Während der Corona-Pandemie haben insbesondere in den USA Millionen talentierte Mitarbeiter:innen aus eigenen Stücken ihrem Arbeitgeber den Rücken gekehrt und den Job gekündigt. So viele, dass Ökonomen für dieses Phänomen einen neuen Begriff geprägt haben: „Great Resignation“, auf Deutsch ungefähr als die „Große Kündigung“ zu übersetzen.
Eine Erklärung dafür gibt es auch schon: Die Corona-Krise habe viele Menschen dazu angeregt, ihr Leben und den Stellenwert ihrer Arbeit und Karriere zu hinterfragen. Gerade in Situationen wie der Corona-Pandemie, wenn sich gewohnte Routinen abrupt ändern, seien Menschen offener für Veränderungen, erläuterten Psychologen. Daneben wurde in der Pandemie teilweise zurückhaltend eingestellt oder es wurden sogar Personalkapazitäten abgebaut, sodass sich diese Effekte nun kumulieren.
Recruiting und Mitarbeiterbindung als Herausforderung
In Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Vermehrt sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit, ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Zugleich ist die Zahl der offenen Stellen auf einem Rekordhoch.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung für Unternehmen zeigen sich auch im CEO Outlook von KPMG: Im Ranking der wichtigsten Bedrohungen für langfristiges Wachstum kletterte die Herausforderung, Talente zu finden und zu halten, um 20 Plätze nach oben. Sie wurde damit von den befragten Führungskräften als eines der größten Wachstumsrisiken bewertet.
Menschen streben nach sinnvoller Arbeit
Die „Great Resignation“ hat die Bedeutung von Recruiting und Mitarbeiterbindung weiter verstärkt. Angesichts eines Arbeitskräftemangels ist es für HR-Abteilungen von Unternehmen strategisch wichtiger denn je, in einen kontinuierlichen Dialog mit den Mitarbeitenden zu treten, um ein besseres Verständnis für die bindungsrelevanten Faktoren zu erlangen, zum Beispiel in den Bereichen Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ebenfalls ist es wichtig, die Gründe für Kündigungen zu kennen und proaktiv alle wirksamen Maßnahmen zu ergreifen, um die besten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten sowie neue Top-Talente zu gewinnen.
Als einer der Hauptgründe für die Kündigungswelle wird eine stärkere Betonung von Werten sowie die Erwartung eines individuellen und kontinuierlichen Entwicklungsdialogs angeführt: Viele Menschen haben in der Pandemie hinterfragt, welche Werte ihnen wichtig sind und inwieweit diese auch in ihrem Arbeitsumfeld präsent bzw. Teil der Unternehmenskultur sind. So wurden in einer Umfrage des Pew Research Centers als Kündigungsgründe von Mitarbeitenden häufig „begrenzte Möglichkeiten zur Weiterentwicklung“ und ein fehlender respektvoller Umgang am Arbeitsplatz genannt.
Darin zeigt sich die wachsende Bedeutung einer guten, wertschätzenden Führungskultur in Unternehmen für die Mitarbeiterverbindung. Hinzu kommt der Wunsch vieler Spitzenkräfte, insbesondere aus der jungen Generation, bei einem gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmen zu arbeiten, das einen übergeordneten sinnstiftenden Zweck (Purpose) verfolgt. Für sich selbst also: eine sinnvolle Arbeit auszuüben und damit nicht nur zu einer hohen wirtschaftlichen, sondern auch hohen gesellschaftlichen Leistung beizutragen. Des Weiteren ist wichtig, wie die eigene Arbeit in das große Ganze und den Unternehmenszweck eingebunden ist und wie die Vereinbarkeit persönlicher Ziele der Mitarbeitenden und der Unternehmenszwecke künftig weiterentwickelt wird.
Familienunternehmen überzeugen
Hier können familiengeführte Unternehmen ihre besonderen Vorteile ausspielen und Top-Bewerber:innen anziehen. Eine sinnstiftende Unternehmenskultur, die durch starke nachhaltige Werte der jeweiligen Inhaberfamilie und deren Engagement für Gesellschaft und Umwelt untermauert wird, gilt seit Langem als Schlüsselfaktor für erfolgreiche Familienunternehmen.
Diese Punkte sowie eine starke unternehmerische Prägung, eine motivierende Führung und die Fähigkeit, den Gründergeist und die Firmenphilosophie über Generationen hinweg aufrechtzuerhalten, tragen entscheidend zum langfristigen Erfolg von inhabergeführten Unternehmen bei, wie KPMG Private Enterprise und das STEP Project Global Consortium kürzlich in der Studie „The regenerative power of family businesses: Transgenerational Entrepreneurship“ festgestellt haben.
Den Wert der nächsten Generation nutzen
Die Studie zeigte eine weitere wichtige Eigenschaft erfolgreicher Familienunternehmen auf, die im Hinblick auf das Recruiting relevant ist: Sie fördern aktiv die Fähigkeiten ihrer Führungskräfte der nächsten Generation. Von diesen sind viele jung und digital versiert und bringen eine neue Perspektive für Produkt-, Service- und Betriebsinnovationen ein, um die Zukunft im Sinne des Wertekompasses der Familie zu gestalten. Das macht diese Unternehmen auch für hochqualifizierte Top-Kandidat:innen als Arbeitgeber attraktiv.
Familienunternehmen: Vorbilder für die Arbeitskultur
Familienunternehmen können vor diesem Hintergrund als Vorbilder für die Zukunft der Arbeitskultur in den verschiedensten Unternehmen und Industriezweigen gesehen werden – auch im Hinblick auf ein erfolgreiches Recruiting. Denn es gibt ein paar Faktoren, die sich jede Firma von ihnen abschauen kann. Nicht nur um Arbeits- und Unternehmenskultur zu verbessern, sondern auch um ihre Attraktivität für Topbewerber:innen zu erhöhen und die Mitarbeiterbindung zu stärken:
- Betonung von Proaktivität und Umsetzungsstärke als unternehmerische Tugenden
- Einfluss der nächsten Generation auf die Strategie/Vision des Unternehmens, indem Vertreter:innen der Next Gen die Möglichkeit gegeben wird, neue Denkansätze einzubringen und Produktinnovationen voranzutreiben, um so partizipativ mitzugestalten.
- Nutzung des digitalen Know-hows der nächsten Generation, um kontinuierlich technologische Fortschritte zu erzielen
- Das Verständnis für den Wert einer größeren Diversität im Hinblick auf die langfristige Perspektive für das Unternehmen
- Eine aktive Evaluation des Führungspotenzials von Familienmitgliedern und Mitarbeitenden über das gesamte Spektrum von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Erfahrungen außerhalb des Unternehmens
Eine wertschätzende Unternehmenskultur und eine sinnstiftende Arbeit mit aussichtsreichen und vielfältigen Perspektiven steigern den Erfolg bei der Bewerbersuche und erhöhen die Mitarbeiterbindung. Hier sind familiengeführte Unternehmen im Allgemeinen gut aufgestellt. Aber auch Familienunternehmen sollten ihre Attraktivität als Arbeitgeber kontinuierlich prüfen, denn der Wettbewerb um die besten Talente wird angesichts der demografischen Entwicklung noch härter, wenn in den kommenden Jahren mehr Menschen in den Ruhestand gehen als in das Berufsleben eintreten werden.