Investitionen in Erdgas und Kernenergie können unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig eingestuft werden. Das hat das Europäische Parlament beschlossen. Ab dem 1. Januar gelten Kernenergie und Gas in der EU als „nachhaltig“ und erhalten ein „Öko-Siegel“. Diese Neuregelung sorgt jedoch nach wie vor seitens verschiedener Interessensgruppen für Diskussionen und mitunter Streit. Sie ist Teil der EU-Taxonomie, die Regeln für nachhaltige Investitionen aufstellt. Durch den Schritt, Erdgas und Kernkraft ein grünes Siegel zu verleihen und die Taxonomie entsprechend anzupassen, ist es für Unternehmen und Investoren nun ohne größere finanzielle Nachteile möglich, in Gas- und Kernenergieprojekte zu investieren. Zu beachten ist, dass die Aufnahme von Erdgas- und Kernkraftaktivitäten in die Liste der ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten nur vorübergehend ist.
Anpassung der EU-Taxonomie stand schon länger zur Debatte
Der Beschluss im EU-Parlament mag zwar aufsehenerregend sein, kam aber keineswegs überraschend. Angesichts des Kriegs in der Ukraine und der kritischen Energieversorgung ist schon lange darüber diskutiert worden, wie die EU-Taxonomie angepasst werden kann. Damit soll die Energieversorgung nicht nur gesichert werden, die EU will unabhängiger von Rohstofflieferungen aus Russland werden. Gleichzeitig sollen die für die Mitgliedsländer wichtigen Übergangstechnologien ermöglicht werden, bis ein Energiesystem eingeführt ist, das weitestgehend aus erneuerbaren Energiequellen besteht. Die EU macht durch die Anpassung der EU-Taxonomie deutlich, dass private Investitionen in Erdgas- und Kernkraftaktivitäten bei diesem ökologischen Wandel noch eine wichtige Rolle spielen.
Kritik an der EU-Entscheidung
Aus meiner Sicht war und ist es deswegen notwendig, schnelle, aber durchdachte Entscheidungen zu treffen. Das Nachhaltigkeitssiegel für Erdgas und Kernenergie ist ein Kompromiss zwischen den Mitgliedsländern und ihren unterschiedlichen Ansichten zur Energiegewinnung und spiegelt gleichzeitig das jahrelange Auseinanderdriften der Energiepolitik in den einzelnen Ländern wider. Auch hier zeigt sich, dass langfristig wirkende Systeme nicht kurzfristig änderbar sind.
Das Ökolabel für Erdgas und Kernkraft ist umstritten. Es kommt einer Empfehlung an die Finanzmärkte gleich, in entsprechende Anlagen zu investieren. Denn wer ein Finanzprodukt als nachhaltig vermarkten will, muss dessen Anteil an nachhaltigen Investitionen nachweisen. Seit Januar also auch für Erdgas oder Kernenergie.
Auch deswegen gibt es eine Debatte um Greenwashing. Kritiker:innen der EU-Entscheidung fürchten, dass auch öffentliche Gelder zugunsten von Kernenergie und Gas umgelenkt werden. Und dies wiederum könnte den Ausbau erneuerbarer Energien bremsen.
Das grüne Label für Erdgas und Kernkraft ist ein Kompromiss
In Frankreich etwa ist Kernenergie eindeutig die vorherrschende Energiequelle. Bei uns in Deutschland läuft die Energieversorgung für Strom und Wärme zu großen Teilen über Erdgas. Es ist bedauerlich, dass wir noch keine EU-weit angeglichene Energieversorgung und keine länderübergreifende Infrastruktur haben. Die Entscheidung des EU-Parlaments hat daher in meinen Augen nur Kompromisscharakter.
Zwei Sachen sind klar: Die gasbasierte Stromerzeugung verursacht CO2-Emissionen. Und die Erzeugung aus Kernbrennstoffen ist risikobehaftet, der Müll und Reaktorabfall zieht große Umweltrisiken nach sich.
Dennoch: Es ist – gerade mit Blick auf die aktuelle Lage – wirtschaftlicher Konsens, dass wir auf dem Weg zu erneuerbaren Energien eine Brückentechnologie brauchen. Die Bundesregierung in Deutschland hat sich dabei auf Gas festgelegt, Frankreich auf Kernenergie.
Gasanlagen in LNG- und Wasserstoffinfrastruktur integrieren
Wir müssen in Deutschland nun den Ausbau von erneuerbaren Energien mit Überschallgeschwindigkeit voranbringen und so wenig Brückentechnologien wie notwendig installieren und nutzen. Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, dass die benötigte Gasinfrastruktur und Erzeugungsanlagen auch Bestandteile einer LNG- und Wasserstoffinfrastruktur werden. Die EU-Taxonomie wird zur Finanzierbarkeit dieser Anlagen beitragen, anderenfalls werden die Finanzierungen teurer bis unmöglich.
Mindestens ebenso wichtig wie die Diskussionen um die EU-Taxonomie ist aber auch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für eine entsprechende Nutzung dieser Anlagen.
Deutschland sollte beim bereits beschlossenen grundsätzlichen Kernenergie- und Kohleausstieg bleiben. Jedoch erfordert dies in der angespannten Lage, dem Stopp von Gaslieferungen aus Russland und der damit beeinträchtigten Brückentechnologie Gas enorme Kraftanstrengungen unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft für den Umbau unserer Systeme hin zu erneuerbaren Energien, LNG und Wasserstoff. Sofern dies noch nicht so schnell wie erhofft umgesetzt werden kann, werden bei einer drohenden Mangellage Lösungen wie Strom- und Heizsparmaßnahmen notwendig.