Das Ende der Einwegwirtschaft

Zirkuläre Geschäftsmodelle als Chance

Die Bemühungen der DAX-Konzerne reichen nicht aus, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie (WhatifReport 2019). Und das britische Marktforschungsunternehmen Economist Intelligence Unit hat errechnet, dass sich das weltweite Bruttoinlandsprodukt bis 2050 durch steigende Temperaturen und damit verbundene Dürren und Überschwem­mungen um circa acht Billionen US-Dollar reduzie­ren wird (Economist Intelli­gence Unit 2019).

Die Politik hat verstanden, dass ihre Legitimation leidet, wenn sie Ansprüche ihrer Stakeholder – die Wähler – vernachlässigt und reagiert deshalb mit Regulierungen.

Das Klimapaket der Bundes­regierung legt (im zweiten Anlauf) den CO²-Preis auf 25 Euro pro Tonne ab 2021 fest, ein Betrag, der bis 2025 auf 55 Euro pro Tonne steigen soll.

Geschäftsmodelle hinterfragen

Die daraus resultierenden Mehreinnahmen für den Staat sind Mehrausgaben für die Unternehmen. Das Klimapaket hat also direkten Einfluss auf deren Geschäfts­modelle und Kostenstrukturen. Besonders betroffen sind energieintensive Branchen wie die Stahlindustrie, die nach Angaben des Umwelt­bundesamts 55 Millionen Tonnen CO² pro Jahr produziert – und damit circa 7 Prozent aller in Deutschland entstehenden CO²-Emissio­nen. Entsprechend umfang­reich sind in der Branche die Transformationsanstrengungen in Richtung klima­neutrale Produktion.

Aber auch andere Sektoren müssen vor diesem Hinter­grund ihr Geschäftsmodell überdenken. Wie eine aktuelle Befragung von über 1.400 Firmenchefs (CEO Outlook 2019) weltweit ergab, betrachten Unternehmenslenker Klima- und Umweltrisiken als die größte Bedrohung für das Wachstum.

In diesem Zusammenhang nehmen die Anforderungen von Finanzinstituten an die Governance der Firmen zu: In seinem „Letter to CEO“ stellt Larry Fink, CEO von BlackRock, die Bedeutung von „Umweltrisiken und Chancen“ als zentrale Governance-Aufgabe heraus.

Auch Versicherungsunternehmen treiben den Wandel hin zur kohlenstoffarmen Wirtschaft voran. So verzichtet die Allianz seit 2018 auf die Einzelversicherung von Kohlekraftwerken und -minen im Bau oder Bestand. Bis zum Jahr 2040 sollen kohlebasierte Geschäftsmodelle im Kundenportfolio sowohl im Versicherungsgeschäft selbst als auch bei der Anlage der Versicher­tengelder schrittweise auslaufen.

Wer zu lange auf das Geschäftsmodell Kohle setzt, wird also über kurz oder lang das Nachsehen haben, eine Entwicklung, die der EU-Aktionsplan „Sustainable Finance“ weiter beschleu­nigt. Dessen Maßnahmen zielen darauf ab, den Kapitalfluss in Unternehmen zu lenken, die die europäischen Nachhaltigkeitsziele fördern und so dazu beitragen, die finanziellen Risiken des Klimawandels zu bewältigen.

Handlungsdruck steigt

Insgesamt üben die ökologischen und politischen Rahmenbedingungen also erheblichen Handlungsdruck auf die Unternehmen aus. Um auch zukünftig den Ansprüchen ihrer Stakeholder gerecht zu werden, müssen sie ihre Geschäfts­modelle hinterfragen und konsequent in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickeln.

Üblicherweise reagieren Unternehmen darauf mit der Umstellung auf erneuerbare Energien und weiteren Ansätzen zur Verbesserung der ökologischen Nachhaltig­keit, die primär auf Ressour­ceneffizienz abzielen. Ziel ist dabei stets eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistung bei relativer Verringerung des Rohstoffeinsatzes. Auch wenn dadurch negative Auswirkungen auf die Umwelt reduziert werden können, ist diese Strategie nicht ausreichend. Denn eine inkrementelle Anpas­sung des Geschäftsmodells reicht nicht aus, langfristig notwendig ist eine radikale Transformation.

Das Ende des Take-Make-Dispose-Systems

Problematisch sind die meisten klassischen Geschäfts­modelle deshalb, weil ihnen ein lineares Produktionssystem zugrunde liegt. Die Kurzform dieser Logik lautet: „Take-Make-Dispose“, zu Deutsch etwa: „Nehmen-Herstellen-Wegwerfen“.

Tatsächlich werden in Europa derzeit nur etwa 5 Prozent des Rohstoffwerts von Produkten nach Erstnutzung wiedergewonnen und nur etwa 60 Prozent der Materia­lien am Ende ihrer Lebens­dauer recycelt, kompostiert oder wiederverwendet (Ellen MacArthur 2015).

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Besonders die Nutzungs­dauer von elektronischen Geräten ist erschreckend kurz. Europas Autos stehen im Durchschnitt mehr als 90 Prozent des Tages ungenutzt herum, und mehr als 30 Prozent aller Lebensmittel werden nicht konsumiert, sondern entlang der Wertschöpfungskette entsorgt. In der Baubranche wird mehr als 40 Prozent mehr Stahl genutzt, als zwingend notwendig wäre. Und global betrachtet kommt eine weitere Studie zu dem Schluss, dass lediglich 9 Prozent aller eingesetzten Materialien aus Wiederverwertung oder Recycling stammen und 91 Prozent aus Primärrohstoffen (Circularity Gap Report 2019).

Eine Alternative zum linearen Produktionssystem ist die Circular Economy (zu Deutsch: Kreislaufwirt­schaft). Sie bricht mit der beschriebenen Logik des „Take-Make-Dispose“.

Von der Natur lernen

Analog zu den Ökosystemen der Natur, in denen alle Organismen in einem Netzwerk von Interdepen­denzen leben und die Ausscheidungen des einen Organismus Nahrung für einen anderen sind, gibt es in einer idealen Kreislaufwirt­schaft keine Abfälle mehr.

Um sich diesem Ideal annähern zu können, sollten Unternehmen die Prinzipien der Circular Economy (CE) in ihre Strategie und ihre Governance überführen und „Circular Thinking“ funktions­übergreifend verankern. Eine ganze Reihe von Unternehmen hat sich bereits auf diesen Weg gemacht. Houdini Sportswear zum Beispiel strebt an, bis 2030 seine Produkte und seine Lieferkette zu 100 Prozent zirkulär aufzustellen, IKEA setzt sich dasselbe Ziel.

In einer Kreislaufwirtschaft wird der Ressourcen- und Energieeinsatz sowie die Abfallproduktion durch das Verlangsamen, Verringern und Schließen von Materialkreisläufen reduziert. Materialauswahl und Design werden konsequent umge­stellt, um Langlebigkeit, Wiederaufbereitung, Repara­turfähigkeit und zum Beispiel auch biologische Abbaubar­keit der Produkte zu ermöglichen. Digitale Technologien erleichtern das Teilen und erhöhen dadurch den Nutzungsgrad der Produkte. Am Ende des Lebenszyklus werden die verschiedenen Wertstoffe durch Sortieren und Demontage getrennt und stofflich für die erneute Nutzung als Ersatz für Primärrohstoffe aufbereitet.

Die Prinzipien der Circular Economy liefern also konkrete Handreichungen, um Wertschöpfung neu zu definieren und erbringen so für Stakeholder und für die Gesellschaft insgesamt einen Mehrwert. Wie groß dieser potenziell ist, veran­schaulicht eindrucksvoll eine weitere Zahl: In den Sektoren Zement, Stahl, Plastik und Aluminium ließen sich durch Kreislaufwirtschaft europa­weit bis 2050 40 Prozent der aktuellen Emissionen vermeiden, so die Studie „How the Circular Economy tackles Climate change“ (2019).

„Analog zu den Ökosystemen der Natur gibt es in einer idealen Kreislaufwirtschaft keine Abfälle mehr.“

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Kreislaufwirtschaft als Chance

Und Unternehmen, die zirkuläre Geschäftsmodelle entwickeln, schaffen nicht nur Mehrwert für ihre Stakeholder und die Umwelt, sie profitieren auch selbst davon. Der World Business Council for Sustainable Development (WBCSD 2019) schätzt den ökonomischen Mehrwert auf mehrere Billionen US-Dollar.

Die skizzierten Chancen zu nutzen, gehört zu den zentralen Aufgaben guter, zeitgemäßer Corporate Gover­nance. Notwendig dafür ist ein aktives Steuern und Zusammenarbeiten über interne Silos hinweg, was nur möglich ist, wenn die Unternehmensleitung die Wirkung des Geschäftsmodells auf Umwelt und Gesellschaft und vice versa kennt, bewertet – und die richtigen Maßnahmen daraus ableitet. Ziel und Bewertungsmaß­stab guter Unternehmens­führung in diesem Sinne sind die Entwicklung eines finanziell, gesellschaftlich und ökologisch tragfähigen und damit nachhaltigen Geschäftsmodells.

Entwickeln lässt sich dies in fünf Schritten mithilfe der KPMG-Methode „Sustain­able Business Model Innovation“ (SBMI).

  1. Dabei wird zunächst das Marktumfeld analysiert und ein Benchmarking hinsichtlich Nachhaltigkeit durchgeführt.
  2. Im zweiten Schritt werden das bestehende Geschäfts­modell in einzelne Bestand­teile zerlegt und die Felder mit der größten Nachhaltig­keitsrelevanz (Hot Spots) identifiziert und bewertet.
  3. Drittens folgt eine kreative Entwicklung von Geschäfts­modellinnovationen, wobei nachhaltige Geschäftsmodellmuster herangezogen werden, die sich bereits in der Praxis bewährt haben.
  4. Viertens werden die neuen Geschäftsmodelle hinsichtlich ihrer finanziellen, ökologischen und gesell­schaftlichen Auswirkungen bewertet und in spezifischen Kennzahlen verdichtet. In diesem Zusammenhang hat KPMG mit internationalen Partnern ein Rahmenwerk für zirkuläre Messgrößen (Circular Transition Indicators) entwickelt.
  5. Nach der Auswahl eines Geschäftsmodells erfolgt fünftens schließlich dessen Umsetzung, beispielsweise als internes Projekt, Spin-off oder Joint Venture, wobei kein Geschäftsmodell statisch ist, keins langfristig exakt so funktioniert wie einst konzipiert. In dieser Experimentier- und Lernphase können sich einzelne Bausteine des Modells aufgrund von Marktreaktionen ändern.

Fazit: Nachhaltigkeit lohnt sich

Die Wirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Der Begriff „Nach­haltigkeit“ ist omnipräsent und fasst die Ansprüche unterschiedlicher Stakeholder zusammen. Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie sie die damit verbunde­nen Risiken mitigieren und Chancen nutzen können. Gute Corporate Governance muss hierauf eine Antwort finden. Ein wirkungsvoller Hebel liegt in der Entwick­lung von zirkulären Geschäfts­modellen. Dazu ist es notwendig, das bestehende Geschäftsmodell radikal zu hinterfragen und hinsichtlich seiner Wirkung auf Gesell­schaft und Umwelt zu bewerten. Für die Analyse und Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle bedarf es einer strukturierten Methode, etwa der Sustainable Business Model Innovation.

Am Ende ist die Veränderung von Geschäftsmodellen in Richtung Nachhaltigkeit nicht nur lohnenswert für die Gesellschaft und die Umwelt sondern vor allem für die Wettbewerbsfähigkeit und damit auch Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.

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