Im Fokus: Decoupling


Chinas Wirtschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch eine hohe Exportorientierung, bei gleichzeitig relativem Schutz der heimischen Industrie vor ausländischem Wettbewerb, gewaltig gewachsen. Lange galt China als die Werkbank der Welt, doch das Land hat sich von einem Low-Cost-Produktionsstandort zu einem High-Tech-Standort entwickelt.

Wie entwickelt sich China wirtschaftlich weiter?

Längst werden nicht mehr nur günstige Waren für den Rest des Globus hergestellt und westliche Produktideen nachgeahmt, sondern auch eigene Innovationen forciert. Das zeigt sich etwa in der Informations- und Kommunikationstechnologie. In den kommenden Jahren strebt China in zahlreichen Bereichen die Innovationsführerschaft an, etwa in der Robotertechnologie oder der Biomedizin.

Wie kam es zum Konflikt zwischen China und den USA?

Dies ist für westliche Unternehmen eine große Herausforderung. Vor allem in den USA wurden die hohen Handelsbilanzüberschüsse Chinas und das eigene Handelsbilanzdefizit zunehmend kritisch betrachtet. Unter US-Präsident Donald Trump führte diese zunehmend verschärfte Debatte im Jahr 2018 zu einem Handelsstreit mit China. Die USA warfen China unfaire Handelspraktiken vor und belegten chinesische Importe mit hohen Einfuhrzöllen. Darauf reagierte China mit der Einführung zusätzlicher Zölle auf US-Importe.

Und was bedeutet nun Decoupling?

Der Handelsstreit war jedoch nur der Beginn einer sehr viel größeren Entwicklung – nämlich der Entkopplung der beiden Wirtschaftsmächte. Dieses Decoupling ist keine kurzfristige Taktik, sondern ein langfristiger Trend, der durch „America First“ und Chinas Strategie der „zwei Kreisläufe“ (Dual circulation) angeheizt wurde. Auch Trumps Amtsnachfolger Joe Biden setzt die Auseinandersetzung mit China und damit das Decoupling fort. Ziel seitens der USA ist es, durch die Entkopplung den weiteren Aufstieg Chinas zu einer führenden Technologiemacht zu stoppen.

Wo zeigt sich beispielsweise Decoupling?

Ein bekanntes Beispiel für die zunehmende Entkopplung im Bereich der Zukunftstechnologien ist der Streit um die Nutzung der 5G-Mobilfunktechnologie des chinesischen Anbieters Huawei. Ähnliche Konfliktlinien verlaufen etwa entlang von Cloud-Technologien, Halbleitern oder künstlicher Intelligenz.

Welche Folgen hat Decoupling für Drittländer, insbesondere Europa?

Der Fall 5G zeigt auch, dass im Zuge des Decouplings der Druck auf Drittländer in Europa steigt. So droht sich das von den USA dominierte Handelssystem zunehmend von dem von China dominierten System abzuwenden. Damit einher gehen Einfuhr- und Ausfuhrverbote etwa für Chips oder Rohstoffe wie seltene Erden oder bestimmte Chemikalien. Firmen, die sich nicht an die jeweiligen Regularien des betreffenden Wirtschaftsblocks halten, müssen mit Sanktionen rechnen.

Damit hat die Entkopplung Chinas und der USA erhebliche Auswirkungen auf europäische Unternehmen, insbesondere die international stark verflochtene deutsche Wirtschaft. Der Erfolg deutscher Unternehmen beruht auf weltweiten Lieferketten und Absatzmärkten sowie der Verfügbarkeit von günstigen globalen Ressourcen und Produktionsstandorten. Decoupling bedroht dieses Geschäftsmodell.

Wie wird sich Decoupling langfristig auswirken?

Insbesondere das Festlegen unterschiedlicher Standards, Regeln und Gesetze, die in den jeweiligen Wirtschaftsblöcken gelten, wird sich international langfristig stark auswirken, mit negativen Folgen für die Globalisierung. Unterschiedliche Standards etwa bei Halbleitern können zu Technologiebrüchen führen. Global aktive Unternehmen werden dann gefordert sein, sich auf zwei „Sets of standards“ einzustellen – was zu massiv höheren Kosten und einem Verlust an Flexibilität hinsichtlich der Zulieferer und Produktionsstandorte führt.

Insgesamt hat das regulatorische Decoupling erheblich größere Kraft, die globale Wirtschaft stark zu schädigen, als der Zollkonflikt.

Wie sollten Unternehmen darauf reagieren?

Die Entkopplung der beiden großen Wirtschaftsmächte kann eine Anpassung von Geschäftsstrategien europäischer Unternehmen erforderlich machen, was wiederum zu vielfältigen Veränderungen von Unternehmensprozessen, Lieferketten usw. führen kann. Für europäische Unternehmen könnten etwa Produktionsstandorte in (Ost-)Europa interessanter werden (Lokalisierung, Diversifizierung, Nearshoring).

Kaum denkbar erscheint aus deutscher Sicht indes die Aufgabe eines der beiden Standards, also ein Rückzug entweder aus den USA oder aus China, aufgrund der Decoupling-Tendenzen. Dazu sind beide Märkte für deutsche Unternehmen zu bedeutend.

Wie sich Unternehmen auf die Entkopplung der beiden Wirtschaftsmächte einstellen können, beschreibt Andreas Glunz, Bereichsvorstand International Business, auf dem Klardenker-Blog. Vier vielversprechende zusätzliche Märkte, die näher betrachtet werden sollten, stellt er hier vor. Decoupling war auch Gesprächsthema beim KPMG Zukunftsgipfel 2022 mit Andreas Glunz, Ex-Bundeswirtschafts- und -Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sowie dem Automobilmanager Dr. Johann Wieland. Mehr zu der Panel-Diskussion finden Sie im Blogbeitrag „Handel zwischen Konfrontation und Wettbewerb“.