.
Jede dieser Etappen bedeutet außerdem einen Bruch in der Customer Journey und die Verwässerung der Markenidentität, was zu einer insgesamt schlechteren Kundenerfahrung und Kundenbindung führt.
Was genau ist damit gemeint?
Im Automobilsektor beispielsweise starten Kunden ihre Suche nach einem möglichen Neuwagen immer häufiger online, meistens auf der Seite der OEMs. In unserer diesjährigen Global Automotive Study haben wir mehr als 2.000 Verbraucher befragt und etwa 80 % wären schon heute bereit, ihr Fahrzeug online direkt vom Hersteller zu kaufen. Trotzdem müssen sie zum Kaufabschluss noch immer den Weg über den Händler nehmen. Der Hersteller übergibt in diesem Moment nicht nur den Einfluss auf den Kunden und dessen Kauferfahrung an den Händler, was besonders im Premiumbereich zum Markenversprechen gehört, sondern zusätzlich werden die wertvollen Daten dem Händler überlassen. Und das obwohl die Kundenschnittstelle und die daraus gewonnenen Daten und Erkenntnisse zunehmend erfolgskritisch sind.
Man muss es sich einmal vorstellen: In einer Zeit, in der Disruptoren durch die Konsolidierung von Kundendaten neue Standards für Kundenerfahrungen setzen und sich jede Erfahrung gegen genau diese beste, jemals gemachte Erfahrung messen lassen muss (unabhängig von Sektoren oder Produkten), wird es essenziell für OEMs, die Kundenschnittstelle zurückzuerobern – und somit die Kontrolle über die Kundenerfahrung zu erlangen und die Kunden dadurch kennenzulernen. Nur so können Kundenbedürfnisse erkannt und es kann schneller darauf mit maßgeschneiderten Produkten und Services reagiert werden. Entrepreneure machen es bereits vor. Sie brechen mit den tradierten Vertriebsmodellen, verzichten komplett auf Zwischenhändler und verkaufen direkt an die Kunden. Dadurch können sie zusätzlich Vertriebskosten senken und Kunden attraktivere Preise anbieten.
Aber auch externe Faktoren wie der demografische Wandel (Kunden werden immer digitalaffiner), die Einführung neuer Technologien und ganz klar auch Covid-19 verändern das Kaufverhalten nachhaltig. Deswegen müssen sich heute viele Unternehmen die Frage stellen, ob ihr Vertriebsmodell noch wettbewerbsfähig ist und ob ihr Geschäftsmodell auch für die neue Käufergeneration und für die Zeit nach Corona noch erfolgsversprechen ist.
Denn neben den Herausforderungen, die Going Direct und der Schritt zum Direktvertrieb bedeuten, ergibt sich daraus mindestens genauso viel Potenzial.
Durch Going Direct und kundenorientierte Prozesse können Unternehmen ihren wirtschaftlichen Erfolg steigern, ihre Kunden noch besser kennenlernen und somit schneller auf ihre Bedürfnisse eingehen, was vor allem in unvorhersehbaren Zeiten wie diesen erfolgskritisch ist
Im aktuell vorherrschenden Vertriebsmodell (B2B2C) verfügen jedoch die Händler über die direkte Kundenschnittstelle und somit auch die Kundenbindung. OEMs haben, wenn überhaupt, nur begrenzt die Möglichkeit, Einfluss auf die Kundenerfahrung zu nehmen. Das traditionelle Touchpoint-Modell (Interesse an einem Fahrzeug – Besuch einer Homepage –Anpassung des Fahrzeugs – Besuch beim Händler und Kauf des Fahrzeugs) ist daher zweifellos veraltet und hat ausgedient.
Bei Direct-to-Consumer rücken Hersteller wieder näher an ihre Kunden und übernehmen den direkten Kundenkontakt von den Händlern. Durch den Einsatz neuer Technologien und Plattformen in Verbindung mit Data & Analytics können OEMs wertvolle Daten sammeln und das nicht nur am PoS, sondern an jedem Punkt im Customer Lifecycle. Akteure, die verstehen, dass Kunden an jedem Touchpoint erkannt werden wollen und erwarten, dass ihnen auf ihre individuellen Bedürfnisse und ihre Situation zugeschnittene Dienstleistungen angeboten werden, sind besser für den Erfolg positioniert. Nur mit einem proaktiven Kundenkontaktpunkt-Management können sich auch traditionelle Unternehmen künftige Einnahmequellen sichern.
Fast die Hälfte aller Führungskräfte und Verbraucher stimmen in diesem Jahr darin überein, dass die OEMs in fünf Jahren dem Kunden am nächsten sein werden. Diese Chance können Hersteller aber nur durch die Gestaltung neuer, kundenorientierter Prozesse und durch die Nutzung der dafür notwendigen digitalen Fähigkeiten und Technologien realisieren. Der Schritt zum Direktvertrieb ist komplex und sollte gut geplant sein. Dabei ist es auch wichtig, die Kunden und deren Bedürfnisse richtig einzuschätzen und identifizierte Handlungsfelder und Kanäle zu priorisieren und auf eine Roadmap hin zu einer integrierten Omni-Kanallösung zu bringen.