Decoupling: Eine Gruppe von Menschen, von oben fotografiert, bewegt sich über eine auf den Boden gemalte Weltkarte.

Decoupling: Die Zukunft von Global Business Services

Wie wirkt sich Decoupling auf outgesourcte Geschäftsprozesse aus?

Deutschland hat wie wenige andere Volkswirtschaften in den letzten Jahrzehnten von der Globalisierung profitiert. Dabei betrieben deutsche Unternehmen globalisiertes Geschäft insbesondere in Osteuropa und Asien, vor allem in Indien und China.

Markt für ausgelagerte Geschäftsprozesse kräftig gewachsen

Ein wesentliches Element dabei war die globale Konsolidierung von früher geografisch fragmentierten Geschäftsprozessen und IT zu globalen, zunehmend digitalen Unternehmensdienstleistungen, sogenannten Global Business Services und Technologie-Services. Vielerlei Prozesse wurden zunehmend global ausgelagert – sinnbildlich sind etwa im Kundenservice die Nutzung von Callcentern in Asien, aber auch outgesourcte Prozesse in Bereichen wie Buchhaltung oder HR-Management.

Zwischen 2016 und 2022 wuchs der globale Markt für Business Process Outsourcing (BPO) von 250 auf 330 Milliarden US-Dollar. Im selben Zeitraum nahm der globale IT-Outsourcing-Markt von 286 auf 395 Milliarden US-Dollar zu.

Zugleich wuchs der Markt für Public Clouds, also unternehmensübergreifend konsolidierte IT-Services, von 95 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016 auf 415 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022.

Resilienz spielte nur eine untergeordnete Rolle

Unternehmen, die erfolgreich Geschäfts- bzw. Management-Prozesse als Global Business Services umgesetzt und Teile ihrer IT-Systeme durch Technologie-Services konsolidiert haben, erzielen signifikante Verbesserungen in der Prozess- und IT-Effizienz. Allerdings standen dabei häufig die Kriterien Kosten und Marktnähe im Zentrum, aber nicht unbedingt der Aspekt Resilienz. Single Sourcing und Single Location Shoring führten in manchen Fällen ohne eine gute Risikobetrachtung zu einem erhöhten Abhängigkeits- und Lock-in-Risiko.

Diversifizierung und Entkopplung, nicht De-Globalisierung

IT-Technologien wie die Public Cloud stellen heute zwar das alte Paradigma in Frage, wonach Resilienz nur auf Kosten der Effizienz erkauft werden kann. Doch angesichts der Corona-Pandemie, des Krieges in der Ukraine, der seit Jahren zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China und der anhaltenden makroökonomischen Unsicherheiten offenbaren sich jetzt einige in der Vergangenheit eingegangene Risiken:

  • Eine nach Covid beispiellos hohe Fluktuation in indischen Service Delivery Centers,
  • besonders lange Lieferzeiten von sechs bis neun Monaten für IT-Güter wie Arbeitsplatzrechner, Server und Netzwerk-Hardware,
  • häufigere Cyberangriffe auf zu wenig segmentierte digitale Infrastrukturen.

Angesichts dieser Informationen bewerten viele Unternehmen ihre Outsourcing-Maßnahmen neu und nehmen Anpassungen vor. Sie beginnen damit, ihre Business- und Technologie-Services selektiv geografisch zu entkoppeln und ihre Outsourcing-Partner und Shoring-Lokationen selektiv zu diversifizieren.

Ein möglicher Verlust von Effizienzen und Synergien – aber ein Gewinn an Resilienz

Diese Schritte führen jedoch zwangsläufig dazu, dass Unternehmen an Effizienzen bei Business- und Technologie-Services einbüßen:

  • Zusätzliche Shoring-Lokationen umfassen häufig solche, die in der Vergangenheit wegen höherer Kosten bewusst nicht in die engere Auswahl kamen.
  • Maßnahmen, um lange Lieferzeiten für Technologiegüter abzuschwächen, erfordern eine verstärkte Lagerhaltung und damit höhere Kosten.
  • Die digitale Entkopplung und eine stärkere Segmentierung von digitalen Infrastrukturen reduzieren Synergien in deren Betrieb.

Die Entkopplung bestimmter Länder und Regionen sowie die Diversifizierung von Lokationen und Lieferanten sollte unbedingt unternehmensindividuell, risikoadjustiert und datenbasiert erfolgen. Das bedeutet: unter Berücksichtigung der spezifischen Risiken der Branche, des Unternehmens, der Outsourcing-Partner und der Shoring-Lokationen. So lässt sich der Verlust von Effizienzen bei Business- und Technologie-Services begrenzen.

Einordnung und Ausblick

Die Covid-Pandemie und der Krieg Russlands in der Ukraine haben zur größten und umfassendsten Erschütterung von Business- und Technologie-Services seit Langem geführt. Aber sie sind nur die jüngsten in einer Reihe von Disruptionen, die zudem weit über das Outsourcing von Geschäftsprozessen und Management von IT-Services hinausgehen.

Im Jahr 2011 legten ein schweres Erdbeben und ein Tsunami in Japan Fabriken lahm, die elektronische System-Komponenten herstellen – dies brachte Fließbänder weltweit zum Stillstand. Unter anderem war der weltweit führende Hersteller von hochentwickelten Siliziumwafern betroffen, auf die Halbleiterunternehmen angewiesen sind. Nur wenige Monate später wurden Fabriken in Thailand überschwemmt, die rund ein Viertel der weltweiten Festplatten produzierten. Das brachte die Hersteller von Arbeitsplatzrechnern in Bedrängnis.

Wir erleben derzeit die Entstehung einer neuen multipolaren Welt. Dies führt zu mehr Handelskonflikten, höheren Zöllen und größerer geopolitischer Unsicherheit. Zwar streben Business Service Provider mit neuen Delivery Centern und IT-Lieferanten mit neuen, stärker verteilten Werken mehr Resilienz an. Doch einige Lösungen werden nur langfristig wirken. Ein Beispiel: Bis ein Halbleiterwerk gebaut ist, vergehen typischerweise sieben bis zehn Jahre, und danach dauert es bis zu einer profitablen Produktion noch einmal zwei bis drei Jahre.

Kurzum: An einer kurz- und mittelfristigen unternehmensindividuellen, risikoadjustierten und datenbasierten Diversifizierung von Lokationen und Lieferanten und einer Entkopplung bestimmter Länder bzw. Regionen führt für deutsche Unternehmen kein Weg vorbei.