Digitalisierung im öffentlichen Sektor im Spotlight der Corona-Krise

Digitalisierung im öffentlichen Sektor

Wie die Corona-Krise das Digitalisierungspotenzial des öffentlichen Sektors offenbart

Die Vision eines digitalen öffentlichen Sektors

Noch nie stand die Digitalisierung des öffentlichen Sektors so kontrovers im öffentlichen Diskurs wie im Zuge der Covid-19-Pandemie. Doch schon Jahre vor der Krise entstand die Vision einer ganzheitlichen Digitalisierung und Transformation des öffentlichen Sektors. Mit der Verabschiedung des E-Government-Gesetz des Bundes (EGoVG) wurden bereits am 01. August 2013 die Weichen für die Digitalisierung der Bundesverwaltungen beschlossen. Im Sommer 2017 wurde zusätzlich das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs (OZG) erlassen. Dies verpflichtet Bund und Länder ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Dabei werden zwei konkrete Zielbilder verfolgt: Digitalisierung und Vernetzung. Die Schaffung von Nähe zur Bürgerschaft durch einen Perspektivenwechsel von Bürgern und Bürgerinnen zu Kunden und Kundinnen („Customer“) ist hier entscheidend und eine Optimierung der Customer und Employee Journey soll das Ergebnis sein. Zur Beschleunigung des Vorhabens wurde den Ländern im Januar 2021 ein Konjunkturpaket von 1,4 Mrd. € zur Verfügung gestellt. Hohe Flexibilität und schnelle Anpassungsfähigkeit von digitalen Komponenten sind bedeutender als je zuvor. Voraussetzung dafür ist eine Infrastruktur, welche ein leistungsfähiges und belastbares Netzwerk bietet. Der technologische Fortschritt und die damit einhergehenden Softwareeinführungen und Netzerweiterungen sind unaufhaltsam, disruptiv und dynamisch. Das OZG unterscheidet hierbei zwischen vier Reifegraden und verfolgt das Ziel, flächendeckend Reifegrad 4 zu erreichen. Dieser sieht vor, dass sämtliche Leistungen von Bürgern und Bürgerinnen online beantragt werden können. Gleichzeitig sollen alle persönlichen Daten der Antragsstellenden bereits digitalisiert vorliegend sowie aus den entsprechenden Registern gezogen werden können, statt wie bisher von Nutzenden eingereicht werden zu müssen. Siehe dazu: Covid-19 macht OZG-Entwicklungsrückstände sichtbar – KPMG Deutschland (home.kpmg)

Durch die Covid-19-Krise unter die Lupe genommen – Wie digitalisiert ist der öffentliche Sektor tatsächlich?

Noch ist es ein weiter Weg zu einer optimalen, digitalen „Customer Journey“. In vielen Behörden ist das Digitalisierungspotenzial nicht ausreichend ausgeschöpft und es herrscht ein deutlicher Mangel an Vereinfachung und Effizienz. Viel Bürokratie und verschiedene Ansprechpartner und Behörden, die nicht ausreichend zusammenarbeiten, verhindern eine möglichst reibungslose und schnelle Bearbeitung der Anliegen. Die langen Wartezeiten, die komplizierten, intransparenten Prozesse und die hohe Inflexibilität durch Ortsgebundenheit manifestieren nicht nur einen negativen Eindruck bei den Bürgern und Bürgerinnen, sondern resultieren in großer Unzufriedenheit. Der EU-Digitalisierungsindex zeigt, dass Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarländern noch deutlich zurückliegt. Die Ergebnisse der KPMG Customer Experience Excellence Studie (CEE) von 2021, bei der der öffentliche Sektor mit einem Score von 6,54 (10 als Bestnote) den letzten Platz im Branchenvergleich belegte, bestätigt diesen Rückstand. Durch die Abstimmung der drei Komponenten Digitalisierung, Customer Experience und Employee Experience aufeinander könnte das Potenzial digitaler Prozesse im öffentlichen Sektor besser genutzt und der Rückstand aufgeholt werden.


Quelle: KPMG, Digitalisierungsdreieck

Durch die starken, wechselseitigen Beziehungen zwischen den drei Komponenten wirken sich die Schwächen Einzelner auf die jeweils anderen aus und resultieren in weitreichenden Konsequenzen für alle Beteiligten. Das entstehende Ungleichgewicht bremst den Transformationsprozess deutlich aus. Dass der öffentliche Sektor diesem Teufelskreis bislang nicht vollkommen entkommen konnte, zeigt die aktuelle Covid-19-Krise. Die Auszahlung von z.B. Soforthilfen, außerordentlichen Wirtschaftshilfen, branchenspezifische Hilfen für das Schauspiel & Kultur, stille Einlagen, Kreditleistungen etc. sowie die Impfkoordination verschärfen den Bedarf von Digitalisierung. Die Not wurde durch Teilnehmenden der CEE Studie bestätigt.

Diese Krise verdeutlicht, dass die öffentlichen Institutionen aufgrund von ausstehenden Softwareanpassungen, fehlender Infrastruktur und nicht ausreichend geschulten Mitarbeitenden den erhöhten Bedarf an Koordination nicht erfüllen können. Dies wird zum Beispiel darin deutlich, dass die Sonntagsmeldungen der aktuellen Corona Fallzahlen durch die Gesundheitsämter auf Grund von mangelnder Technik per Fax an das zentrale Register übermittelt werden müssen. Darüber hinaus hat die verspätete Bereitstellung von Impfterminen deutschlandweit und international zu einem großen Echo geführt. Immer wieder kommt es zu Systemzusammenbrüchen, welche durch die Mitarbeitenden nur schwer und langsam behoben werden können, auch aufgrund einer Unterbesetzung der Gesundheitsämter. Auch die Customer-Journey scheint nicht ausreichend durchdacht. Die Gruppe 1, welche priorisiert geimpft wurde, umfasst vor allem Personen über 80 Jahren, die wenig Übung in der Handhabung von mobilen Endgeräten haben oder nicht über einen Internetzugriff verfügen. Ebenso zeigt sich bei der Kontaktnachverfolgung, dass die Prozesse der deutschen Behörden noch weiter optimiert werden sollten. Das Durchbrechen der Infektionsketten gilt als eine der wichtigsten Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Auch hier schlagen die Unterbesetzung und die wenig fortgeschrittene Digitalisierung der Gesundheitsämter zu Buche. Die „Corona-Warn-App“ lieferte nicht den gewünschten Erfolg in der Krisenbekämpfung, mitunter ebenfalls durch eine nicht durchdachte Customer-Journey. Darüber hinaus sind Personen ohne Zugriff auf ein mobiles Endgerät von der Nutzung des Service komplett ausgeschlossen. Das es auch anders geht zeigen Applikationen wie „Luca“, welche durch die Nutzung von QR-Codes an öffentlichen Orten eine Registrierung von Besuchern ermöglicht. Eine private Initiative hat innovativ eine bedarfsgerechte Entwicklung in kürzester Zeit durchgeführt. Eine Lücke wurde geschlossen, welche ein akutes Problem der Kontakterfassung schnell und einfach für alle Beteiligten lösen konnte. Ein kurzer Scan mit dem Handy ersetzt das mühsame Ausfüllen von Kontaktlisten, erleichtert somit die Einhaltung des Datenschutzes und ermöglicht die Kompatibilität mit der Software der Gesundheitsämter. Dass der Einsatz solcher Technologien erst ein Jahr nach Beginn der Krise in Betracht gezogen wird, zeigt einmal mehr die Notwendigkeit von Schnelligkeit und Flexibilität des öffentlichen Sektors. Langsame behördliche Prozesse und die Hürde, die Applikationen auf die unzureichend entwickelte IT der Gesundheitsämter auszulegen, sorgten für die verzögerte Implementierung. Es scheint, als würde der öffentliche Sektor sich selbst ausbremsen.

Mit welchen Quick Wins der öffentliche Sektor dem großen Digitalisierungsziel schnell näherkommen kann

Um eine langfristig erfolgreiche Digitaltransformation zu erreichen, muss zunächst eine gut strukturierte und durchdachte Strategie entwickelt werden. Dazu gehört die Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse sowie die Etablierung von iterativen, agilen Methoden. Was sind nun aber Maßnahmen, die der öffentliche Sektor kurzfristig umsetzen kann, um die akute Krisensituation besser bewältigen zu können? Durch die Aufteilung des großen Digitalisierungsvorhabens in kleinere Arbeitspakete und Entwicklungsfelder kann der Prozess leichter umgesetzt und kurzfristige Ziele schneller erreicht werden. Wir empfehlen drei Schritte, die sowohl auf die Optimierung der Digitalisierung, der Customer Experience als auch der Employee Experience abzielen.

  1. DIGITALSIERUNG – Durch den Einsatz intelligenter Dienste wie Chatbots und den Gebrauch von Cloud Technologien kann die Digitalisierung vorangetrieben werden. Kapazitätsengpässe sind aktuell eine der größten Herausforderungen der Behörden. Chatbots bieten die Möglichkeit, Mitarbeitende zu entlasten. Durch Cloud Technologien kann Arbeitnehmenden außerdem die Möglichkeit eingeräumt werden, flexibler und von Zuhause zu arbeiten. Von der Entlastung der Mitarbeitenden profitieren auch die Kunden und Kundinnen, da die Qualität ihrer Journey verbessert wird.
  2. EMPLOYEE EXPERIENCE – Im Zuge des Transformationsprozesses sind Schulungen von Mitarbeitenden in der Nutzung der neuen Verfahren und Techniken essenziell und können damit große Verbesserungen hervorrufen. Die aktuelle Lage fordert eine schnelle Adaptionsfähigkeit und eine hohe Flexibilität von Mitarbeitenden. Da viele Mitarbeitende überfordert und Prozessketten meist intransparent sind, gewinnt die ständige Kommunikation und Weiterbildung von Angestellten eine noch größere Bedeutung. Trainingshinhalte können auf Resilienz am Arbeitsplatz, mobiles Arbeiten und die Nutzung von neuen Methoden einzahlen. Hierbei können ebenfalls intelligente Dienste zur Hilfe genommen werden. Durch Schulungen können Mitarbeitende Systemzusammenbrüche (beispielsweise wie bei dem Online-Terminsystem für Impfzentren) vermeiden oder im Bedarfsfall schneller beheben. Im Rahmen der Transformation innerhalb der Ämter ist ein begleitendes Change Management für die Mitarbeitenden unerlässlich. Das E-Government Gesetz und die damit einhergehende Modernisierung des öffentlichen Sektors fokussiert neben dem Schulungsaspekt besonders die Digitalisierung sämtlicher interner Prozessabläufe, um die Zusammenarbeit und Vernetzung innerhalb und zwischen Institutionen zu stärken und somit langfristig auf die Zufriedenheit der Mitarbeitenden einzuzahlen.
  3. CUSTOMER EXPERIENCE – Maßnahmen wie die Analyse von Kundenbedarfen, um zu ermitteln, wie die bereitgestellten Services angenommen werden oder um weitere Bürgerbedarfe zu identifizieren, zielen direkt auf die Optimierung der Customer Experience ab. Darüber hinaus ist die Etablierung von serviceübergreifender Nutzung von Kundendaten, zum Beispiel in Form des Bürgerkontos, ein essenzieller Schritt, um Bürgern eine nutzbringende Anwendung von digitalen Verwaltungsdiensten anzubieten. Gerade bei dem Ausmaß an Personendaten, die aktuell verzeichnet werden müssen, ist ein gezieltes Management der Informationen unverzichtbar. Das OZG stellt dabei die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung. Speziell für die Impfkoordination ist es wichtig, einen Service und Hilfestellungen für Bürger und Bürgerinnen anzubieten, die mit der digitalen Transformation überfordert sind. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass die Angebote des öffentlichen Sektors die breite Gesellschaft erreichen. Daher ist eine medienübergreifende Vermarktung zu empfehlen. Durch den Einsatz von Social Media gelingt es vor allem die jüngeren Generationen (Gen X, Y und Z) flächendeckend zu informieren.

Das Gleichgewicht zwischen Digitalisierung, Customer Journey und Employee Journey

Durch die oben genannten Maßnahmen kann es gelingen, Digitalisierung, Customer Experience und Employee Experience in Einklang zu bringen. Die Zusammenführung der drei Komponenten kann das Scheitern digitaler Angebote präventiv verhindern. Besonders wenn die Mitarbeitenden als Teil des Transformationsprozesses eingebunden werden, werden sie den Prozess vorantreiben, statt ihn auszubremsen. Außerdem führen Weiterbildungen zu einer größeren Selbstsicherheit der Arbeitnehmenden, wodurch diese wiederum bessere Beratung anbieten können. Auch die Kunden und Kundinnen profitieren, da digitale Dienste auf sie abgestimmt sind und ihren Bedürfnissen entsprechen. Die Bereitschaft, digitale Dienste zu nutzen, steigt und macht sie so erst relevant. Denn Dienste, die zwar technisch einwandfrei sind, aber nicht von den Kunden angenommen werden, tragen nicht zur Zielerreichung bei. Der Einklang der drei Komponenten ermöglich es, dass die Digitalisierung zu einem organischen Transformationsprozess wird, den alle Beteiligten im Rahmen ihrer Möglichkeiten vorantreiben. Dies ist besonders wünschenswert für die aktuelle Krisenbewältigung und würde diese deutlich erleichtern und beschleunigen.

Quelle: KPMG, Das Gleichgewicht zwischen Digitalisierung, Customer Journey und Employee Journey

Co-Autor: Britta Fejes
E-Mail: bfejes@kpmg.com

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