Frauen verdienen in Deutschland in der Regel weniger als Männer. Sieben Prozent betrug der sogenannte bereinigte Gender Pay Gap laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2022. Das heißt: Arbeitnehmerinnen haben bei vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie pro Stunde im Durchschnitt sieben Prozent weniger Lohn erhalten als ihre männlichen Kollegen.
Seit 2006 verbietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), Menschen aufgrund bestimmter Merkmale, unter anderem des Geschlechts, zu benachteiligen. Allerdings haben die Gerichte bisher nicht beanstandet, wenn ein Arbeitgeber einem Bewerber oder einer Bewerberin im Einzelfall ein höheres Gehalt zusagte, weil diese Person entsprechend verhandelt hatte.
Die Equal-Pay-Entscheidung des BAG vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21)
Unter diese Praxis hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) nun einen Schlussstrich gezogen. Es hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem eine Außendienstmitarbeiterin ein geringeres Gehalt bezog als ein männlicher Kollege. Beide übten die gleiche Tätigkeit aus und waren ungefähr gleichlang im Unternehmen beschäftigt. Der Arbeitgeber begründete das höhere Gehalt des Arbeitnehmers unter anderem damit, dass dieser besser verhandelt habe. Die Kollegin verlangte mit ihrer Klage gleiche Bezahlung sowie eine Entschädigung wegen Diskriminierung.
Das BAG gab der Außendienstmitarbeiterin Recht: Wenn einem Mann für die gleiche oder gleichwertige Tätigkeit ein höheres Entgelt gezahlt werde als seiner weiblichen Kollegin, werde nach § 22 AGG vermutet, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist. Diese Vermutung hätte der Arbeitgeber widerlegen können, indem er einen sachlichen Grund für das höhere Gehalt des männlichen Mitarbeiters angeführt hätte. Verhandlungsgeschick akzeptierten die Richter nicht als Grund für eine Ungleichbehandlung.
Gehaltsverhandlungen kann es auch weiterhin geben
Die Konsequenz der Entscheidung: Möchte ein Arbeitgeber den Gehaltsforderungen von Bewerber:innen oder Mitarbeiter:innen nachgeben, müsste er das Entgelt des jeweils anderen Geschlechts ebenfalls nach oben angleichen. Bedeutet das, dass es faktisch keine Gehaltsverhandlungen mehr geben wird? Wir meinen, nein. Gehälter können auch weiterhin verhandelt werden.
Allerdings können Bewerber:innen wohl nur noch Argumente in die Waagschale werfen, die objektive Kriterien für eine höhere Vergütung darstellen und geeignet sind, eine Diskriminierungsvermutung zu widerlegen. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn mit einer höheren Bezahlung auch ein höheres Maß an Verantwortung einhergeht. Verlangen Arbeitnehmer:innen im laufenden Arbeitsverhältnis eine Gehaltserhöhung, wird man möglicherweise auch über höherwertige Aufgaben sprechen.
Was ist jedoch, wenn es schlichtweg die eigenen Unternehmenserfordernisse sind, die einen Arbeitgeber dazu bewegen, mehr zu zahlen als eigentlich bei ihm üblich? Wenn der Bewerber oder die Bewerberin die Stelle ansonsten nicht annehmen würde und niemand sonst zur Verfügung steht? Dann bleiben dem Arbeitgeber mehrere Möglichkeiten: Entweder er lehnt ab, wissend, dass andere Arbeitgeber sich auch an das AGG halten müssen. Oder er entscheidet sich, auf die Gehaltsforderung einzugehen und dann auch den Lohn der vergleichbaren Arbeitnehmer:innen anzupassen, denn möglicherweise hat sich der Marktpreis für das Jobprofil erhöht.
Eine weitere Option wäre, den Bewerber bzw. die Bewerberin mit einem leistungsabhängigen Bonus zu locken. Dieser müsste dann natürlich auch den vergleichbaren Kolleg:innen ermöglicht werden. Über einen leistungsabhängigen Vergütungsbestandteil dürfte der Arbeitgeber weiterhin die Möglichkeit haben, bei der Bezahlung zu differenzieren und besonders gute Leistungen zu belohnen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Leistungsbewertung auf objektiven Kriterien beruht und unter den Beschäftigten Chancengleichheit besteht.
Unternehmen sollten ihre Vergütungsstruktur analysieren
Wie sollten Unternehmen auf das Urteil reagieren? Abwarten ist jedenfalls keine gute Strategie. Ob es zu Klagewellen kommt, wird man sehen. In jedem Fall drohen Entschädigungszahlungen und Lohnnachzahlungen, wenn Arbeitnehmer:innen Equal-Pay-Ansprüche geltend machen. Außerdem steht der Ruf des Unternehmens auf dem Spiel.
Arbeitgeber sollten daher ihre Vergütungsstruktur auf mögliche Benachteiligungen analysieren und die Gehälter innerhalb vergleichbarer Mitarbeitergruppen generell anpassen. Denn der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ bezieht sich nicht nur auf das Geschlecht. Auch wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität darf nach dem Gesetz niemand benachteiligt werden. Was allerdings nicht immer einfach zu beurteilen ist: Wann kann man von gleicher Tätigkeit sprechen und welche Stellen gelten als vergleichbar? Dies festzulegen, kann im Einzelfall eine große Herausforderung sein.
Das beste Mittel, sich vor Klagen zu schützen, dürften transparente Vergütungssysteme sein, die für möglichst alle Mitarbeitende einheitlich gelten. Es ist zu hoffen, dass die Urteilsgründe Aufschluss darüber geben, inwieweit Vergütungssysteme Differenzierungsmöglichkeiten zwischen Beschäftigten vorsehen können.
Der Ruf nach Equal Pay wird immer lauter
Die BAG-Entscheidung ist sicher ein großer Einschnitt für die Arbeitswelt. Sie kann für einzelne Arbeitgeber durchaus einen hohen Arbeitsaufwand und auch Kosten bedeuten, wenn Gehälter angeglichen werden. Dennoch bietet das Urteil auch Chancen für Unternehmen. Denn der Ruf nach Entgeltgleichheit wird immer lauter. Equal Pay ist Bestandteil einer ESG-Strategie und Unternehmen müssen aufgrund der kürzlich von der EU verabschiedeten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) unter anderem über Lohngleichheit berichten. Auch das Entgelttransparenzgesetz verpflichtet Unternehmen, über Entgeltgleichheit zu berichten: Lageberichtspflichtige Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten müssen seit 2016 regelmäßig offenlegen, was sie zur Herstellung von Entgeltgleichheit für Frauen und Männer unternommen haben.
Im Rahmen des Employer Brandings dürften Themen wie Diversity und Equal Pay ebenfalls immer wichtiger werden. Unsere Prognose: An einer transparenten und geschlechtsneutralen Vergütungsstruktur kommt – unabhängig von dem aktuellen Urteil – irgendwann kein Unternehmen mehr vorbei. Und letztlich liegt es auch wohl eher im Interesse des Arbeitgebers, Leistung im Job statt Verhandlungsgeschick zu belohnen.