Digitalisierung der Autoindustrie: Vom Standstreifen auf die Überholspur
Vom Standstreifen auf die Überholspur
Wie Fahrzeughersteller Digitalisierung und kundenorientierte Weiterentwicklung meistern
Keyfacts
- Die Automobilindustrie liegt bei der digitalen Transformation auf Ebene der Produkte und der Kundenbeziehungen zurück
- Unterschiedliche Faktoren verlangsamen innovative und kundenorientierte Weiterentwicklung
- Der Leading-Practice-Ansatz von KPMG gibt Unternehmen konkrete Orientierungshilfen und Handlungsanleitungen
Die Automobilindustrie sollte mit Blick auf die Digitalisierung und die sich stetig wandelnden Kundenbedürfnisse einen weiteren Gang hochschalten, um nicht den Anschluss zu verlieren. Während andere Industrien, Branchen und Dienstleistungen längst in digitale Technologien in der Customer Interaction investieren, fällt es Autohersteller zunächst schwer, die richtigen Themen anzuschieben. Kunden und Kundinnen erwarten nicht mehr nur ein schickes, schnelles, sparsames und sicheres Auto, sondern legen neben der Qualität des Produkts auch großen Wert auf eine ansprechende Customer Experience – die sie von Unternehmen aus anderen Bereichen inzwischen gewohnt sind. Ein exzellentes Kundenerlebnis sollte sich daher auch beim Automobil über Suche Kauf und die Nutzung bis hin zur Behandlung von Problemen oder Fragen erstrecken. Zusätzlich mischen neue, branchenfremde Konkurrenten, wie etwa Technologiekonzerne mit dem Angebot von Mobilitätsdiensten, im Rennen um den Kunden mit – und geben Vollgas.
Insellösungen und Interessenskonflikte bremsen kundenorientierte Innovation
Noch vor ein paar Jahren kam es für Autobesitzer und -besitzerinnen fast ausschließlich auf PS, Komfort und Sicherheit sowie auf das Image einer bestimmten Marke in der Öffentlichkeit an. Doch die Ansprüche von Kunden entwickeln sich weiter. Dadurch steigt der Handlungsdruck, von einem reinen Fahrzeughersteller zu einem Anbieter digitaler Mobilitätsdienste zu werden. Die Lösung scheint auf den ersten Blick klar: kundenorientierte Neuausrichtung und innovative Weiterentwicklung. Doch so einfach ist es nicht. Zum einen erschweren die zahlreichen und heterogenen Systemlandschaften die Systemstandardisierung. Zum anderen beeinträchtigt die beschränkte Integration des Autohandels eine ganzheitliche Kundensicht. Die vielen Insellösungen führen dazu, dass datenbasierte Optimierungen mit großem Aufwand verknüpft sind. Denn Daten in Echtzeit zu erfassen, zu speichern und zu analysieren ist den meisten Unternehmen der Branche nicht möglich, sodass wichtige Informationen verloren gehen.
Ein weiterer hemmender Faktor sind verschiedene Interessen der vielen Projektstakeholder, die schnelle und agile Lösungsfindungen erschweren. Dabei versucht jeder Einzelne jeweils die optimale Lösung für den Kunden zu finden – jedoch meist mit Fokus auf den eigenen Verantwortungsbereich und nicht auf einen aus Kundensicht durchgängigen Prozess.
Die vielen verschiedenen Schnittstellen sowie historisch gewachsenen Organisationsstrukturen und Abläufe mit fehlenden übergreifenden Verantwortlichkeiten sorgen für Silostrukturen. Um die skizzierten Herausforderungen für die Innovation und Kundenorientierung zu meistern, gibt es jedoch ein paar Themen, die zur Steigerung der Erfolgswahrscheinlichkeit in dem schwierigen Umfeld beitragen können:
In fünf Schritten die Kundenzufriedenheit auf ein neues Niveau bringen
1.Kunden- und Endkundenperspektive einnehmen und frühzeitig Feedback einholen:
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort kann jeder Stakeholder wertvollen Input liefern, um frühzeitig bestehende Schwachstellen transparent zu diskutieren. Das Feedback der verschiedenen Interessengruppen stets zu synchronisieren ist essenziell, um keine Ressourcen zu verschwenden und Potenziale zu schaffen. Wichtig: Lösungsansätze sind nicht nur in der eigenen Branche zu suchen.
2.Interdisziplinäre Teams aus Fachabteilungen, IT und Rechtsabteilung formen:
Um unnötige Zusatzarbeit ohne Kundennutzen zu verhindern, sollten Teams interdisziplinär zusammenarbeiten. Die Kooperationen über Abteilungsgrenzen hinweg decken meist sämtliche notwendigen Kompetenzen ab und sorgen für reibungslose Kommunikation zwischen den beteiligten Abteilungen. Dadurch sind sie in vielen Fällen schlichtweg erfolgreicher in der Lösungsfindung für unbekannte Herausforderungen, die die digitalen Services mit sich bringen.
3.Eine klare Zielsetzung mit einer agilen Roadmap verfolgen:
Unternehmen sollten ihre Vertriebsstrategie herunterbrechen und daraus eine Erfolgsvision ableiten. Eine konsistente IT-Strategie, die mittels übergreifender, vernetzter und durchgängiger IT-Systeme die nahtlose Integration der Customer Journey sicherstellt, unterstützt die Strategie des Vertriebs zusätzlich. Unternehmen sollten bei der Entwicklung ihrer Erfolgsvision jedoch berücksichtigen, dass sich die Welt und Kundenbedürfnisse stetig weiterentwickeln. Was gestern noch Best Practice war, kann morgen schon Worst Case sein. Agil und wandlungsfähig zu bleiben ist erfolgsentscheidend.
4.Verantwortlichkeiten sinnvoll verteilen und Projekte visibel machen:
Mitarbeitende sollten von Beginn an eingebunden und mit ihrer Rolle entsprechenden Verantwortlichkeiten betraut werden. Fehlende Transparenz führt zu Verwirrung bei anderen Beteiligten. Projekte wie die digitale Transformation können nicht einfach nebenbei erledigt werden. Zudem ist die Visibilität von Projekten innerhalb des Unternehmens entscheidend, um auch die Unterstützung des Top-Managements zu erhalten, was ganz neue Türen öffnen kann.
5.Eine singuläre technologische Basis für vernetzte IT-Systeme nutzen:
Unternehmen sollten zunächst auf Technologien setzen, die kein Spezialwissen benötigen, denn hochspezialisierte Entwicklungsressourcen in Form von Fachexperten und Fachexpertinnen sind rar gesät. Dabei ist zu beachten, dass die Kompatibilität verschiedener Systeme für nachhaltige und auch zukünftige Lösungen gesichert ist. Zudem verhindert ein allgemeingültiger Datenbestand, die sogenannte Single Source of Truth, ungewollte Datenduplikate, sichert hohe Datenqualität und ermöglicht wertvolle Insights.
Angesichts des Veränderungsdrucks, den Grad der Digitalisierung auf Produkt- und Beziehungsebene mit Kunden zügig zu erhöhen, sollten Fahrzeughersteller schnellstmöglich handeln. Denn auch wenn die Weiterentwicklung ein langwieriger Prozess mit dem einen oder anderen Boxenstopp sein wird, führt kein Weg am Fortschritt vorbei – wenn Unternehmen der Automobilindustrie langfristig erfolgreich sein wollen. Weitere Informationen zu diesem Themengebiet finden Sie unseren Artikel Going Direct – der Schritt vom stationären zum Direktvertrieb, Willkommen im Club – Mobilität als Erlebniswelt und Emissionen und Emotionen.
Co-Autor: Tobias Pingel
E-Mail: tpingel@kpmg.com