Luftaufnahme von London. Im Vordergrund die berühmte Tower Bridge. Im Hintergrund Wolkenkratzer.

Brexit: „Mission (not) completed“

Großbritanniens Wirtschaft befindet sich im Rückwärtsgang

Erinnern Sie sich noch, wer im Juni 2016 während des Brexit-Votums Premierminister in Großbritannien war? Es war David Cameron. Nachdem die Briten mehrheitlich für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatten, trat er zurück und Theresa May übernahm seinen Posten. Während in Deutschland zwischen 2016 und heute zwei Kanzler:innen (nämlich Angela Merkel und Olaf Scholz) regierten, steuerten in Großbritannien gleich fünf Regierungschefs das Land. Der aktuelle Amtsinhaber Rishi Sunak übernahm kürzlich von Liz Truss, die gerade einmal sechs Wochen der Regierung vorstand. Davor sorgte Boris Johnson mit politischen Extravaganzen für Aufsehen.

Dieser Überblick über die Premiers im Vereinigten Königreich zeigt, dass Großbritannien in den vergangenen Jahren alles andere als ruhige Zeiten erlebte. Hinzu kommt, dass in der Phase der politischen Unruhe und wirtschaftlichen Instabilität mit Queen Elizabeth II. der Stabilitätsanker des Vereinigten Königreichs gestorben ist.

Dabei herrschte 2016 in Großbritannien noch so etwas wie Aufbruchstimmung. Zwar hatten sich die Brexit-Befürworter im Referendum nur knapp durchgesetzt. Aber mit dem Austritt aus der EU wurden große Hoffnungen verbunden. Schauen wir auf die drei wichtigsten Erwartungen der Brexit-Befürworter und analysieren, welche Folgen der EU-Austritt für die Wirtschaft hatte:

Handelsabkommen

Die Brexiteers argumentierten, dass Großbritannien nach einem EU-Austritt als Souverän agieren und unabhängig von der EU eigene Handelsabkommen abschließen könne. Diese Hoffnung hat sich bislang nicht erfüllt. Nach dem Austritt aus der Europäischen Union hat das Vereinigte Königreich trotz großer Bemühungen in der Folge keine signifikanten Handelsabkommen schließen können, insbesondere nicht mit den USA, wenngleich das Vereinigte Königreich mit den USA eine „special partnership“ verbindet.

Immigration

Die Briten wollten die Zuwanderung nach ihren Vorstellungen gestalten, Briten bei der Vergabe von Arbeit bevorzugt behandeln und es EU-Bürger:innen im Vergleich erschweren, in den britischen Arbeitsmarkt zu kommen. Das Einwanderungssystem nach dem Brexit ist überarbeitet worden. EU- und Nicht-EU-Bürger werden jetzt gleich behandelt. Für EU-Bürger:innen herrscht nun Visumspflicht. Außerdem werden sie nach einem strengen Punktesystem bewertet, je nachdem welchen „Nutzen“ sie für den britischen Arbeitsmarkt haben. Die Folge: Viele EU-Bürger:innen, gerade aus Osteuropa, haben das Land verlassen. Das erhöht den Druck auf den britischen Arbeitsmarkt, wo besonders im Niedriglohnsektor viele Jobs nicht mehr besetzt werden können. Die Arbeitslosenquote im Vereinigten Königreich ist mit gerade einmal 3,8 Prozent 2022 niedriger als die niedrigste Arbeitslosenquote in der EU: das ist Deutschland mit knapp sechs Prozent. Folge dessen ist, dass viele freie Stellen im Vereinigten Königreich nicht besetzt werden können – eine echte Bremse für die Wirtschaft in UK.

Wirtschaftlicher Aufschwung

Mit dem Austritt aus der EU verbanden die Befürworter die Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung im Land durch mehr Souveränität. Rund zwei Jahre nach dem Brexit ist die Lage eher ernüchternd. Infolge des Brexits stiegen die Kosten für den Import und Export zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich deutlich an und es wurden erhebliche nichttarifäre Handelsbeschränkungen eingeführt. Dies führte zu einem deutlichen Rückgang des bilateralen Handels. Ein Trend, der bereits 2016 begann, als das Vereinigte Königreich für den Brexit stimmte. Zuletzt fiel Großbritannien sogar aus den Top fünf der größten Handelspartner Deutschlands heraus.

Im Königreich steigt die Verschuldung auf ca. 95 Prozent und die ausländischen Direktinvestitionen sind seit 2016 deutlich eingebrochen. Das Bruttoinlandsprodukt entwickelt sich aktuell ebenfalls negativ. Und das Land kämpft mit einer Inflation, die ähnlich wie in Deutschland knapp über zehn Prozent liegt – dabei ist das Vereinigte Königreich gar nicht abhängig von Gas und Öl aus Russland.

Fazit

Die Bilanz sechs Jahre nach dem Brexit-Referendum und zwei Jahre nach dem Austritt aus der EU fällt aus britischer Sicht ernüchternd aus: „Mission not completed“. Das Königreich ist einem enormen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Druck, den auch die zurückgetretene Liz Truss nicht abfedern konnte. Sie scheiterte mit ihren Plänen einer radikalen Steuerreform mit weitreichenden Steuersenkungen. Die britischen Finanzmärkte reagierten geschockt, weil die Gegenfinanzierung unklar blieb. Analysten und Anleger fürchteten eine weiter steigende Staatsverschuldung und eine noch einmal wachsende Inflation.

Die britische Politik reibt sich am Brexit auf, denn dieser hat offenkundig keine Vorteile, sondern bringt nur Nachteile. Ich frage mich: Wie viele Regierungen braucht es in Großbritannien denn noch, bis erkannt wird, dass es keine realistischen Alternativen zur Wiederannäherung an die EU gibt? Großbritannien – und auch Deutschland – sind allein zu unbedeutend, um zwischen den Großmächten USA und China sowie den aufstrebenden Mächten Indien und in Südostasien eine Rolle spielen zu können. Der neue Premier Rishi Sunak ist jetzt gefordert, wieder das Wohl des Landes in den Mittelpunkt zu stellen. Es gibt eine Chance, um auch zukünftig eine wichtige Rolle in Europa spielen zu können. Das erfordert aber eine mutige Kehrtwende.

Unser German-British Business Outlook

Welches Fazit ziehen britische und deutsche Unternehmen nach dem Brexit? Wir haben uns umgehört und für unseren German-British Business Outlook Unternehmen mit Geschäftsbezug zu Großbritannien befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Brexit tatsächlich so nachteilig ausgewirkt hat, wie es in den Vorjahren befürchtet wurde. Bei 38 Prozent der befragten Unternehmen sind die Umsatzerlöse im Jahr 2021 Brexit-bedingt gesunken, bei 22 Prozent der Befragten sogar sehr stark. Alle Ergebnisse finden Sie hier.

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