Der Zustand der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland steht seit Jahren in der Kritik und wird dem Anspruch einer führenden Industrienation nicht immer gerecht. Die Energieversorgung im Land ist nicht nachhaltig, viele Brücken sind einsturzgefährdet, Straßen marode und unsere Telekommunikation ist immer noch nicht flächendeckend. Entwicklungen wie die Covid-Pandemie, der Ukraine-Krieg und der anhaltende Fachkräftemangel verschärfen zusätzlich den Druck die Infrastruktur vermehrt vorausschauend zu führen.
Verständlicherweise haben Infrastrukturbetreiber durch die aktuellen Herausforderungen mit der Bewältigung des operativen Tagesgeschäfts schon alle Hände voll zu tun.
Ist die Kritik gerechtfertigt?
Teilweise. Im europäischen Vergleich ist die Stromversorgung in Deutschland hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit weiterhin in der Spitzengruppe, mit einer durchschnittlichen Versorgungsunterbrechung von nur 12,7 Minuten je Verbraucher (2021). Auf der anderen Seite ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der erzeugten und eingespeisten Strommenge von 2020 (45,3 Prozent) auf 2021 (41 Prozent) erstmals gefallen und viele Marktteilnehmer sehen das Erreichen der für 2030 angestrebten 80-Prozent-Marke inzwischen kritisch.
Auch im Bereich Verkehr gibt es gute und schlechte Nachrichten. Einerseits ist die deutsche Verkehrsinfrastruktur mit 23 Hauptverkehrsflughäfen, 38.400 Kilometern Schiene, 830.000 Kilometern Straßen und fast 40.000 Brücken sehr gut aufgestellt. Andererseits verschlechtert sich der Zustand der Verkehrsinfrastruktur stetig. Zur Vermeidung größerer Katastrophen bleibt oftmals nur die Sperrung für den Schwerverkehr.
Wenn die vermehrte Verlagerung in das Homeoffice eines aufgezeigt hat, dann die Missstände im Bereich der Telekommunikation. So haben aktuell nur rund sechs von zehn Haushalten einen gigabitfähigen Anschluss. Die im Jahr 2021 verabschiedete TKG-Novelle, der fortlaufende Glasfaserausbau und die steigenden Datenübertragungsraten versprechen hingegen zukünftig höhere Leistungsgrenzen.
Ähnlich sieht die Situation in der öffentlichen Verwaltung sowie der sozialen und militärischen Infrastruktur aus.
Was hat Infrastruktur-Asset-Management damit zu tun?
Die Antwort liegt in den Ursachen der heutigen Mangellage der deutschen Infrastruktur, wobei ich gerne drei Ursachen hervorheben möchte:
- Jahrzehntelange Investitionsstaus und fehlender wirtschaftlicher Druck
Investitionen in die kritische Infrastruktur wurden viele Jahre auf die notwendigen Reparaturen von vorhandenen Schäden beschränkt. Proaktive Wartungen und Instandhaltungen fanden kaum statt. Die deutsche Infrastruktur zehrt damit immer mehr von ihrer Substanz. Zudem sind die wenigsten öffentlichen Infrastrukturbetreiber zum wirtschaftlichen Handeln incentiviert.
- Schnell wechselnde Werte und fehlende Prioritätensetzung
Der technische Lebenszyklus von Infrastruktureinheiten von bis zu 100 Jahren übersteigt die politischen und geschäftlichen Regulierungs- und Führungsperioden erheblich. Sich immer wieder ändernde Prioritäten führen immer wieder zu Mehraufwendungen und Fehlinvestitionen.
- Unzureichende Kooperation von Expert:innen und Bündelung von Aufgaben
Die Verantwortung für den Betrieb und Ausbau der deutschen Infrastruktur ist vielfach zersplittert. In der Folge ist der Bedarf an Expert:innen und Ressourcen enorm und Synergieeffekte zur Beschleunigung von Bauprojekten werden selten realisiert.
Wie kann Infrastruktur-Asset-Management helfen?
Infrastruktur-Asset-Management ist ein erprobter Ansatz, die richtigen Infrastrukturprojekte und Maßnahmen auszuwählen und diese effizient und schnell umzusetzen, getreu dem Motto: „Doing the right things right“.
Dabei bedient das Infrastruktur Asset Management die Schnittstelle zwischen technischen und betriebswirtschaftlichen Herausforderungen. Die gängigen Lösungsansätze erstrecken sich dabei von portfolioübergreifenden Strategien bis zu Asset-spezifischen Entscheidungen im Betrieb unter Berücksichtigung der Unternehmenswerte und Kapazitäten.
Diese Balance von Leistung, Kosten und Risiken über den Gesamtlebenszyklus von Infrastruktureinheiten bietet erfahrungsgemäß einen messbaren Mehrwert.
Verschiedene Anwendungsbeispiele aus der öffentlichen und privaten Hand zeigen dabei ein Potenzial von bis zu 20 Prozent Gesamtkostenreduktion (TOTEX) bei einer gleichzeitig verbesserten Risikoposition auf.
Unabhängig von einer Zertifizierung nach dem Asset-Management-Standard ISO 55000, können durch die pragmatische Etablierung eines strukturierten Infrastruktur-Asset-Management-Ansatzes nachhaltige Einsparungen im laufenden Tagesgeschäft erzielt werden (z.B. durch die Erstellung einer kennzahlengetriebenen Betriebssteuerung für mehr Transparenz im Asset-Portfolio).
Und noch wichtiger: Wenn wir heute schon an unsere Infrastruktur von Morgen denken, können wir gemeinsam die Daseinsfürsorge langfristig sichern und die Kritik an mangelhaftem Zustand und fehlendem Ausbaufortschritt zukünftig proaktiv vermeiden.