New York City Skyline in Wolken

So wirkt sich Decoupling auf das Compliance Management aus

Warum Unternehmen geopolitische Risiken ständig im Blick behalten sollten.

Decoupling ist nicht nur ein wirtschaftliches Problem, sondern auch eine Haftungsfalle. Die gute Nachricht: Mit der richtigen Compliance-Strategie und einem guten Risikomanagement können sich Unternehmen vor finanziellen Schäden schützen.

Es begann mit Einfuhrzöllen der USA auf Solarzellen, Stahl, Aluminium und andere chinesische Waren. Immer mehr Strafzölle folgten, bis schließlich auch die Chinesen mit eigenen Importzöllen auf amerikanische Waren und unterschiedlichen industriellen Standards reagierten. Die USA und China versuchen seit Jahren, sich voneinander unabhängig zu machen und voneinander zu „entkoppeln“. Das hat Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Aber auch Wirtschaftsembargos gegen andere Länder, die Covid-19-Pandemie, der Brexit und schließlich der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Russland-Sanktionen haben die Globalisierung ausgebremst.

Mit Dr. Stefan Suchan, Rechtsanwalt und Partner bei KPMG Law, und Anne-Kathrin Gillig, Rechtsanwältin und Partnerin bei KPMG Law, haben wir darüber gesprochen, was Decoupling für deutsche Unternehmen in rechtlicher Hinsicht bedeutet.

Welche Folgen hat Decoupling für die deutsche Wirtschaft? 

Dr. Stefan Suchan: Als Folge von Wirtschaftssanktionen brechen Absatz- und Einkaufsmärkte weg, Lieferungen fallen aus oder verzögern sich, Rohstoffe sind möglicherweise nicht mehr verfügbar. Das Unabhängigkeitsstreben Chinas und der USA ist ein fortlaufender Trend und betrifft nicht nur die beiden Länder. Auch deutsche bzw. europäische Unternehmen sind gefordert, die gegenseitigen Sanktionen dieser Länder einschließlich Ein- und Ausfuhrbeschränkungen ständig im Blick zu haben.

Anne-Kathrin Gillig: Besonders problematisch ist es für Unternehmen, die sowohl mit den USA als auch mit China Geschäftsbeziehungen unterhalten. Die sind in einer Zwickmühlenposition, die nicht auflösbar ist.

Inwiefern? Was kann passieren?

Anne-Kathrin Gillig: Es können Strafzölle fällig werden, Geschäftsbeziehungen können wegbrechen. Wenn zum Beispiel ein Handelspartner oder gar ein Anteilseigner eines deutschen Unternehmens auf einer US-Sanktionsliste steht, wäre amerikanischen Firmen möglicherweise die Zusammenarbeit verboten. Und das deutsche Unternehmen könnte unter Umständen auch seinerseits Sanktionsmaßnahmen der zuständigen US-Behörden ausgesetzt sein, was erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Geschäftsentwicklung haben kann.

Betrifft Decoupling auch Unternehmen, die nur mit einem der beiden Länder Handel betreiben?

Dr. Stefan Suchan: Auch wer derzeit nur mit amerikanischen oder nur mit chinesischen Unternehmen zusammenarbeitet, sollte sich nicht zurücklehnen. Denn das könnte sich von heute auf morgen ändern. Angenommen, ein deutsches Unternehmen hat aktuell nur in China Geschäft. Beispielsweise könnte ein wichtiger europäischer Geschäftspartner von einem US-amerikanischen Konzern übernommen werden. Oder aber eine Produktionsstätte in China fällt weg und es soll auf ein anderes asiatisches Land ausgewichen werden, das dann aber die amerikanischen Sanktionen anwendet. Auch könnte es bereits zum Problem werden, wenn ein Geschäftspartner aus der EU Geschäfte mit US-Amerikanern macht. Daher sollte man immer beide Länder im Blick behalten. Und das USA- oder das China-Geschäft komplett aufzugeben, kann gegebenenfalls notwendig, aber nie die einzige Lösung sein. Die Herausforderungen bleiben die gleichen.

Wie können Unternehmen sich schützen?

Anne-Kathrin Gillig: Hier ist die Rechts- bzw. Compliance-Abteilung gefordert: In das Compliance-Management-System müssen Sanktionsspezifika eingebracht werden. Und dann muss es kontinuierlich aktualisiert werden und auch eine Schnittstelle zum Risk-Management-System enthalten. Auch das Risk-Management-System sollte die geopolitische Lage und mögliche Sanktionen einschließlich Ein- und Ausfuhrsperren berücksichtigen. Mögliche Veränderungen der Situation, insbesondere mögliche neue Sanktionen oder eine Verschärfung des bestehenden Ausführregimes, gilt es zu antizipieren.

Was ist dabei die größte Herausforderung für Unternehmen?

Dr. Stefan Suchan: Es ist essenziell, Risiken fortlaufend einzuschätzen und zu bewerten und die geopolitische Entwicklung ständig zu beobachten – sowohl hinsichtlich ihrer Absatzmärkte als auch ihrer Lieferketten. In welchen Ländern sitzen wichtige Kunden und Lieferanten? Und wer hält Anteile an den jeweiligen Gesellschaften?

Anne-Katrin Gillig: Sanktionslisten, Aus- und Einfuhrbestimmungen verschiedener Länder ändern sich quasi wöchentlich und die benötigten Informationen und insbesondere deren Rechtsfolgen sind für Laien schwer abzuschätzen und rechtlich einzuordnen. Das können und wollen nicht alle Unternehmen selbst leisten, sondern sind auf anwaltliche Unterstützung angewiesen. Hinzu kommt, dass man auch die politische Lage in den verschiedenen Ländern beobachten und mögliche Reaktionen der Amerikaner oder der Chinesen vorhersehen sollte. Es gilt die Eintrittswahrscheinlichkeit abzuschätzen und das Risiko zu bewerten, und zwar kontinuierlich. Das erfordert Expertise und kostet eine Menge Zeit.

Warum ist Risikomanagement an der Stelle so wichtig?

Dr. Stefan Suchan: Wenn Unternehmen keine Vorkehrungen für den Eintritt der Risiken treffen, keinen Plan B haben, kann das zu großen wirtschaftlichen Schäden führen, wenn sich ein Risiko verwirklicht. Ein Beispiel: Ein Unternehmen investiert in einem Land, über das später ein Wirtschaftsembargo verhängt wird. Oder in diesem Land befindet sich die einzige Bezugsquelle für wichtige Rohstoffe. Wenn im Nachhinein klar ist, dass man diese Entwicklung hätte vorhersehen und darauf reagieren können, dann können sich die Verantwortlichen im Unternehmen, in der Regel die Organe bzw. Geschäftsleitung, haftbar machen. Sie sollten dann nachweisen können, dass sie das geopolitische Risiko zutreffend bewertet und im Rahmen der unternehmerischen Entscheidung abgewogen haben.

Mit welcher weiteren Entwicklung ist zu rechnen?

Anne-Kathrin Gillig: Die Abschottungspolitik der USA und China geht auch unter US-Präsident Biden weiter und es sieht momentan nicht so aus, als ob sich die beiden Wirtschaftsmächte in nächster Zeit wieder einander annähern. Im Gegenteil: Je nachdem wie China sich in Bezug auf Taiwan oder auch die Uiguren weiter verhält, könnte es in Zukunft eher noch schwieriger für die globale Wirtschaft werden. Vorkommnisse, wie zum Beispiel der mutmaßliche chinesische Spionageballon im Luftraum der USA, können die Spaltung jederzeit verschärfen.