Aktuell sorgt der Streit zwischen der EU und Großbritannien über die Nordirland-Vereinbarung für zusätzliche Unsicherheit. In Medien ist schon von einem drohenden „Handelskrieg“ die Rede. Die zahlreichen Berichte über die aktuellen Beeinträchtigungen und die Nordirland-Diskussion verdecken jedoch den Blick auf die Chancen und Potenziale im Hinblick auf das Großbritannien-Geschäft.
Diese Chancen liegen insbesondere in gemeinsamen Aktivitäten deutscher und britischer Unternehmen, die es auszuloten gilt. Bislang gibt es wenige solcher Kooperationen, und auch in unserem German British Business Outlook 2021 erwarteten gerade einmal acht Prozent der Befragten vermehrt Kooperationen deutscher und britischer Unternehmen auf Drittmärkten.
Globale Vernetzung der Briten nutzen
Dabei bieten diese Kooperationen klare Vorteile, die deutsche Unternehmen jetzt nutzen sollten. Im Folgenden drei wichtige Punkte, die für solche Allianzen sprechen.
Erstens: Deutschland ist als wirtschaftlich stärkstes Land der EU für britische Unternehmen ein attraktiver Standort – nicht zuletzt im Hinblick auf den Zugang zum europäischen Markt. Dies zeigen die Ergebnisse einer neuen Studie von KPMG. Mehr als jedes dritte britische Unternehmen will seine Präsenz in Deutschland durch Zukäufe, Investitionen oder Joint-Ventures ausbauen. Dieses Interesse sollten deutsche Unternehmen aufgreifen.
Zweitens: Großbritannien ist Teil des Commonwealth of Nations, eines losen Staatenbunds aus 54 Mitgliedstaaten. Darunter sind wichtige Märkte wie Indien, Südafrika, Kanada, Australien sowie zahlreiche afrikanische Staaten. Britische Unternehmen haben bereits verstärkt in Afrika investiert, deutlich mehr als deutsche Unternehmen. Über Kooperationen könnten deutsche Unternehmen leichter Zugang zu Commonwealth-Märkten bekommen.
Komplementäre Stärken zusammenbringen
Drittens: Unternehmen in Deutschland und Großbritannien zeichnen sich durch unterschiedliche Stärken aus, die in Allianzen eingebracht und zusammengeführt werden sollten. Großbritannien überzeugt insbesondere mit seiner bedeutenden Finanzwirtschaft und vor allem dem Finanz- und Handelszentrum London, das trotz des Brexits seine Weltgeltung behaupten und ausbauen wird. Zudem steht auf der Insel in viel größerem Umfang Venture Capital zur Risikofinanzierung zur Verfügung. Diese Finanzkraft kann auch für deutsche Start-ups interessant sein.
Ein weiterer Bereich, in dem sich Kooperationen anbieten, ist der ausgezeichnete Forschungs- und Entwicklungsstandort im Vereinigten Königreich mit der international renommierten Universitätslandschaft.
Dies ließe sich sehr gut verbinden mit der deutschen Ingenieurskunst, einem der wichtigsten Pluspunkte der Bundesrepublik mit den global erfolgreichen Segmenten Maschinen- und Anlagenbau, Automobilindustrie und Chemie. Zugleich punktet Deutschland mit seinem starken Mittelstand, mit vielen Familienunternehmen und zahlreichen Hidden Champions. Bei vielen dieser Unternehmen steht zudem die Nachfolgeplanung an.
Gemeinsam für mehr Nachhaltigkeit
Deutschland ist zudem führend bei der Entwicklung innovativer Lösungen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit (z. B. erneuerbare Energien). Auch hier wären Kooperationen denkbar, zumal Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals vor der Herausforderung stehen, ihre Nachhaltigkeitsagenda umzusetzen und die zunehmenden ESG-Anforderungen zu erfüllen. Die just in Großbritannien – im schottischen Glasgow – stattfindende UN-Klimakonferenz (COP26) könnte dazu neue Impulse liefern.
Fazit: Es gilt, Fronten, die sich seit der Brexit-Abstimmung 2016 aufgebaut haben, zu demontieren und gegenseitiges Vertrauen wieder zu stärken. Sodann bestehen vielfältige Chancen, Stärken zu vereinen, um gemeinsam mit erhöhter Schlagkraft erfolgreich am Markt zu agieren.