Roboterarm vor weißem Hintergrund

Deutsche Technologieunternehmen: Nachhaltiges Wachstum statt Hype

Kaum Endkundengeschäft, dafür aber sehr erfolgreich im B2B-Bereich.

Welche Trends werden den Technologiesektor in den nächsten Jahren prägen? Wie steht es um die deutsche Technologiebranche? Hierzu haben wir mit Dr. Markus Kreher gesprochen, dem Head of Technology, Media & Telecommunications (TMT) von KPMG in Deutschland.


Herr Dr. Kreher, die Technologieunternehmen haben in den Jahren der Corona-Pandemie einen enormen Boom erlebt – aber dieser scheint sich abzuflachen. Die großen US-Tech-Unternehmen haben deutlich an Wert verloren. Wie geht es der Branche in Deutschland?

Nicht schlecht. Laut Bitkom ist die Technologiebranche hierzulande im vergangenen Jahr um fast sieben Prozent gewachsen, für dieses Jahr liegt die Prognose bei rund sechs Prozent. Man muss berücksichtigen, dass der Technologiesektor in Deutschland ganz anders strukturiert ist als in den USA. Die US-Konzerne sind einfach sehr viel größer, sind in ihren Segmenten oft global marktbeherrschend und ihr Geschäft richtet sich zu einem großen Teil an Endkund:innen. Die deutsche Technologiebranche ist dagegen mittelständisch geprägt.

Die US-Konzerne erleben zurzeit eine Wachstumsdelle und bauen auch Stellen ab – ein bislang unbekanntes Phänomen. Jedoch sollte man sich bewusst sein, dass sie von der Marktkapitalisierung her immer noch die wertvollsten Unternehmen der Welt sind. Die deutschen Tech-Unternehmen haben keinen solch extremen Höhenflug in den letzten Jahren erlebt, aber ein solides, nachhaltiges Wachstum, das sie auch in diesem Jahr fortsetzen können.

Der Fokus der deutschen Unternehmen liegt also nicht auf den Endkund:innen?

Es gibt in ganz Europa keinen relevanten Player mehr, der in der Consumer-Welt auf Augenhöhe mit chinesischen oder US-amerikanischen Unternehmen konkurrieren könnte. In Deutschland ist der Technologie-Sektor ganz klar auf das B2B-Geschäft ausgerichtet – auf Unternehmenssoftware und IT Services. Sowohl Software als auch IT-Dienstleistungen laufen weiterhin sehr gut, weil die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft noch längst nicht abgeschlossen ist.

Deutschland profitiert auch im Tech-Sektor von seinem vielgerühmten Mittelstand, den es auch bei Software-Unternehmen gibt. Diese sind meist hochspezialisiert und haben den Vorteil der Nische. Ein globales Business bringt auch globale Probleme mit sich, wie es sich zum Beispiel gerade bei US-Unternehmen zeigt, die in China produzieren.

Die deutschen Technologieunternehmen bedienen im B2B-Bereich hauptsächlich langfristige Megatrends, wie die Digitalisierung der Produktion, Cloud für Unternehmen, die Digitalisierung der Wertschöpfungskette – das sind alles Themen, die weiterlaufen und meist auch aus Deutschland heraus betreut werden.

Aktuell zeigen sich weltweit deutliche Decoupling-Tendenzen – ist davon auch die deutsche Technologiebranche betroffen?

Das ist eine reale Gefahr in jeder Branche. Die Zeiten der ungebremsten und ungestörten Globalisierung sind passé. Die Internationalisierung der Geschäftstätigkeit muss heute zwingend begleitet werden von einer umfangreichen Bewertung von Lieferkettenrisiken und geopolitischen Entwicklungen. Solche Risikofaktoren sollten zukünftig immer eingepreist werden. Aber hierin liegt zugleich auch ein Problem: Eine Neugestaltung der globalen Lieferketten führt kurzfristig zu Produktionsengpässen und Kostensteigerungen. Was passiert, wenn ich zum Beispiel ein Vorprodukt nicht mehr aus China beziehe? Bin ich dann noch lieferfähig? Woher bekomme ich Ersatz? Bin ich bereit, das Doppelte zu bezahlen, wenn das Produkt aus Europa stammt? Und bezahlen das auch meine Kunden, kann ich den Preis am Markt weitergeben? All das sind Fragen, die man sich stellen muss.

Aufgrund ihrer Ausrichtung sind die meisten deutschen Technologieunternehmen hiervon nicht unmittelbar betroffen, da Softwareentwicklung, IT-Services und Beratung meist aus Deutschland heraus erbracht werden. Aber sobald man zum Beispiel ein Shared-Services-Center außerhalb der EU betreibt, kann dies schon kritisch werden. Und natürlich gibt es auch eine indirekte Betroffenheit, wenn man zum Beispiel Auftragnehmer eines global agierenden deutschen Industrieunternehmens ist.

Die US-Regierung will Technologieunternehmen zukünftig stark subventionieren. Auch die EU will ihre Kassen öffnen. Ist das der richtige Weg?

Nein, nach Adam Smith und dem Freihandelsgedanken sicherlich nicht. Aber was ist die Alternative? Deutschland hatte einmal eine starke Solarindustrie, verfügte über Know-how und Produktionsstätten. Nachdem hierzulande Subventionen gestrichen wurden und China anderseits mit einem massiven staatlichen Subventionsprogramm den Aufbau einer eigenen Solarindustrie gefördert hat, musste in Deutschland ein Unternehmen nach dem anderen schließen. Nun versucht man, erneut subventioniert, wieder Boden gegenüber China gut zu machen.

Wenn nun die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) massiv ihre Industrieinfrastruktur fördern und die Halbleiterindustrie zurück ins Land holen wollen, müssen wir in Europa nachziehen, auch wenn es uns nicht gefällt. Wenn wir das Ziel haben, auch nur in Ansätzen autarke europäische Industrieinfrastrukturen erhalten zu wollen und in wichtigen Wirtschaftszweigen – zu denen auch der Technologiesektor zählt – konkurrenzfähig zu bleiben, dann wird man den Preis einer gewissen Regulatorik zahlen müssen.

Standortpolitik ist zudem nichts Neues. Es gab ja schon immer Einfuhrbeschränkungen oder die staatliche Förderung von Branchen. Aber es geht dabei auch nicht nur um die Verteilung staatlicher Gelder. Die Unternehmen aus dem Silicon Valley haben im Technologiebereich mit ihrer Plattformökonomie eine marktbeherrschende Stellung erreicht. Auch hier muss auf europäischer Ebene gegengesteuert werden. Dies geschieht zurzeit mit dem Digital Service Act und dem Digital Markets Act. Die Technologiebranche hat monopolistische Tendenzen und da es in der Branche auch immer um sensible Daten der Bürger:innen geht, braucht es ein staatliches Korrektiv.

Welche Trends werden die Branche in den nächsten Jahren prägen?

Insbesondere die Themen Cloud, Cyber Security, KI und Automatisierung werden die Agenda der Unternehmen bestimmen. Viele Prozesse, die bislang noch manuell abgewickelt werden, lassen sich inzwischen gut automatisieren. Dafür braucht es aber eine enorme Rechenleistung, die nur mit der Cloud im Hintergrund zu schaffen ist. Die Cloud ist auch aus Gründen der Cybersicherheit, aus Effizienz- und Verfügbarkeitsgründen unschlagbar geworden – da können eigenständige Lösungen einfach nicht mehr mithalten.

Investitionen werden zudem in neue Geschäftsmodelle fließen, die durch Digitalisierung und Vernetzung entstehen. Smart-Business, Smart-Cities, Smart-Homes boomen, hier gibt es noch viel Potenzial zu heben, ebenso wie beim Thema KI. Und natürlich wird im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung auch in den nächsten Jahren das Datenmanagement – also die Erhebung und Auswertung großer Datenmengen – relevant bleiben ebenso wie der zugehörige Schutz der Daten und Systeme. Die Anforderungen an Cyber Security werden in den nächsten Jahren weiter steigen.

Auch der Staat hat seinen Anteil jenseits von Subventionsfragen zu leisten. Die digitale Infrastruktur sollte weiter ausgebaut werden, um für die deutsche Volkswirtschaft ein starkes technologisches Rückgrat zu schaffen. Dies wird zu einer staatlichen Daueraufgabe werden, ähnlich wie beim Straßenbau, und wird hohe kontinuierliche Investitionen erfordern.

Ist die Cloud-Nutzung nachhaltig?

Sie ist auf jeden Fall nachhaltiger, als wenn jedes Unternehmen sein eigenes kleines Rechenzentrum betreibt. Aktuell entfallen rund zwölf Prozent des weltweiten Stromverbrauchs auf Rechenzentren, mit steigender Tendenz. Wie Daten gehostet werden, ist also ein enorm wichtiges Thema. Zurzeit liegt der Fokus noch meist auf Datenverfügbarkeit und -sicherheit. Aber da Energie immer teurer wird und auch der Ausstoß von CO2 immer kritischer gesehen wird, sollte auch die effiziente Datenhaltung in den Blick genommen werden. Es stellt sich die Frage, wie das steigende Datenaufkommen vom Energiebedarf abgekoppelt werden kann. Muss ein einzelnes Bild in 17.000 Kopien in Rechenzentren rund um den Globus gehostet werden? Datensparsamkeit und smarte Technologien, die hier unterstützen können, sind auf jeden Fall wichtige Zukunftsthemen.

Ist es aufgrund der aktuellen Zinswende für Start-ups im Technologiebereich schwieriger geworden, Investoren zu finden?

Schwieriger ja, aber nicht dramatisch. Ich denke, dass man mit guten Ideen und Geschäftsmodellen, die wirklich Marktpotenzial haben, auch weiterhin Geldgeber überzeugen kann. Die Menge an Geld ist im Markt knapper geworden, aber ich glaube nicht, dass das die Innovationskraft von Gründern und Startups auf breiter Basis beeinträchtigt. Es könnte sogar ein Vorteil sein. Die relevantesten technologischen Innovationen der letzten zwanzig Jahre stammen angeblich aus den Jahren der Finanzkrise 2009/2010. Es könnte daran liegen, dass bei knapperer Kassenlage Investoren kritischer auf das Potenzial von Start-ups schauen und dass diese wiederum gegenüber den Investoren mehr Überzeugungsarbeit leisten müssen. Das geringere Wagniskapital konzentriert sich dann auf die wirklich guten und zukunftsfähigen Ideen.

Ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern innovativ?

Das lässt sich nicht so leicht beantworten und ist auch sehr branchenabhängig. Im Technologiebereich ist Deutschland bei der Grundlagenforschung top, insbesondere auch an den Universitäten. Leider schaffen wir es aber noch nicht so gut wie die Amerikaner, daraus auch Geschäftsmodelle zu entwickeln. Im Silicon Valley gibt es eine Reihe von Entrepreneuren, die schon auf der Universität ihren Businessplan in der Tasche hatten. Diese Gründermentalität ist bei uns leider nicht so verbreitet. Andererseits sehen wir, dass uns auch viele kluge Köpfe in Richtung USA oder zu anderen Tech-Hubs verlassen. Das trifft besonders auf Menschen zu, die zum Studium aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind.

Universitäten sollten so attraktiv sein, dass Ausländer:innen gerne nach Deutschland kommen, weil sie hier besser ausgebildet werden als in anderen Ländern. Gerade aber auch der anschließende Übergang ins Berufsleben muss dann so unkompliziert vonstattengehen können, dass keine Abwanderungsgedanken aufkommen. Hier sollte die Politik dringend nachjustieren.

Der Standort Deutschland ist attraktiv, sollte für Fachkräfte aus aller Welt aber noch attraktiver werden. Motivierte Mitarbeitende sind der einzige Rohstoff, über den Deutschland verfügt – aber dieser schrumpft und das ist auch ein großes Thema in der Technologiebranche.

 

Wie schätzen die Technologie-Unternehmen in Deutschland ihre eigene Zukunftsfähigkeit ein? Lesen Sie im aktuellen Future Readiness Index zur Technologiebranche, warum trotz vielfältiger Herausforderungen der Zukunftsoptimismus in der Branche groß ist.