Die allgemein bekannte Dieselthematik hat – einem Urknall gleich – die fundamentale Relevanz eines systematischen Produkt-Compliance-Managements im Rahmen der Unternehmens-Governance aufgezeigt. Auch die kürzliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu den sogenannten Thermofenstern, einer zum Motorschutz gedachten Softwarefunktion, hat die Wichtigkeit des Themas unterstrichen.
Produkt-Compliance wird immer wichtiger
Die gesetzlichen Vorgaben an Produkte – etwa zur Sicherheit und dem Verbot von schädlichen Stoffen – sind bereits komplex und werden weiter zunehmen. Gleichzeitig erwarten die Verbraucher und Kunden neben der Sicherheit und Funktionalität eines Produktes zunehmend auch dessen Nachhaltigkeit und ethisch unbedenkliche Herstellung sowie Informationen zu diesen Themen.
Damit ist Produkt-Compliance nicht nur rechtlich höchst relevant, sondern auch hinsichtlich der Reputation und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit von stark wachsender Bedeutung. Denn das Produkt ist die Visitenkarte eines Herstellers: Sein Markterfolg und Ruf hängen davon ab, wie gut es ihm gelingt, die wachsenden Anforderungen und Erwartungen an seine Produkte umzusetzen.
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wirkt sich auf Entwicklung von Produkten aus
Der Gesetzgeber greift die steigenden ESG-bezogenen Erwartungen in der Gesellschaft (Umwelt- und Klimaschutz, soziale Verantwortung, nachhaltige Governance) mit neuen Gesetzen auf. Dazu zählt insbesondere in einem ersten großen Schritt das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Es verpflichtet viele Unternehmen ab 2023, ihre Lieferketten für ihre Produkte und Dienstleistungen auf Risiken für Menschenrechte und bestimmte Umweltthemen zu analysieren und systematisch Maßnahmen zum Schutz dieser Rechte zu ergreifen.
Das LkSG begründet für die betroffenen Unternehmen umfassende neue organisatorische Pflichten, nämlich nicht weniger als die Einführung eines neuartigen Managementsystems. Damit müssen viele Produkthersteller die Umstände ihrer Wertschöpfung und der ihrer Zulieferer nicht nur kennen, sondern aktiv steuern. Dies wird sich nicht nur auf die Lieferketten, sondern auch auf die Entwicklung und Gestaltung künftiger Produkte auswirken.
EU plant Verordnung für nachhaltige Produkte
Hinzu kommt, dass die Compliance-Regelungen auf EU-Ebene in den nächsten Jahren voraussichtlich noch wesentlich verschärft werden. Ein erster Schritt ist der bereits vorliegende Vorschlag für eine EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive. Dieser Richtlinienvorschlag betrifft ebenfalls Sorgfaltspflichten von Unternehmen hinsichtlich Menschenrechten und Umweltbelangen in den Lieferketten, geht aber inhaltlich noch über die Anforderungen des LkSG hinaus. Ein erster Entwurf wurde im Februar 2022 von der EU-Kommission vorgelegt.
Außerdem wird auf EU-Ebene an einer Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte gearbeitet. Sie wird umfassend neue Anforderungen an Produkte definieren, beispielsweise zu
- Haltbarkeit, Zuverlässigkeit, Wiederverwendbarkeit, Nachrüstbarkeit,
- Verhinderung einer künstlichen Begrenzung der Produktlebensdauer,
- Reparierbarkeit, einfache Wartung und Aufarbeitung sowie einfaches Recycling,
- Transparenz für Verbraucher:innen über die Nachhaltigkeit eines Produkts,
- Energieverbrauch/-effizienz und Ressourcennutzung/-effizienz eines Produkts,
- Umweltauswirkungen von Produkten über den gesamten Lebenszyklus, einschließlich ihres CO2– und Umwelt-Fußabdrucks,
- Verringerung und Vermeidung von Verpackungs- und weiteren Abfällen.
Unabhängig davon wird auch das allgemeine Produktsicherheitsrecht auf EU-Ebene neu geregelt werden.
Doppelte Herausforderung für Produkthersteller
Damit stehen die Hersteller vor zwei zunehmend schwieriger werdenden Herausforderungen: Sie müssen zum einen alle relevanten produktrechtlichen Regeln und Vorgaben, einschließlich der relevanten Wertschöpfungskette kennen – und zwar für alle relevanten Zielmärkte weltweit – und zum anderen die Einhaltung dieser komplexen Anforderungen systematisch in ihrer Organisation sicherstellen.
Mit immer komplexer werdenden Produkten und weiteren neuartigen gesetzlichen Produktanforderungen, die schon jetzt absehbar sind, besteht die Gefahr, dass Produkthersteller regulatorisch überrollt werden. Um dies zu verhindern, sollten die Unternehmen ihre Prozesse so aufzustellen, dass sie die Compliance-Vorgaben systematisch umsetzen und bereits frühzeitig bei der Produktentwicklung für die gesamte Produktlebensdauer berücksichtigen.
Effektives Produkt-Compliance-Management-System
Dies erfordert auch eine angemessene Aufstellung der Governance-Strukturen. Die Compliance-Management-Systeme sind auf die neuen gesetzlichen Vorgaben und die zu erwartenden umfangreichen Neuregelungen anzupassen. Grundlegend ist dabei, ein wirksames Produkt-Compliance-Management-System zu etablieren, das den Ordnungsrahmen für den systematischen Umgang mit der immer dynamischer werdenden Produkt-Regulatorik bildet.
Künftige Vorgaben schon jetzt mitdenken
Dabei kann es sich lohnen, bereits jetzt neben den neuen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Vorgaben des LkSG auch künftige Anforderungen etwa hinsichtlich Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz in den Blick zu nehmen. Damit werden später notwendige grundlegende Umgestaltungen der Governance-Strukturen möglichst gering gehalten.
Ein konsequenter und frühzeitiger Angang dieser Compliance-Themen bietet zwei weitere Vorteile: Man gewinnt Sicherheit in den Unternehmensprozessen, bevor die Regelungen gesetzlich verpflichtend werden, und kann am Markt bei Kundinnen und Kunden sowie in der breiten Öffentlichkeit als Vorreiter wahrgenommen werden.