Mehr Mut zur Vielfalt in Familienunternehmen

Warum Diversität Unternehmen bereichert und erfolgreicher macht.

Frau Hüttemann, warum ist Vielfalt in Unternehmen wichtig?

Unternehmen profitieren in mehrfacher Hinsicht von gelebter Vielfalt. In divers aufgestellten Unternehmen – das heißt: mit jungen und älteren Mitarbeitenden, mit kulturell diversen Beschäftigten, mit einem guten Gender-Mix – fühlen die Beschäftigten mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeitsprofilen sich verstanden und akzeptiert, was die Motivation erhöht und Fluktuation verringert. Internationale Studien zeigen in diesem Zusammenhang auch, dass Familienunternehmen mit weiblichen CEOs einen weniger autokratischen Führungsstil aufweisen als solche mit männlichen CEOs.

Divers aufgestellte Unternehmen spiegeln die gesellschaftliche Realität wider, und damit auch den Markt mit seinen unterschiedlichen Kundeninteressen und -bedürfnissen. Vielfalt hilft Unternehmen somit, neue und vielfältige Zielgruppen zu erschließen.

Belegt ist außerdem, dass gemischte Strukturen zu mehr Innovationskraft führen. Durch die unterschiedlichen Denkweisen und Erfahrungen der Mitarbeitenden werden verschiedene Perspektiven eingenommen. Man inspiriert sich gegenseitig, bedenkt neue Optionen und findet kreativere, innovativere Lösungen.

Andererseits minimiert Homogenität Konflikte, weil Mitarbeitende ähnlich „ticken“. Ist das im betrieblichen Umfeld nicht wünschenswert?

Natürlich hat Homogenität auch ihre Stärken. Gleichartig zusammengesetzte Teams finden schnell zueinander. Anfängliche Reibungsverluste sind vergleichsweise gering, was die Produktivität erhöht und effiziente Ergebnisse bringt. Bei überschaubaren Projekten mit spezifischen Aufgaben, klarem Ziel und relativ kurzer Dauer kann es sinnvoll sein, homogene Teams zu nutzen.

Aber grundsätzlich kann eine allzu große Ähnlichkeit ein einheitliches Denken verstärken. Es besteht das Risiko, dass andersartige Perspektiven fehlen und beispielsweise neue Trends nicht schnell genug erkannt werden. Das kann langfristig dazu führen, dass Unternehmen unflexibel werden und sich nicht mehr an wandelnde Marktbedingungen anpassen können. Gerade in disruptiven Zeiten, wie wir sie aktuell erleben, sind Öffnung und mehr Vielfalt sinnvoll.

Wie vielfältig sind Familienunternehmen in Deutschland?

Sie sind oftmals noch relativ homogen. Deutsche Familienunternehmen sind auch noch sehr stark männlich dominiert. Eine Studie hat im vergangenen Jahr für die 100 umsatzstärksten Familienunternehmen den Anteil von Frauen in der Geschäftsführung ermittelt: 6,9 Prozent. Bei Unternehmen, die zu 100 Prozent im Familienbesitz sind, lag die Quote sogar nur bei 4,8 Prozent. Zum Vergleich: Bei den 30 DAX-Unternehmen lag die Quote bei 15 Prozent.

Wie lässt sich das erklären?

Auch heute noch übernimmt in vielen Familienunternehmen „automatisch“ der älteste Sohn die Nachfolge und wird schon in jungen Jahren an das Unternehmen und unternehmerisches Denken herangeführt, während Töchter anders sozialisiert aufwachsen.

Wir sehen hier jedoch einen Wandel. Das Primogenitur-Prinzip verliert mehr und mehr an Bedeutung. Das gilt auch für das klassische Modell, wonach ein Familienmitglied allein die Verantwortung in der Geschäftsführung übernimmt – immer häufiger teilen sich Geschwister die operative Verantwortung oder teilen diese mit Führungskräften von extern. Die Next Generation ist beim Thema Nachfolge flexibler als ihre Eltern.

Hinzu kommt: Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden als Dimensionen des Handelns immer wichtiger. Familienunternehmen stehen diesbezüglich vor der Aufgabe, mit den aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten und eine angemessene Expertise in ihren Entscheidungsgremien sicherzustellen. Dies bietet neue Anreize, sich breiter aufzustellen und die Chancen aus einer größeren Vielfalt zu nutzen.

Auch in den Beiräten von Familienunternehmen besteht insofern noch Nachholbedarf. Die mehrheitlich aus dem Familien- und Bekanntenkreis rekrutierten Mitglieder sind oftmals über 60 Jahre alt, Vertreter der jungen Generation fehlen häufig. Unternehmerfamilien sollten ihren Beirat bewusst verjüngen und auch verstärkt mit Frauen besetzen sowie Beiräte mit internationalem Hintergrund wählen.

Wie können Familienunternehmen Vielfalt fördern?

Zunächst einmal sollten die Führungskräfte Vorbild sein, also für Vielfalt eintreten. Sie sollten in der Belegschaft eine Sensibilisierung für das Thema schaffen und das Bewusstsein für die Vorteile von Vielfalt stärken. Wichtig ist, Mitarbeitende mit unterschiedlichen Persönlichkeitsprofilen stärkenorientiert einzusetzen und ihnen Entwicklungs- und Karriereperspektiven zu eröffnen. Die daraus entstehenden Erfolgsgeschichten müssen dann im Unternehmen als Role Models transparent gemacht werden.

Außerdem sollten Unternehmen ihre aktuellen Strukturen, Geschäftsbereiche und Teams kritisch im Hinblick auf Vielfalt bewerten und, falls es noch an Diversität mangelt, entsprechend Maßnahmen ergreifen. Das heißt: gezielt Frauen einstellen – beispielsweise bewusst MINT-Absolventinnen ansprechen – oder Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund rekrutieren. Oder, je nach Bedarf, auch ältere Kandidatinnen und Kandidaten mit ihrem reichen Erfahrungsschatz auswählen.

Dafür ist es notwendig, dass vielfältige Talente sich überhaupt angesprochen fühlen. Wie sollten Unternehmen in dieser Hinsicht ihre Außenwahrnehmung verändern?

Das ist ein entscheidender Punkt im Employer Branding. Unternehmen sollten herausstellen, dass sie Vielfalt als wichtig erachten und diese schätzen und stärken. Viele Unternehmen, die Vielfalt leben, tragen das noch zu wenig nach außen – insbesondere Familienunternehmen. Sie sollten selbstbewusst damit werben.

Das beginnt schon beim externen Unternehmensauftritt an sich: Wie vielfältig sind Werbekampagnen oder Posts auf den Social-Media-Kanälen des Unternehmens? Werden auch Frauen und Mitarbeitende mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund gezeigt? Ein offenes, pluralistisches Unternehmensimage zieht vielfältigere Bewerberinnen und Bewerber an. Es ist auch belegt, dass der Frauenanteil unter den Bewerbern in denjenigen Unternehmen höher ist, bei denen Frauen im Vorstand sind und öffentlich für die Organisation auftreten.

Susanne Hüttemann