Bislang ist nur die Pressemitteilung bekannt, eine ausführliche Begründung liegt noch nicht vor. Dennoch sorgt die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13. September zur Arbeitszeiterfassung für viele Diskussionen. Darin erkennt das Gericht in Paragraf 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen.
Bislang konnten Arbeitgeber davon ausgehen, dass sie lediglich dazu verpflichtet sind, über die tägliche Regelarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeiten aufzuzeichnen. Dass dies nicht ausreicht, ist spätestens seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) klar, der schon 2019 den Mitgliedstaaten aufgegeben hat, die Arbeitgeber zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem einzuführen. Dieser Aufforderung hat der deutsche Gesetzgeber keine Taten folgen lassen.
Was bedeutet das aktuelle Urteil – eine Einordnung
Die Entscheidung des BAG wird Auswirkungen auf die betriebliche Praxis haben. Unmittelbare Folge ist die grundsätzliche Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung. Weniger deutlich sind die konkrete Ausgestaltung dieser Systeme und die mittelbaren Handlungsfelder. Hierzu eine Einordnung:
Arbeitgeber sind verpflichtet, ein System einzuführen respektive zu unterhalten, mit dem die Arbeitnehmer:innen die geleistete Arbeitszeit erfassen können. Das gilt für alle Arbeitgeber, unabhängig davon, ob das Unternehmen durch einen Betriebsrat mitbestimmt wird.
Vertrauensarbeit, Homeoffice und flexibles Arbeiten bleiben weiter möglich
Die Einführung eines Zeiterfassungssystems wird in der Praxis insbesondere Auswirkungen auf flexible Arbeitszeitmodelle (unter anderem die Vertrauensarbeitszeit), aber auch die Arbeit außerhalb der Betriebe (Homeoffice/mobiles Arbeiten/Workation) haben. Auch bei genauer Betrachtung der Entscheidung des BAG sind solche modernen Arbeitszeitmodelle zukünftig durchführbar, allerdings dürfte die Möglichkeit zur Arbeitszeiterfassung hierbei obligatorisch werden.
Jedenfalls ist das Urteil nicht als Absage an das Modell der Vertrauensarbeitszeit zu verstehen. Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass der Arbeitgeber lediglich den Umfang der wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit vorgibt. Die Arbeitnehmer:innen entscheiden eigenständig über ihre Arbeitszeiteinteilung und unterliegen auch keiner regelmäßigen Überwachung. Ob die Arbeitszeiterfassung auf die Arbeitnehmer:innen delegiert und in deren Belieben gestellt werden kann, bleibt abzuwarten. Das BAG hat jedenfalls nicht die Pflicht der Arbeitgeber erkannt, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer:innen tatsächlich zu erfassen.
Noch ist unklar, wie Zeiterfassungssysteme aussehen sollen
Weder das aktuelle Urteil des Bundesarbeitsgerichts noch die Verlautbarungen des EuGH bieten konkrete Vorgaben, wie ein objektives, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem auszusehen hat. Die Gerichte haben bisher nur über das Ob der Einführung von Systemen zur Arbeitszeiterfassung entschieden. Die konkrete Ausgestaltung obliegt nach wie vor dem Gesetzgeber.
Verpflichtung zur Überprüfung der Arbeitszeiten fließt verstärkt in Compliance-Systeme ein
Eine weitere und maßgebliche mittelbare Folge der Entscheidung ist regulatorischer Ausprägung. Zeiterfassungssysteme können zukünftig von den Arbeitsschutzbehörden eingefordert werden. Die Einhaltung und Überwachung des Arbeitszeitgesetzes werden damit transparenter und nachprüfbarer als bisher. Die Arbeitszeiterfassung wird so zum Teil der Compliance Systeme.
Ansprüche zur Vergütung von Überstunden künftig leichter durchsetzbar
Und auch wenn das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung aus dem Mai 2022 festgestellt hat, dass die Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung nicht zu einer Beweislastumkehr in einem Prozess über die Vergütung von Überstunden führt, dürfte die flächendeckende Einführung Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen die Durchsetzung entsprechender Ansprüche erleichtern.
Was tun?
Diejenigen Arbeitgeber, die noch kein entsprechendes System der Zeiterfassung vorhalten, sind nun dem Grunde nach dazu verpflichtet, ein solches einzuführen. Sie sind allerdings gut beraten, wenn sie vor der konkreten Ausgestaltung prüfen, ob die Urteilsbegründung des BAG konkrete Hinweise dazu gibt. Außerdem sollten alle Arbeitgeber – auch diejenigen, die schon ein solches System etabliert haben – im Blick behalten, ob der Gesetzgeber sich des Themas annimmt.