Nach dem Zins-Peak: Was ist jetzt im Risikomanagement zu tun?

Banken müssen Szenarien für die neue Zinsphase entwickeln

Keyfacts:

  • Nach einer beispiellosen Serie von Leitzinserhöhungen scheint der Gipfel erreicht – die Banken sind gefordert, ihr Risikomanagement auf eine neue Phase auszurichten.
  • Die Entwicklung belastbarer Szenarien ist jedoch herausfordernd, denn aus der jüngeren Vergangenheit liegen keine Erfahrungen über das veränderte Kundenverhalten in Hochzinsphasen vor.
  • Die bestehenden Szenarien auf der Basis vergangener Hochzinsphasen sind kritisch zu hinterfragen. Denn Kunden sind flexibler und besser vernetzt als noch vor zehn Jahren.

Der Gipfel der jüngsten Aufwärtsentwicklung bei den Leitzinsen scheint erreicht. Die Banken im Euroraum sind nun gefordert, sich auf eine neue Phase einzustellen. Doch die Entwicklung von Szenarien für diese Phase ist mit einigen Herausforderungen verbunden.

Der Euroraum hat eine beispiellose Serie von Zinserhöhungen hinter sich: Seit Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft zehn Mal in Folge angehoben.

Da die hohen Inflationsraten mittlerweile deutlich zurückgehen, hat die EZB nun eine Zinspause eingelegt. Ob es in den kommenden Monaten noch einmal zu einer Erhöhung oder bereits zu einer Verringerung der Zinsen kommen wird, kann niemand vorhersagen.

Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch hoch, dass das erreichte Zinsniveau eine Weile Bestand haben wird. Darauf deuten auch die jüngsten Äußerungen mehrerer EZB-Direktoriumsmitglieder hin.

Eine neue Phase: Banken müssen Geschäft und Risikomanagement neu ausrichten

An diesem Zinsumfeld wird erneut deutlich: Banken müssen ihr Risikomanagement so ausrichten, dass sie resilient gegen Veränderungen in beide Richtungen – Zinserhöhungen wie -senkungen – sind und entsprechende Szenarien entwickeln und modellieren, um frühzeitig auf alle Situationen vorbereitet zu sein.

Und das ist der Knackpunkt am aktuellen Zinsumfeld. Denn da aufgrund der langen Niedrigzinsphase die letzten Zinssenkungen rund zehn Jahre zurückliegen, gibt es keine belastbaren Erfahrungswerte aus der jüngeren Vergangenheit, die zur Verhaltensmodellierung bei aktuellen Entwicklungen direkt genutzt werden könnten. Erfahrungswerte aus weiter zurückliegenden Zeiten zu nutzen, ist jedoch schwierig, da sich das Kundenverhalten mittlerweile verändert hat – nicht zuletzt durch die gestiegene Bedeutung von Social Media und den Vormarsch von Online-Angeboten.

Höhere Dynamik durch verändertes Kundenverhalten

Welche Auswirkungen dieses veränderte Kundenverhalten hat, konnte bei den Bank Runs in den USA im Frühjahr 2023 beobachtet werden: Hier führten Diskussionen in sozialen Netzwerken innerhalb kürzester Zeit zu massiven Einlagenabflüssen.

Denn nicht nur Informationen und Gerüchte verbreiten sich durch die digitale Transformation immer schneller. Auch das Umschichten von Geldern ist immer häufiger per Mausklick möglich. Banken sind daher mit einer neuen Dynamik konfrontiert.

Diese höhere Dynamik zeigt sich aber nicht nur bei Bank Runs. Sie wirkt sich weniger auffällig auch immer stärker im Einlagengeschäft der Banken aus, und das insbesondere in Hochzinsphasen. Denn dann sind die Margen im Vergleich zu Niedrigzinsphasen höher.

Veranstaltung von KPMG und DIE ZEIT in Davos

Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, sprach beim Weltwirtschaftsforum in Davos auf der gemeinsamen Veranstaltung von KPMG und DIE ZEIT unter anderem über die Widerstandsfähigkeit deutscher Banken im aktuell volatilen Umfeld, über die neue Zinsphase und über Erfolgsfaktoren von Deutschland und Europa im globalen Wettbewerb.

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Attraktive Einlagenangebote tun Not

Bieten Kreditinstitute ihren Einlegern also keine attraktiven Angebote, ist damit zu rechnen, dass diese ihre Einlagen heute sehr viel schneller abziehen und in für sie attraktivere Einlagenangebote umschichten. Dies gilt in besonderer Weise für die Zielgruppe der jüngeren Kunden, die ohnehin eine höhere Wechselbereitschaft aufweisen.

Die Folgen liegen auf der Hand: Das Einlagengeschäft wird anfälliger, die Wettbewerbsintensität unter den Kreditinstituten nimmt zu. Gleichzeitig steigt die Bedeutung der (Online-)Kommunikation und des Reputationsmanagements.

All diese Entwicklungen sind in den Szenarien des Risikomanagements abzubilden und zu berücksichtigen. Im Kern geht es dabei um die Frage: Wie hoch muss ich meine Einlagen mindestens verzinsen, um die Bestände stabil zu halten?

Aufgrund der langanhaltenden Niedrigzinsphase gibt es für das veränderte Kundenverhalten jedoch keine belastbaren Anhaltspunkte. Umso wichtiger ist es, dass Banken nun die Erkenntnisse aus der aktuellen Phase volatiler Zinsen nutzen, um ihre Szenarien und Modelle weiterzuentwickeln und die Sensitivität der Einleger gegenüber den produktspezifischen Zinsen im Vergleich zu den Marktzinsen in ihre Modelle zu integrieren.

Risikomanagement und Treasury sind gefordert

Ähnliches gilt für die Entwicklung von Szenarien für das Kreditgeschäft: Bleiben die Zinsen über einen längeren Zeitraum hoch, werden potenzielle Kreditnehmer – sofern sie überhaupt noch Kredite in Anspruch nehmen – die Angebote angesichts der höheren Zinsen sehr genau prüfen.

Auch hier trägt die digitale Transformation durch mehr Transparenz, neue Dialogmöglichkeiten und einen leichteren Zugang zu Kreditangeboten zu einer höheren Wechselbereitschaft der Kunden bei. Gleichzeitig steigt das Risiko von Kreditausfällen, insbesondere bei Anschlussfinanzierungen.

Das Risikomanagement und das Treasury sind daher gefordert. Die vor rund zehn Jahren entwickelten Szenarien sind substanziell anzupassen und auf das neue Kundenverhalten auszurichten.

Sowohl bei der Stabilität des Passivgeschäfts als auch bei der Planung des Aktivgeschäfts sind neue Parameter zu setzen und die bestehenden Modelle kritisch zu hinterfragen.