Servitization: ein organisationsweites Unterfangen

Wie gelingt die Integration ergänzender Dienstleistungen in das bestehende Produktangebot?

Immer schneller aufeinanderfolgende technologische und digitale Disruptionen sowie die voranschreitende Globalisierung erschweren es Unternehmen zunehmend, sich von der Konkurrenz abzuheben und einen relevanten Wettbewerbsvorteil zu entwickeln. Ein Aspekt dieser rasanten Entwicklung sind digitale Informations- und Kommunikationstechnologien, welche es weiter vereinfachen, physische Produkte oder ergänzende Dienstleistungen im virtuellen Raum anzubieten. Mit immer schneller gesättigten Produktmärkten und kürzeren Produktlebenszyklen ist diese Entwicklung eine Möglichkeit für die Innovation oder Rekonfiguration des eigenen Angebots, um der Kommodifizierung der eigenen Produkte entgegenzuwirken.

Transformation von produktzentrierten hin zu kundenzentrierten Unternehmen

Insbesondere produktorientiere Unternehmen, welche sich hauptsächlich auf das Management ihrer Produkte und deren Innovation konzentrieren, werden so gezwungen, sich mehr und mehr dienstleistungsbasierenden Geschäftsmodellen zuzuwenden. Somit verlagert sich der Schwerpunkte hin zu kundenzentrierten Unternehmen, was die individuelle Kundschaft, deren Bedürfnisse und künftige Rentabilität in den Vordergrund rückt. Dieser Trend hin zur Customer Centricity wird auch als Servitization oder Service Infusion bezeichnet.

Servitization beschreibt den grundlegenden organisatorischen Transformationsprozess, welcher die Integration von Dienstleistungen in das Produktangebot entlang aller relevanten Prozesse einer Organisation umfasst. Der Prozess der Servitization beschreibt also den Wandel weg von der festgefahrenen und veralteten Konzentration auf Waren oder Dienstleistungen hin zu integrierten Systemen. Das Produkt-Service-System entsteht dann als Ergebnis des Servitizationprozesses in Form eines Pakets integrierter Produkte und Dienstleistungen. Diese Bündelung des Produktes mit erweiternden und oft personalisierten Dienstleistungen stellt für Unternehmen die Chance dar, das bestehende Geschäftsmodell durch zielgerichtete (Service-)Innovation zu verstärken und einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten. Ziel hierbei ist es, die Beziehung zur Kundschaft auszubauen, tiefere Einblicke in deren Bedürfnisse zu erhalten und so das erweiterte Angebot an Dienstleistungen optimal für diese zu gestalten. Dies ermöglicht die Schaffung von gegenseitigem Wert für Anbieter und Kundschaft.

Die Kundschaft erwartet jedoch nicht mehr nur ein einfaches Produkt oder eine Dienstleistung, sie erwartet eine Lösung: ein Rundumpaket für ihre individuellen Bedürfnisse und Probleme. Daher reicht es oft nicht mehr aus, im Servitization-Prozess Elemente zum bestehenden Geschäftsmodell hinzuzufügen, es bedarf einer organisationsweiten Transformation. Neben den Veränderungen der prozessualen Abläufe muss auch die Beziehung zur Kundschaft auf- und ausgebaut werden, alte Denkweisen und Verhaltensmuster müssen neu ausgerichtet werden und die Ressourcen sowie Fähigkeiten des Produktumfangs müssen auf die Dienstleistungsinnovation ausgeweitet und übertragen werden können. Um also erfolgreich von dem Verkauf von Produkten zum Verkauf von Lösungen überzugehen, bedarf es einerseits einer Business Model Innovation und andererseits einer grundlegenden organisationsweiten Transformation.

Business Model Innovation oder Rekonfiguration als grundlegende Maßnahme

Innovation kann in verschiedenen Formen und Arten auftauchen. Grundsätzlich stellt sie eine meist geplante und kontrollierte Veränderung dar, welche sich auf verschiedenste Bereiche beziehen kann. Diese Veränderung geht mit der Einführung von etwas Neuem einher. Einem neuen Verfahren, der Einführung neuer Technik oder der Etablierung einer neuen Idee, welche ein Produkt oder eine Dienstleistung erneuert und auf den neusten Stand bringt. Die Geschäftsmodelinnovation stellt neben den traditionellen Formen (Produkt-, Prozess- oder Organisationsinnovation) eine neuere Art der Innovation für Unternehmen dar. Durch sinkende Eintrittsbarrieren, das Aufkommen des Internets sowie die Globalisierung verwischen die Grenzen zwischen einzelnen Branchen zunehmend und lassen so neue Chancen und Möglichkeiten für Unternehmen entstehen. Die Möglichkeit für die Gestaltung neuer grenzüberschreitender Organisationsformen verstärkt sich und ermöglicht es Unternehmen, die Art und Weise, wie sie sich organisieren und am wirtschaftlichen Austausch teilzunehmen, grundlegend zu ändern. Hierbei kann die Innovation auf verschiedene Weise stattfinden. Es können Aktivitäten hinzugefügt, neuartig verknüpft oder durchführende Parteien ausgetauscht werden. Ein Beispiel für die Hinzufügung einer solchen Aktivität wäre die Implementierung einer Dienstleistung in Form einer Engagement-Plattform. Diese kann dabei unterstützen, das externe und interne Engagement der Akteure und der von diesen kontrollierten Ressourcen zu erleichtern. Einerseits erhält das Unternehmen durch die Einbindung der Kundschaft Zugang zu deren Entscheidungsträgern und ebenfalls Einblicke in deren latente Bedürfnisse. Auf der anderen Seite ermöglicht die interne Einbindung die effektivere Nutzung der Ressourcen, die in den verschiedenen Organisationseinheiten vorhanden sind. Das C/4HANA-Cloud-Portfolio stellt solch ein integriertes Angebot dar, welches verschiedenste Arten von Dienstleistungen beispielsweise. im Handel, Vertrieb oder Kundenservice im Front-Office unterstützt und miteinander verbindet.

Für diesen Transformationsprozess des eigenen Geschäftsmodells gibt es verschiedene Herangehensweisen, jedoch vermitteln sie alle eine ähnlich Kernaussage. Zunächst müssen die aktuelle Situation und der Kontext, in welchem sich das Unternehmen befindet, analysiert werden. Darauf aufbauend geht es um die Generierung von Ideen und Möglichkeiten, wie aus einem produktzentrierten Fokus ein einheitliches System aus Produkten und Dienstleistungen entstehen kann. Auch hier haben Unternehmen viele verschiedene Arten von Dienstleistungen und Wege, diese zu integrieren. Der grundlegende Schwerpunkt sollte dabei auf der Werteschaffung für die Kundschaft und Anbieter liegen. Man versucht also, den Future State zu definieren und umfangreich auszulegen. Der St. Galler Business Model Navigator ist eine beispielhafte Herangehensweise, unter anderem. zur Ideenfindung stimmiger Geschäftsmodelle. Mit dieser prozessorientierten Methodik können verschiedene Geschäftsmodell-Muster mit dem aktuellen Modell verglichen und dann übertragen, kombiniert oder wiederholt werden. Der Fokus liegt hier vor allem auf dem Wer (Zielgruppen), Was (Nutzungsversprechen) und Wie (Herstellung und Werterzielung). Danach folgt eine „Trail and Error“-Phase, in welcher das neue Geschäftsmodell integriert wird. Dieses muss dann konstant evaluiert und angepasst werden, um dessen Zukunftsfähigkeit zu garantieren.

Pfadabhängigkeiten und festgefahrene Kultur als mögliche Hindernisse

Neben dieser strukturellen Veränderung durch die Neuausrichtung des Business Models gilt es weiterhin, festgefahrene Pfadabhängigkeiten zu lösen und die organisationale Trägheit zu überwinden. Eine große Herausforderung resultiert hierbei häufig aus den produktorientierten Denkmodellen, die die Geschäftslogik bis dahin bestimmt haben. Hinzu kommt das häufig fehlende Verständnis dafür, wie man die bestehenden Ressourcen und Fähigkeiten auf die Dienstleistungsinnovation übertragen kann und diese so mit dem Kerngeschäft verbindet. Hierfür muss auch das Dienstleistungsportfolio im neuen Marktsegment entsprechend definiert sein, wofür vor allem die Kundschaft und deren Bedürfnisse mit einbezogen werden müssen. Eine weitere Herausforderung stellt die Veränderung der internen Kultur dar. Auch hier ist die klare Definition des Dienstleistungsportfolio entscheidend, um zu erkennen, welche Kompetenzen benötigt werden. Mitarbeitende und deren Abläufe sind ebenfalls auf die alten Strukturen ausgerichtet und können die Einführung einer Servicementalität erschweren. Hierfür wird ein konsequentes Management mit einer klaren Kommunikation benötigt, um Mitarbeitende abzuholen und während der Transformation zu begleiten.

Vorantreiben der Digitalisierung, um die Transformation zu ermöglichen

Auch der Stand der Digitalisierung eines Unternehmens spielt gerade in der Integration von digitalen Dienstleistungen eine bedeutende Rolle. Für die Einbeziehung der Kundenbedürfnisse benötigt ein Unternehmen ein ausgeprägtes Kundenverständnis gepaart mit ausreichend unterstützenden Daten. Nur so können in der Analyse- und Entwicklungsphase entsprechende Ansätze generiert werden, welche werteschaffend für die Kundschaft sind. Ebenso sind diese Daten ein Grundbaustein für eine durchgängige Customer Journey im Vergleich zu einem weniger zufriedenstellenden Flickenteppich von unzusammenhängenden Produkten und Dienstleistungen. Wie unsere Studie zum Digitalisierungsindex im Bereich Marketing und Vertrieb 2021 zeigt, geht die Schere zwischen stark digitalisierten und gering digitalisierten Unternehmen an einigen elementaren Stellen stark auseinander. Besondere Unterscheidungsmerkmale sind das Setzten eindeutiger Ziele und die Erfolgsmessung durch KPIs, datenbasiertes Kundenverständnis gepaart mit individueller Kundenbetreuung sowie Topmanagementunterstützung für digitale Initiativen.

Durch digitale Interaktion und die Möglichkeiten des Internets hinterlassen vernetzte Verbraucher:innen digitale Fußspuren, aus denen durch passende Analyse relevante Erkenntnisse gezogen werden können. Diese Analytik über das datenreiche Umfeld, in welchem sich die Kundschaft bewegt, schafft verwertbare Erkenntnisse darüber, wie sie die Produkte und Dienstleistungen nutzt. Zusätzliche sollte neben der Datenanalyse und -verwertung jedoch auch das Feedback der Kundschaft eingeholt werden, um das Kundenverständnis zu vervollständigen. Diese Eindrücke können vor, während, aber auch nach der Integration die Bedürfnisse der Kundschaft verstärkt in den Vordergrund bringen und geplante bzw. getroffene und umgesetzt Maßnahmen dahingehend evaluieren. Dieses Wissen lässt sich dann auf interne Geschäftsabläufe, die Lieferkette und die Steuerung der Mitarbeitenden übertragen, um die ganzheitliche Integration eines Produkt-Dienstleistungs-Pakets weiter zu fördern und fortlaufend anzupassen.

Feedback der Kundschaft für eine optimale Customer Experience nutzen

Mit unser Studie Customer Experience Excellence – Was für Kunden zählt haben wir uns auch damit auseinandergesetzt, wie das Feedback der Kundschaft als Basis für die optimale Gestaltung der Customer Journey dienen kann. Neben der Sammlung und Verwertung von Kundendaten müssen auch diese selbst in die Integration eines ganzheitlichen Produkt-Dienstleistungs-Systems miteinbezogen werden. Die Studie betrachtet sechs Treiber von Customer Experience Excellence (Personalisierung, Zeit & Aufwand, Erwartungen, Integrität, Problemlösungskompetenz und Empathie), welche in Kombination eine herausragende Kundenbeziehung aufweisen und in signifikantem Zusammenhang mit der Loyalität, der Weiterempfehlungsbereitschaft und dem Preis-Leistungsverhältnis stehen. Für jede dieser Qualitäten wurden Kundinnen und Kunden befragt, was ihnen hier besonders wichtig. Aufbauend auf diesem Feedback wurden dann die tieferen Beweggründe und Bedürfnisse näher erläutert und Handlungsoptionen identifiziert. Auch solche Ergebnisse sollten bereits in die Analysephase der aktuellen Situation und in die darauf aufbauende Entwicklung von Möglichkeiten miteinbezogen werden, um später die der Kundschaft zu treffen und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Entscheidet sich also ein Unternehmen für die Verschiebung seines Schwerpunktes über seine Produkte hinaus hin zu einem lösungsorientierten Modell, gilt es, diese Veränderung auf allen organisationalen Ebenen intern sowie extern umzusetzen und durch eine Neuausrichtung des Geschäftsmodell strukturell zu festigen. Hierbei müssen auch das datenbasierte Kundenverständnis und der Einbezug der Kundschaft selbst ausgebaut werden, um das bestmögliche Ergebnis für die Kundschaft und Anbieter zu erreichen. Grundlage hierfür ist unter anderem der Digitalisierungsgrad eines Unternehmens, der diese Prozesse erst ermöglicht.

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Design von kundenzentrierten und datengetriebenen Geschäftsmodellen, auf Basis von digitalen Produkten und Services

Unternehmen haben inzwischen die Bedeutung eines exzellenten Kundenerlebnisses erkannt, viele bleiben aber immer noch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Stattdessen kämpfen sie mit den Herausforderungen einer unruhigen Zeit: Digitalisierung, schwankende Konjunktur, sich ständig ändernde Kundenbedürfnisse sowie zunehmende Regularien, zum Beispiel durch Daten- und Umweltschutz. Einst etablierte Geschäftsmodelle erwirtschaften nicht mehr die gewohnten Erfolge. Neue Wettbewerber spülen in den Markt. Verbraucher von heute sind besser informiert, weitflächiger vernetzt und anspruchsvoller als je zuvor. Das Orchestrieren eines komplexen Kundenlebenszyklus, um ein exzellentes Kundenerlebnis zu schaffen, wird somit zu einer der größten erfolgskritischen Herausforderungen.

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