Lange Schlangen in Behördenfluren, komplizierte Antragsverfahren auf Papier, die Pflicht, dass man viele Dinge persönlich erledigen muss – was immer noch typisch im Kontakt mit deutschen Behörden ist, sollte eigentlich schon vorbei sein.
Dazu hatte der Bundestag im Jahr 2017 das sogenannte Onlinezugangsgesetz (OZG) beschlossen. Es verpflichtete deutsche Behörden in Bund, Ländern und Gemeinden, den Großteil ihrer Verwaltungsdienstleistungen für die Bevölkerung ab spätestens Ende 2022 auch digital anzubieten.
Mit dem OZG waren viele Erwartungen verknüpft. Tatsächlich war bis zum Ende vergangenen Jahres jedoch nur für eine geringe Anzahl der im OZG definierten Leistungen ein vollständiger Onlineservice verfügbar – zudem ist man von der anvisierten Flächendeckung mit nutzerfreundlichen digitalen Verwaltungsleistungen in allen Ländern und Kommunen noch weit entfernt. Am 24. Mai 2023 hat die Bundesregierung ein Paket für die digitale Verwaltung beschlossen. Dieses beinhaltet neben einem Gesetzentwurf zur Änderung des OZG (OZG 2.0) auch Eckpunkte für eine moderne und zukunftsgerichtete Verwaltung. Letztere beinhalten wesentliche Richtungsentscheidungen – hin zu einer stärkeren Priorisierung und Standardisierung sowie einer engen Verknüpfung des OZG mit weiteren Großprojekten im Rahmen der Verwaltungsdigitalisierung; insbesondere der Registermodernisierung und der Bereitstellung von digitalen Identitäten.
Wie geht es jetzt weiter?
Um die digitale Transformation der öffentlichen Hand voranzutreiben, empfehlen wir die folgenden vier Aspekte zu berücksichtigen:
- Voneinander lernen und Synergien konsequent nutzen
Mit dem „Einer-für-alle“-Prinzip (EfA-Prinzip) soll die Last bei der Umsetzung von digitalen Verwaltungsleistungen auf alle Schultern verteilt werden, was eine effiziente Vorgehensweise sicherstellt. Dabei werden entwickelte Lösungen über Plattformen anderen Bundesländern und deren Kommunen zur Nachnutzung bereitgestellt. Allerdings ist die Nachnutzung nicht verpflichtend, sodass Individuallösungen möglich bleiben – statt einem „Einer-für-alle“- ein „Einer-für-viele“-Prinzip; eine konsequente, flächendeckende Nachnutzung von Leistungen ist bisher nicht erkennbar.
Um die digitale Transformation der öffentlichen Hand erfolgreich zu machen, und das zeitnah, ist aber genau das erforderlich: ein Selbstverständnis, gemeinsam an der Digitalisierung zu arbeiten und die damit einhergehenden Lasten aufzuteilen. Dies sollte allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten im Interesse aller Beteiligten sein. Die Umsetzung ist jedoch komplex – der öffentliche Sektor sieht sich sowohl technischen als auch organisatorischen, finanziellen und rechtlichen Herausforderungen ausgesetzt. Diese sollten umfassend beleuchtet und gemeinsam, beispielsweise unter Koordination des IT-Planungsrates, angegangen werden.
Um die technische Komplexität des Gesamtsystems zu senken und beherrschbar zu machen, sollten die technischen Instanzen konsolidiert und somit reduziert werden. Auch könnte eine Öffnung der EfA-Plattformen für private Anbieter für Entwicklung, Nachnutzung und Betrieb die Umsetzung beschleunigen – hier besteht die Möglichkeit, einen echten Wettbewerb um Qualität, Umsetzungsgeschwindigkeit und Kosten herzustellen und so die bestmöglichen Lösungen für die Verwaltung und ihre Kund:innen einzusetzen. Erste Schritte in diese Richtung werden mit dem „EfA-Marktplatz“ im Auftrag des IT-Planungsrates bereits unternommen.
- Relevante Leistungen priorisieren – und Fortschritt aktiv steuern
Zielsetzung des OZG war die Digitalisierung von insgesamt knapp 600 Verwaltungsleistungen – eine Priorisierung blieb dabei aus. Um sichtbare und relevante Fortschritte bei der digitalen Transformation zu erzielen, die sowohl einen Mehrwert für die Kund:innen der öffentlichen Verwaltung bieten als auch den Aufwand in den Behörden verringern, bedarf es jedoch einer Konzentration auf die wichtigsten Verwaltungsleistungen. Diese sollten mit erhöhter Priorität unter Anwendung des EfA-Prinzips etabliert werden. Mit dem OZG-Änderungsgesetz ist dies geplant – 15 Leistungen sollen flächendeckend und über den Gesamtprozess vollständig digital umgesetzt werden.
Um das Vertrauen in die Digitalisierung der Verwaltung und die Umsetzungskompetenz von Bund, Ländern und Kommunen zu stärken, ist ein konsequentes und nutzerorientiertes Verfolgen dieses Plans essenziell. Dies sollte durch eine Messung der Zielerreichung und transparente Kommunikation flankiert werden. Konkret denkbar wäre hier, eine wirkungsorientierte Steuerung – auf Basis von nutzerorientierten Kennzahlen – und die quartalsweise Offenlegung der Fortschritte (zum Beispiel durch den IT-Planungsrat) einzuführen.
- Mitarbeitende befähigen und gewinnen
Neue Zahlen zeigen, wie sehr sich der Personalmangel des Staates zuspitzt. Im öffentlichen Dienst werden bis 2030 rund 840.000 Fachkräfte fehlen, insbesondere IT-Expertinnen und -Experten. Einer Analyse der European School of Management and Technology (ESMT) gemeinsam mit der KPMG und dem Institut für den öffentlichen Sektor zufolge, werden für die OZG-Umsetzung allein 46.600 IT-Fachkräfte benötigt, davon 33.000 direkt bei der Verwaltung angesiedelt.
Auch wenn die digitale Transformation die Belastung der Personalressourcen mittelfristig reduzieren soll: Eine digitale Transformation gelingt nur mit Menschen. Für die technische Umsetzung werden Fachkräfte im IT-Bereich dringend benötigt, aber auch in allen anderen Bereichen der Verwaltung müssen in den digitalen Prozessen ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung stehen.
Deshalb sollte sich die öffentliche Verwaltung verstärkt damit auseinandersetzen, wie sie es schafft, ihre eigenen Mitarbeitenden zu befähigen und Talente zu gewinnen, die sich mit digitalen Anwendungen auskennen. Dafür ist der öffentliche Sektor gefordert, sich als Arbeitgeber gegenüber der Privatwirtschaft zu behaupten und sein an einigen Stellen noch verstaubtes Image aufzubessern. Dabei kann es sinnvoll sein, eine strategische Personalplanung sowie ein Recruiting einzusetzen, das auf die Wünsche und Gewohnheiten der jeweiligen Zielgruppe eingeht.
- Zusammenarbeit mit Start-ups
Die öffentliche Hand muss die Welt nicht neu erfinden – erstens kostet das viel Geld und zweitens fehlen eigenes Know-how und Personal. Auch wenn die Anforderungen der Verwaltung an vielen Stellen spezifisch sind, lässt sich von der Privatwirtschaft lernen. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Start-ups, die pragmatische digitale Lösungen und ein hohes Maß an digitalem Wissen und modernen Arbeitsmethoden mitbringen, kann den dringend benötigten Innovationsschub und mehr Geschwindigkeit bei der Digitalisierung bringen.
Digitalisierung im öffentlichen Sektor am Beispiel des Landes Hessen als Thema auf dem KPMG Zukunftsgipfel – jetzt Aufzeichnung anschauen
Über die Digitalisierung im öffentlichen Sektor am Beispiel des Landes Hessen und weitere spannende Fragen zur digitalen Transformation sprachen meine Kolleg:innen und ich mit hochkarätigen Gästen aus Politik und Wirtschaft kürzlich beim KPMG Zukunftsgipfel.
Schauen Sie sich die Aufzeichnungen hier an und erfahren Sie unter anderem, welche ethischen Regeln es in der digitalen Welt braucht und wie die Digitalisierung der Steuerabteilung gelingt.