H2-Zukunftsbarometer: Norddeutsche Wasserstoff-Pioniere

Wie sich Norddeutschland zur Modellregion entwickelt.

Zum Thema Wasserstoff gibt es keinen Mangel an „Erster!“-Meldungen. Hat doch Wasserstoff das Potenzial, die Energieversorgung, die Mobilität und Wertschöpfungsketten erheblich zu verändern. Gleichzeitig ist vieles noch Theorie und entsprechend groß der Raum für Pionierarbeit.

Auffällig häufig kommen dabei Erfolgsmeldungen aus Norddeutschland:

  • 2013 eröffnete Audi eine sechs Megawatt starke Elektrolyse- und Methanisierungsanlage in Werlte im Emsland. Dabei wird mittels grünem Strom Wasser gespalten und Wasserstoff als Energieträger genutzt. Der Wasserstoff wird dann zusammen mit CO2 zu synthetischem Erdgas, mit dem u.a. Autos betankt werden können.
  • 2017 ging in Hamburg die damals weltweit größte regelflexible Elektrolyse-Wasserstoffanlage in Betrieb. Der 5-MW-PEM-Elektrolyseur von Siemens produziert jährlich mehrere hundert Tonnen Wasserstoff für die H&R Ölwerke Schindler.
  • Der weltweit erste mit einer Wasserstoffbrennzelle angetriebene Zug Coradia iLint von Alstom fährt 2018 erstmals im Linienbetrieb – zwischen Cuxhaven und Buxtehude.

Zudem gibt es Projekte wie die „H2-RegionEmsland“, die eine von 16 Wasserstoffmodellregionen ist, die vom Bundesverkehrsministerium gefördert werden. Deutlich wird dabei schon, wie vielfältig die Anwendungen sind, aber dass sie eben noch recht solitär sind, ohne echte Vernetzung.

Mit HY-5 zur grünen Wasserstoffwirtschaft

Das beginnt sich gerade zu ändern. Entscheidend ist der Zusammenschluss der fünf norddeutschen Bundesländer Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen und Schleswig-Holstein zur Wasserstoffinitiative HY-5. Bis 2035 soll, so das Ziel, eine grüne Wasserstoffwirtschaft entstehen.

Norddeutschland bietet dafür ideale Voraussetzungen: viel Strom aus erneuerbaren Energien, große Gasspeicher, zukünftige Wasserstoff-Hubs wie Pipelines und umrüstbare LNG-Terminals als Importpunkte sowie Abnehmer wie Raffinerien, Stahlwerke und andere Branchen, die langfristig CO2-frei werden wollen.

Quellen: FNB-Gas: Netzwerkentwicklungsplan Gas 2020 – 2030 (Entwurf), Juli 2020; Enagás et al.: European Hydrogen Backbone, Juli 2020; Gas Infrastructure Europe: GIE Storage Map, 2018; Analyse KPMG in Deutschland, 2021.

Wasserstoffproduktion im industriellen Maßstab

Der Weg dorthin lässt sich an den Projekten erkennen, die bereits angestoßen sind oder für die Pläne vorliegen. Rund um die Region Heide und Brunsbüttel im Westen Schleswig-Holsteins werden verschiedene Wasserstoffprojekte im industriellen Maßstab entwickelt, die sich zu einem „H2-Valley“ auswachsen könnten. Aus Offshore-Windenergie wird grüner Wasserstoff produziert und die dabei entstehende Abwärme genutzt. Der Wasserstoff soll u.a. zusammen mit CO2, das bei der örtlichen Zementproduktion freigesetzt wird, zu Flugzeugtreibstoff werden.

In Friesland will das Projekt „ELEMENT EINS“ mit einer 100 MW starken Power-to-Gas-Anlage in der Endstufe bis zu 20.000 m³/h Wasserstoff produzieren. Der Wasserstoff soll dem Gasnetz beigemischt werden. Zeithorizont: 2030.

In Lingen im Emsland planen BP und Ørsted eine 50-MW-Anlage. Dieser grüne Wasserstoff könnte bis zu 20 Prozent des in der dortigen Raffinerie aus fossilem Erdgas erzeugten grauen Wasserstoffs ersetzen. Auch Hamburg plant die Produktion von grünem Wasserstoff im großen Stil: Mit der Umrüstung des ehemaligen Kohlekraftwerks Moorburg soll die energieintensive Industrie im Süden der Stadt mit nachhaltigem Wasserstoff versorgt werden.

Am Ende auch eine Frage des Preises

So gut all das auch klingt, sind wesentliche Probleme nicht zu unterschätzen. Gerade die Produktion von grünem Wasserstoff, der zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen wird und gänzlich ohne fossile Rohstoffe auskommt, ist noch enorm teuer und Stand jetzt nicht wettbewerbsfähig. Möglicherweise haben da andere Regionen in der Welt, in denen etwa die Sonnenscheinintensität und -dauer deutlich höher ist, wie der mittlere Osten und Nordafrika, einen Wettbewerbsvorteil. Auch weitere Dekarbonisierungstrends wie eine stärkere Elektrifizierung, die CO2-Abscheidungs- und Speichertechnologie (CCS) oder die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen können in Konkurrenz zu einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft stehen.

Dennoch bin ich zuversichtlich, dass nachhaltiger Wasserstoff schon in zehn bis fünfzehn Jahren einen erheblichen Teil zur Wertschöpfung in Norddeutschland beitragen wird. Dazu gilt es allerdings, die ambitionierten Pläne mit viel Energie in die Realität umzuwandeln.