Aufnahme von oben. Zwei Menschen sind in einer wüstenähnlichen Umgebung zu sehen. Einer am linken, der andere am rechten Bildrand. Zwischen den beiden verläuft ein dunkler Streifen.

Ist Decoupling das Ende der Globalisierung? 3 Fragen und Antworten

Diese Auswirkungen haben Entkopplungstendenzen auf die Weltwirtschaft und Deutschland.

Unser Experte für International Business, Andreas Glunz, beschreibt, wie stark Deutschland mit China und den USA wirtschaftlich verbunden ist und welche Folgen eine Entkopplung der Märkte für Deutschland hätte.

Ist die Globalisierung ein Erfolgsmodell für die Weltwirtschaft und Deutschland?

In den vergangenen drei Jahrzehnten war die Wirtschaft in Europa, China und den USA geprägt von einer immer stärkeren globalen Vernetzung der Wirtschaftsaktivitäten, die häufig als Phase der „Hyper-Globalisierung“ bezeichnet wird. Die Triebfeder hierfür waren absolute und komparative Kostenvorteile internationaler Arbeitsteilung:

Zum einen ist es wirtschaftlich sinnvoll, dort einzukaufen, wo die Kosten für Rohstoffe und den Produktionsfaktor Arbeit unter Berücksichtigung von Transport- und sonstigen Transaktionskosten am niedrigsten sind („absolute Kostenvorteile“). Dies hat zum sogenannten Single Sourcing beim weltweit günstigsten Anbieter geführt. Voraussetzung dafür ist, dass die Lieferketten auch international funktionieren. Das ist in Zeiten von Pandemien, Kriegen und Naturkatastrophen als Folge der Erderwärmung aber leider nicht der Normalfall.

Zum anderen ist es wirtschaftlich ebenfalls optimal, wenn sich jedes Land auf seine „komparativen“ Stärken fokussiert. Das Positive an Arbeitsteilung: Es ist ein Win-Win für alle beteiligten Akteure, wie sich am starken Wachstum der Weltwirtschaft, dem zunehmenden Wohlstand und der abnehmenden Armut in der Welt seit den 1990er-Jahren deutlich ablesen lässt.

Die USA und China sind heute mit weitem Abstand die beiden größten Wirtschaftsnationen der Welt, Deutschland liegt auf dem vierten Platz.

Die USA und China sind für Deutschland auch die beiden wichtigsten Wirtschaftspartner. Erkennbar ist dies unter anderem am gegenseitigen Handel (Importe und Exporte) mit beiden Ländern.

Die USA und China zusammen stehen für circa ein Fünftel aller Exporte Deutschlands, wobei der Anteil Chinas seit 2016 stetig stieg von sechs Prozent auf acht Prozent. Hingegen hat der Anteil der Exporte in die USA seit 2016 sukzessive leicht abgenommen. Aber immer noch exportiert Deutschland mehr in die USA als nach China.

Bei den Importen stehen die USA und China zusammen für ebenfalls circa ein Fünftel aller Importe nach Deutschland. Auch hier nahmen die Importe aus China stetig zu, von circa acht Prozent 2013 auf zuletzt zwölf Prozent 2021, wohingegen der Anteil der Importe aus den USA seit 2015 nahezu unverändert ist.

Mindestens genauso bedeutsam wie der Handel sind die Investitionen deutscher Unternehmen in diesen Ländern. Mehr als 5.000 deutsche Unternehmen besitzen lokale Gesellschaften in China und mehr als 3.000 deutsche Unternehmen existieren in den USA. Vor Ort forschen die Unternehmen, produzieren, vertreiben ihre Produkte und erbringen Dienstleistungen. In den Handelsstatistiken taucht die im Ausland erwirtschaftete Wertschöpfung deutscher Unternehmen nicht auf, sondern nur der Transfer an Waren (Import und Export). Der Umfang der internationalen Wertschöpfung deutscher Unternehmen im Ausland ist vollumfänglich nur erkennbar in den Konzernabschlüssen deutscher Konzerne, als die im Ausland erwirtschafteten Umsatzerlöse und Gewinne.

Ein Blick in viele dieser Abschlüsse verrät, dass deutsche Konzerne häufig zwischen 50 und 90 Prozent ihrer Umsatzerlöse und Gewinne nicht in Deutschland, sondern im Ausland erzielen – und davon mit großem Abstand vorrangig in den USA und zugleich in China. Ein Wegfallen eines der beiden Handelspartner hätte somit erhebliche Auswirkungen auf diese Unternehmen und die deutsche Volkswirtschaft.

Für die deutsche Wirtschaft gibt es aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen keine Alternative zur Globalisierung und zur Zusammenarbeit mit den USA und China, denn Deutschland mit etwa 83 Millionen Einwohnern und Europa mit rund 450 Millionen Einwohnern sind im Vergleich zur gesamten Welt mit etwa acht Milliarden Menschen (davon 1,4 Milliarden in China und 330 Millionen in den USA) vergleichsweise kleine und kaum wachsende, saturierte Märkte.

Was bedeutet Decoupling für die Globalisierung?

Beim Decoupling handelt es sich um die wirtschaftliche Entkopplung (häufig politisch motiviert) einzelner Volkswirtschaften oder sogar ganzer Wirtschaftsblöcke. Die am meisten thematisierte Abschottung betrifft die des Westens – unter Führung der USA – von der zweitgrößten globalen Wirtschaftsmacht China. Aber auch der Brexit sowie die erlassenen Sanktionen gegen Russland oder den Iran sind Beispiele derartiger Entkopplungen.

Die Formen der Entkopplung und Abschottung sind vielfältig und haben sich in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Im Kern geht es meist um den Schutz der eigenen Volkswirtschaft vor ausländischen Wettbewerbern mit Hilfe vielfältiger protektionistischer Maßnahmen.

Dabei ist das Decoupling kein kurzfristiges Phänomen, sondern ein langfristiger und sich seit etwa fünf Jahren verstärkender Trend, der auch politisch eine immer größere Rolle spielt.

So entwickelt sich Decoupling

In den USA waren die vom damaligen US-Präsidenten Donald Trump 2016 initiierte „America First“-Wirtschaftspolitik und die verhängten Sanktionen gegen 22 chinesische Unternehmen der Techbranche Wendepunkte. Aber auch unter dem aktuellen Präsidenten Joe Biden setzt sich die Politik des Nationalismus beispielsweise mit dem „Build Back Better“-Plan sowie jüngst dem „Uyghur Forced Labor Prevention Act“, dem „Chips and Science Act“ sowie dem „Inflation Reduction Act“ fort und nimmt weiter Fahrt auf.

China steht dem in keiner Weise nach und verfolgt eine Strategie der „zwei Kreisläufe“ (Dual circulation), in der nunmehr ein Schwergewicht auf die Entwicklung des chinesischen Binnenmarkts gelegt wird und es vielfältige Beispiele für diskriminierende Geschäftspraktiken und ein fehlendes „level-playing field“ gibt. Dazu zählen etwa die Bevorzugung chinesischer Unternehmen bei staatlichen Ausschreibungen, Aufrufe zum „buy Chinese“ und Beteiligungsverbote ausländischer Unternehmen an chinesischen Unternehmen. Zudem wurden in China seit 2019 in einer deutlich steigenden Anzahl neue protektionistische Gesetze erlassen und Überwachungssysteme implementiert, wie das „Cybersecurity Law” 2017, das „Corporate Social Credit System“ 2019, das „Foreign Investment Law“ und das „New Export Control Law“ 2020, das „Data Security Law“, das „Personal Information Protection Law“ sowie das „Anti Foreign Sanction Law“ 2021.

Aber auch das seit dem 1. Januar 2023 in Deutschland geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – mit einer von der EU angedrohten weiteren Verschärfung –, die zuletzt 2020 verschärfte Außenwirtschaftsverordnung (AWV) Deutschlands, die ausländische Investitionen in kritische Infrastruktur und Schlüsseltechnologien streng limitiert, sowie der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) der EU sind in dieser Auflistung zu nennen.

Eine ganze Reihe dieser jeweils regional erlassenen Gesetze schließen sich gegenseitig aus, das heißt können nicht gleichzeitig befolgt werden. Da diese Gesetze zudem weltweit gelten und beachtet werden müssen, befindet sich die Geschäftsführung deutscher multinational tätiger Unternehmen in einem unlösbaren Dilemma.

Neben die Entkopplung durch Gesetze (dem „regulatorischen Decoupling“) treten weitere Ebenen der operativen Umsetzung der Entkopplung, wie durch das „technologische Decoupling“:

Zunehmend werden industriespezifische Normen und Standards pro Region definiert und alle Produkte, die diesen nicht entsprechen, vom lokalen Markt ausgeschlossen. Umgesetzt wird dies bereits bei Computerprozessoren und Halbleitern, Cloud und 5G. Hinzu kommt die Definition unterschiedlicher Software-Schnittstellen, das Nutzungsverbot geschäftsrelevanter Software sowie die zwangsweise Offenlegung von Quellcodes.

Die Anwendungsmöglichkeit des technologischen Decouplings beschränkt sich aber nicht auf digitale Daten. So existieren allein vom Deutschen Institut für Normung e.V. etwa 34.500 DIN-Normen für alle Lebensbereiche, vom genormten Papierformat bis zur genormten Feuerschutztür. Es wird geschätzt, dass es weltweit mehrere hunderttausend jeweils regional geltende Normen gibt.

Welche Gefahr birgt das Decoupling für deutsche Unternehmen und die Weltwirtschaft?

Die fortschreitende Entkopplung der Weltwirtschaft führt unweigerlich zu höheren Kosten und damit sinkenden (verteilungsfähigen) Gewinnen.

Höhere Kosten bedeuten:

  • Steigende Beschaffungs- und Produktionskosten wegen „multiple regional sourcing“ statt „single global sourcing“ beim weltweit günstigsten Anbieter.
  • Mehrfachkosten für Forschung und Entwicklung, Beschaffung und Produktion bei gleichzeitig geringeren Skaleneffekten wegen regional unterschiedlicher Normen und Standards.
  • Zusätzliche Kosten für die Implementierung sogenannter Compliance-Management-Systeme zur Befolgung der weltweit zunehmenden Gesetzesflut.
  • Steigende Kosten für Kapitalbindung wegen vermehrter Lagerhaltung für Pufferlager.

Steigende Kosten führen auch zu Wettbewerbsnachteilen gegenüber lokalen Anbietern und können zu volumenbedingten Umsatzrückgängen führen.

Regulatorische Beschränkungen und Sanktionen können im Extremfall auch zu komplett wegbrechenden Absatzmärkten im Ausland führen, wie am Beispiel Russland gerade durchexerziert wird und bei einem Einmarsch Chinas in Taiwan auch für China drohen würde. Wenig bekannt ist auch, dass der deutsche Bundestag bereits Sanktionen gegen China für den Fall beschlossen hat, dass sich China gegen die Russland-Sanktionen stellen sollte.

Hinzu kommen große Herausforderungen aufgrund des erwarteten Wachstums der Weltbevölkerung in den kommenden drei Jahrzehnten von acht auf rund zehn Milliarden sowie der noch immer ungebremsten Erderwärmung mit ihren katastrophalen Folgen.

Andererseits existieren mit der fortschreitenden digitalen Transformation, den Potenzialen aus Artificial Intelligence und den ständigen Innovationen weitere Treiber, die zu signifikanten Produktivitätssteigerungen und Kostensenkungen führen können und die negativen Effekte des Decouplings zumindest teilweise kompensieren können.

Mein Fazit

Decoupling bedeutet kein Ende der Globalisierung. Die Zeit der Hyper-Globalisierung ist aber zu Ende. Die Politik nimmt heute immer mehr Einfluss auf die Weltwirtschaft und beschränkt die Wirtschaft. Multinational agierende Konzerne sollten wachsam sein und ihr Geschäftsmodell (ständig) hinterfragen und adaptieren. Innovative, anpassungsfähige und -willige Unternehmen werden auch in Zeiten des Decouplings wachsen können.