Sechs Prozent Wachstum – darüber würde man sich in so mancher Volkswirtschaft vermutlich freuen. Doch für das erfolgsverwöhnte China ist diese Zahl eine Ernüchterung: Der sechsprozentige Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im dritten Quartal 2019 bedeutet das niedrigste Wachstum seit 27 Jahren. Verantwortlich für das schwächelnde Wachstum sind der US-chinesische Handelskonflikt und eine schwächere globale Nachfrage nach Waren aus China.
Das nachlassende Wachstum spüren auch deutsche Unternehmen, wie jüngst eine Umfrage von uns und der Deutschen Außenhandelskammer in China zeigte: Von den in der Volksrepublik agierenden deutschen Unternehmen rechnen lediglich 27 Prozent damit, dass sie ihre Geschäftsziele in China für 2019 tatsächlich erreichen oder übertreffen können.
Handelskonflikt zwischen China und USA belastet
Zwar hat China weiterhin und auch auf absehbare Zeit eine immense Bedeutung für deutsche Unternehmen. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner, und der chinesische Markt bietet nach wie vor hochinteressante Chancen. Dazu zählt, neben dem weiter wachsenden Binnenkonsum, insbesondere eine steigende Nachfrage nach ausländischen Marken und Qualitätsprodukten sowie nach Innovationen. Die Periode enormen Wachstums mit zweistelligen Prozentraten dürfte jedoch vorüber sein.
Aktuell werden zwei Belastungsfaktoren häufig genannt: zum einen die Unsicherheit über den ungelösten Handelsstreit zwischen den USA und China, von dem sich 83 Prozent der deutschen Unternehmen in China betroffen fühlen; zum anderen die weiterhin bestehenden Marktzugangsbarrieren für ausländische Investoren.
Chinas zaghafte Schritte zur Marktöffnung
Man sollte die Bemühungen Pekings für offenere Märkte dennoch würdigen, wie das auch 45 Prozent der befragten Unternehmen tun. Im Frühjahr 2019 machte die chinesische Regierung den Anfang mit dem neuen Gesetz über ausländische Investitionen, dem „Foreign Investment Law“ (FIL). Es wird am 1. Januar 2020 in Kraft treten und soll in denjenigen Wirtschaftsbereichen, die nicht auf der sogenannten Negativliste stehen, aus- und inländische Investoren gleich behandeln.
Erst vor wenigen Wochen hat die Regierung diese Schritte konkretisiert: Sie bekannte sich mit dem Decree No. 722 of the State Council und der State Council Notice 23 zu einer aktiven Förderung ausländischer Direktinvestitionen und beschloss weitere Maßnahmen. Die Regierung hat die Negativliste weiter reduziert, also weitere Sektoren geöffnet (Financial Services, Automobil- und Internetindustrie, Technologiesektor). Außerdem sind Diskriminierungen ausländischer Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen künftig verboten, das geistige Eigentum wird besser geschützt, und China bezieht in bestimmten Industrien ausländische Unternehmen in die Standardisierung ein.
Das ist ein gewaltiger Fortschritt. Der Effekt dieser Regularien wird sich natürlich erst in der Umsetzung zeigen, doch zumindest setzt die chinesische Regierung politisch ein Zeichen. Gleichwohl sehen viele deutsche Unternehmen insbesondere implizite Zugangsbarrieren nach wie vor als Herausforderung, die ihre Wachstumspotenziale in China begrenzt.
Marktzugangshürden bremsen Investitionen
Das hält allerdings die wenigsten von Expansion ab: Zwei Drittel der deutschen Unternehmen in China planen in den kommenden zwei Jahren weitere Investitionen. 53 Prozent würden nach eigener Aussage aber wahrscheinlich noch stärker investieren, wenn Chinas Märkte offener würden.
Die Hoffnungen ruhen hier auf dem „Comprehensive Agreement on Investment“ (CAI) zwischen China und der Europäischen Union. Beide Seiten verhandeln bereits mehrere Jahre über das Abkommen. Im kommenden Jahr könnte es abgeschlossen werden. Aus europäischer Sicht sollte CAI nicht nur den Investitionsschutz verbessern, sondern vor allem faire Marktzugangsbedingungen schaffen. Es könnte den entscheidenden Impuls liefern, die chinesische Wirtschaft voranzubringen.
Werkbank der Welt – das war gestern
Dennoch sollte die deutsche Wirtschaft nicht allein darauf vertrauen, dass mit dem Abkommen CAI das Geschäft besser laufen wird. Insbesondere ein Ergebnis unserer Umfrage gibt zu bedenken: 47 Prozent der deutschen Unternehmen, die in China aktiv sind, glauben, dass in den nächsten fünf Jahren ihre chinesischen Wettbewerber Innovationsführer in ihrer jeweiligen Branche werden könnten. Vor einem Jahr schätzten das nur 36 Prozent.
Dies zeigt: Das Bild Chinas als die Werkbank der Welt hat immer weniger mit der Realität zu tun. Längst werden in China nicht mehr nur Waren für den Rest des Globus hergestellt sowie westliche Produktideen nachgeahmt. Chinesische Unternehmen forcieren auch eigene Innovationen. Treiber ist dabei vor allem die wachsende Mittelschicht.
Die zunehmende Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Unternehmen zeigt sich etwa in der Informations- und Kommunikationstechnologie, bei Digitalisierung und im Bereich Green Tech, vor allem in der Elektromobilität. Dies wird zu einer wachsenden Herausforderung für deutsche Mitbewerber. Sie werden nur dann an ihre Erfolge der Vergangenheit anknüpfen können, wenn sie den eigenen Erfindergeist stärken, aber auch vermehrt mit chinesischen Start-ups, Universitäten und Forschungsinstituten zusammenarbeiten. Andernfalls droht das Nachsehen im Wettbewerb mit chinesischen Unternehmen. Und das nicht nur in der Volksrepublik, sondern global.