Künstliche Intelligenz: Wandel in der Wirtschaftsprüfung
KI: Wandel in der Wirtschaftsprüfung
Wo kann die Maschine unterstützen – und wo braucht es den Menschen
Keyfacts:
- In der Wirtschaftsprüfung gibt es verschiedene Einsatzgebiete für künstliche Intelligenz (KI).
- Bei KPMG werden bereits heute KI-basierte Lösungen wie automatisierte Belegprüfung und Prüfung von Buchungsjournalen eingesetzt, um die Effizienz und Qualität der Wirtschaftsprüfung zu steigern.
- Wirtschaftsprüfer:innen nutzen die Ergebnisse der KI-Analysen, um diese mit ihrer Expertise zu interpretieren und durch weitere Prüfungshandlungen zielgerichtet und risikoorientiert weiterzuverfolgen.
Mit dem Launch von ChatGPT Ende 2022 hat sich die Bedeutung von (generativer) künstlicher Intelligenz (KI) stark gewandelt: Sie ist für eine breite Masse an Nutzer:innen zugänglich geworden. Auch in der Wirtschaftsprüfung wird KI schon heute nutzenstiftend eingesetzt und in den nächsten Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen, wie die KPMG-Experten Sebastian Stöckle und Henning Lieder im Interview erläutern.
Künstliche Intelligenz in der Abschlussprüfung – ist das überhaupt denkbar?
Sebastian: Aus meiner Sicht hat sich künstliche Intelligenz von einer Nische für Data Scientists zu einer Mainstream-Technologie entwickelt, welche die digitale Transformation in vielen Unternehmen und Organisationen beschleunigt. So auch in der Wirtschaftsprüfung. Im nächsten Jahrzehnt wird KI die Wirtschaftsprüfung grundlegend verändern.
Für uns als Wirtschaftsprüfer:innen ist es jedoch wichtig, die Chancen und Risiken vollumfänglich zu kennen und diese für jeweilige Anwendungsfälle einzuschätzen. Nur so können wir ethische, wirtschaftliche, berufsständische und soziale Grundsätze einhalten und gleichzeitig das größtmögliche Potenzial daraus schöpfen.
Bei KPMG ist KI mehr als nur ein Trend: Sie ist schon heute eine wertvolle Technologie, um die Qualität und Effizienz zu steigern. Bereits in 2020 hat KPMG beschlossen, über einen Zeitraum von fünf Jahren rund fünf Milliarden US-Dollar global in die digitale Transformation unseres Unternehmens und der Geschäftsprozesse zu investieren.
Das Potenzial von KI ist groß – sowohl in der Jahresabschlussprüfung als auch in der Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen. Die technischen Lösungen der KI reichen von Machine Learning bis hin zu neuronalen Netzen und sehr komplexen Sprachmodellen, die inzwischen unter dem Kürzel GPT (Generative Pretrained Transformer) oder Generative AI bekannt sind.
Wir unterscheiden nach Anwendungsgebieten und hier primär zwischen Auto-Piloting und Co-Piloting. Von Auto-Piloting sprechen wir, wenn die Arbeitsschritte bis zum Erlangen eines substanziellen Prüfungsnachweises automatisiert erfolgen. Bei Co-Piloting kommt die KI in enger Zusammenarbeit („Mensch-Maschine-Dialog“) mit dem Menschen zum Einsatz und unterstützt den Menschen als intelligenter digitaler Assistent. Siehe Schaubild:
Was sind aktuelle Anwendungsgebiete von künstlicher Intelligenz in der Wirtschaftsprüfung?
Henning: Es gibt vielfältige Anwendungsgebiete. In der Folge möchte ich gerne zwei näher umreißen:
Wir nutzen bei KPMG in unseren Abschlussprüfungen bereits heute routinemäßig sogenannte „Document-Matching“-Lösungen. Diese basieren auf Natural Language Processing und ermöglichen uns eine weitestgehend automatisierte Belegprüfung. Hierbei werden gebuchte Transaktionsdaten wie beispielsweise Umsatzerlöse des Mandanten maschinell mit den zugrunde liegenden Informationen auf den Originalbelegen (in Papier- oder elektronischem Format) abgeglichen. Unsere Prüfer:innen werden direkt auf Unstimmigkeiten oder Abweichungen zwischen den Originalbelegen und den Buchungsdaten hingewiesen und können diese dann durch weitere Prüfungshandlungen zielgerichtet und risikoorientiert weiterverfolgen.
Ebenso werden bei der Anwendung „KPMG Clara analytics – AI Transaction Scoring“ Machine-Learning-Technologien in Abschlussprüfungen eingesetzt. Mit AI Transaction Scoring können wir die Analyse des gesamten Buchungsstoff automatisieren und zudem auffällige Transaktionen identifizieren. In der weiteren Prüfung können wir uns so zielgenau auf risikobehaftete Sachverhalte konzentrieren und die Prüfungssicherheit steigern. Mit der gleichen Technologie sind wir auch in der Lage, im Rahmen eines Screenings der Daten des Unternehmens, erste Hinweise auf Sachverhalte zu erlangen, die möglicherweise auf dolose Handlungen hindeuten können. Für AI Transaction Scoring hat KPMG eine globale Allianz mit Mindbridge geschlossen, einem weltweit führenden Anbieter von KI-basierten Lösungen für Prüfungszwecke.
Welche weiteren Einsatzgebiete sind in Zukunft denkbar und möglich?
Henning: Ein großes Potenzial sehen wir bei „Chatbots“, also Generative AI / GPT. Hier kommt KI zum Einsatz, die auf Basis von Milliarden Datenpunkten aus dem Internet und öffentlich verfügbaren Quellen trainiert wurde. Die Technologie verfügt über neue Möglichkeiten, große Mengen an Texten und Daten zu analysieren und diese in einem Mensch-Maschine-Dialog intelligent, komprimiert und vereinfachend zur Verfügung zu stellen. Kurzum: Generative AI erstellt Inhalte, statt nur vorhandene Daten zu analysieren, und das mit großer Geschwindigkeit und Effizienz.
Bei KPMG sehen wir verschiedene Nutzungsmöglichkeiten von Generative AI. Ein konkretes Beispiel ist der Zugriff auf unser digitales Wissen über Buchhaltungs- und Prüfungsstandards, unsere eigenen Prüfungsmethoden und -vorgaben. Wir versprechen uns davon nicht nur einen Zugewinn von Qualität in der Prüfung, sondern auch eine Verbesserung der Geschwindigkeit, mit der unsere Prüfer:innen in verschiedenen Situationen auf unser globales, digitalisiertes Wissen zugreifen. In der Entwicklung von solchen Funktionalitäten arbeiten wir eng mit unserem globalen Entwicklungs- und Allianzpartner Microsoft zusammen.
Grundsätzlich gilt selbstverständlich: Bei allen Anwendungsfällen von Generative AI ebenso wie von anderen KI-Technologien in der Prüfung muss ein gesetzeskonformer, sicherer und verantwortungsvoller Einsatz gewährleistet sein. Wir stellen dies sicher, indem zum Beispiel Kundendaten das besonders gesicherte KPMG-Umfeld nicht verlassen.
Kann KI die Abschlussprüfung besser und sicherer machen?
Sebastian: Bereits die heute in der Anwendung befindlichen KI-basierten Technologien verbessern die Abschlussprüfung maßgeblich. Durch die Möglichkeiten zur automatisierten Prüfung vollständiger Grundgesamtheiten steigt die Prüfungssicherheit im Vergleich zur traditionellen Vorgehensweise der Belegprüfung in Stichproben. Aufgrund der Möglichkeiten von KI-basierten Anwendungen erhöht sich unseres Erachtens auch die Wahrscheinlichkeit, dass betrügerische Sachverhalte in der Abschlussprüfung identifiziert werden können. Solche Sachverhalte einschließlich ihrer buchhalterischen Erfassung weisen häufig Charakteristiken auf, die sie vom übrigen, „normalen“ Buchungsstoff unterscheiden. AI Transaction Scoring ist in der Lage, genau diese Abweichungen, Anomalien, zu identifizieren und für die Wirtschaftsprüfer:innen transparent aufzuzeigen.
Damit einhergehend werden Wirtschaftsprüfer:innen durch den Einsatz von KI-basierten Technologien von aufwendigen manuellen Routinetätigkeiten entlastet. Dies wird zukünftig mit den aufgezeigten Lösungen noch weiter zunehmen mit der Folge, dass unseren Wirtschaftsprüfer:innen eine noch stärkere und zielgerichtete Fokussierung auf tatsächlich risikobehaftete Bereiche in der Abschlussprüfung ermöglicht wird. Denn: Bei allem technologischen Fortschritt gibt es Grenzen für den Einsatz von KI. So ist und bleibt KI ein Hilfsmittel – und der Mensch mit seinem Urteilsvermögen, seiner Expertise und seiner kritischen Grundhaltung entscheidend für die Prüfqualität.
Vielen Dank für das Interview.