In einer Welt, in der der Wettbewerb zunehmend intensiver wird und die Kundenansprüche stetig steigen, sind Unternehmen bestrebt, innovative Ansätze zu finden, um ihre Vertriebs- und Verkaufsstrategien zu optimieren. Generative KI kann dabei helfen.
Im Interview sprechen Benedikt Höck, Partner, Head of AI, und Michael Niederée, Partner, Consulting, darüber, wie Unternehmen personalisierte Marketinginhalte erstellen und eine präzise Kundensegmentierung erreichen können. Außerdem zeigen sie auf, welche Fallstricke Unternehmen dabei nicht außer Acht lassen sollten.
Welche konkreten Anwendungen hat generative KI im Vertrieb und Marketing?
Benedikt Höck: Für mich lassen sich im Grunde genommen zwei Hauptziele identifizieren. Erstens besteht die Möglichkeit, eine hohe Personalisierung zu erreichen, indem individuell auf einzelne Personen zugeschnittene Maßnahmen ergriffen werden, anstatt sich auf Segmente zu konzentrieren.
Dies beginnt bei der Ansprache potenzieller Kunden oder bestehender Kunden und erstreckt sich bis hin zur personalisierten Verwaltung von Werbeeinwilligungen und ähnlichem. Mit anderen Worten: In sämtlichen Aktivitäten, wie Anschreiben, Angeboten, Kommunikationspräferenzen oder bei der Nutzung von Online-Kanälen sowie Produkten, besteht die Möglichkeit, konsequent zu personalisieren.
Zeitgleich kann eine hohe Effizienz gewährleistet werden, da man diese personalisierten Maßnahmen automatisieren kann. Dieser Ansatz kann weiterentwickelt werden, indem beispielsweise generative Keywords im Bereich der Produktentwicklung verwendet werden.
Michael Niederée: Die Liste der Möglichkeiten ist endlos. Die zentrale Frage ist, wie Unternehmen die Technologie heute für sich nutzbar machen können. Dies hängt stark davon ab, wie weit das eigene Unternehmen bereits im Bereich der Digitalisierung aufgestellt ist und vor allem welche Daten über die Kunden überhaupt vorliegen.
In den Firmen stoßen wir häufig immer noch auf zahlreiche Datensilos, und die Speicherung von Kundendaten erfolgt aus Datenschutzgründen äußerst behutsam. Für Unternehmen gilt es, ihre Kunden besser zu verstehen als die Wettbewerber. Nur so können sie auch eine individuellere Ansprache durchführen.
Generative KI kann beim Verständnis der Kunden als auch bei der Individualisierung der Kommunikation einen sehr großen Nutzen entfalten, es braucht aber gewisse Grundvoraussetzungen.
Ich bin der Meinung, dass künstliche Intelligenz langfristig wahrscheinlich besser verkaufen kann als Menschen es tun. KI ist geduldiger, ausdauernder, skaliert unbegrenzt und mit einem besseren Kundenverständnis ausgestattet. Ein Beispiel ist das Callcenter, wo Mitarbeitende pro Anruf bezahlt werden, aber nicht unbedingt eine Incentivierung über die Kundenzufriedenheit oder das vermittelte Geschäft erhalten. KI erzeugt hier deutliche bessere Kennzahlen in Bezug auf Kundenzufriedenheit und Up-Selling-Raten, und das bei einer Kosteneinsparung von etwa 70-80 Prozent.
Wie kann generative KI Unternehmen dabei unterstützen, personalisierte Marketinginhalte zu erstellen?
Michael Niederée: Unternehmen können eine sehr präzise Kundensegmentierung erreichen, die sich von der traditionellen Segmentierung hin zu einer individualisierten Ansprache bewegt, einem „Segment of one“. Dadurch gelingt es ihnen, die Kunden sehr gut zu verstehen, indem sie ihre Kommunikation analysieren. Spannend sind auch Formate, wo Kunden mit Assistenten oder Bots im Bereich von Marketing oder Vertrieb interagieren.
Ein schönes Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie. Einige große Automobilhersteller haben generative KI in ihre Fahrzeuge integriert und waren damit schneller als die großen Hersteller von Smartphones. Durch die neuen Sprachfähigkeiten, wie GPT-4o, können Interaktionen mit Produkten entstehen, die das Auto zum Assistenten oder Alltagsbegleiter machen. Unternehmen erhalten dadurch einen deutlich persönlicheren Zugang zu ihren Kunden, was die Kundenbindung stärkt und gleichzeitig die Erschließung neuer Geschäftsfelder ermöglicht.
Bislang war es schwierig, diese personalisierte Ansprache wirtschaftlich umzusetzen. Das ist nun mit generativer KI möglich. Wichtig ist allerdings, die Risiken bei der Nutzung im Blick zu haben und auch mit den Daten vertrauensvoll umzugehen.
Welchen Beitrag leistet generative KI zur Automatisierung von Vertriebsprozessen?
Benedikt Höck: Die Grundidee besteht darin, dass die Automatisierung der Kommunikation möglich ist, sobald man die Kundenbedürfnisse verstanden hat. Das umfasst die Fähigkeit, E-Mails zu verfassen und sogar auf Kundenanfragen mit Chatbots zu antworten, einschließlich der Automatisierung von Telefonaten. Die Sprachtechnologie hat mittlerweile einen so hohen Standard erreicht, dass sogar KI-Systeme Telefonate mit Kunden führen können.
So ist eine Reaktion in Echtzeit möglich, auch außerhalb der üblichen Geschäftszeiten. Viele Kunden ziehen möglicherweise eine schnellere und jederzeit verfügbare Lösung einer menschlichen Interaktion vor.
Welche Hürden und Risiken sind mit dem Einsatz von generativer KI im Vertrieb verbunden?
Michael Niederée: Das Risiko besteht darin, die generative KI direkt in Echtzeit mit Kunden interagieren zu lassen, ohne ausreichende Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Dadurch können Schwachstellen in den Modellen auftreten, die unerwünschte Auswirkungen haben.
Die zentrale Aufgabe besteht darin, diese neuen Technologien behutsam und mit angemessener Vorsicht einzuführen, vorzugsweise in Pilotprojekten mit menschlicher Unterstützung und intensivem Live-Testing.
Wenn Mitarbeitende die Technologie nutzen, sollte man sich bewusst sein, dass Kunden andere Erwartungen als interne Stakeholder haben. Daher ist es wichtig zu überlegen, ob es interne Richtlinien oder Leitlinien geben sollte, die den verantwortungsvollen Umgang mit KI festlegen.
Und dann sollte natürlich sichergestellt werden, dass die Richtlinien in der Praxis eingehalten werden, insbesondere in der Kundenkommunikation. Da die meisten Menschen Richtlinien nicht lesen, könnte auch hier eine KI-Lösung nützlich sein, die die Anwender:innen auf die Grenzen hinweist und sicherstellt, dass die generierten Inhalte bestimmte Kommunikationsrichtlinien berücksichtigen. Die Herausforderung besteht darin, diese Grenzen intuitiv in die Modelle zu integrieren.
Benedikt Höck: Es ist wichtig zu erkennen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Lösungen, die fest in bestehende Prozesse integriert sind, wie beispielsweise ein automatisierter Kundenservice, und Produktivitätstools wie einen Website-Assistent. Bei Produktivitätstools braucht es Menschen, die weiterhin überwachen und eingreifen können, während bei prozessintegrierten Lösungen Hilfsmittel verwendet werden können, um sicherzustellen, dass die festgelegten Richtlinien eingehalten werden.
Gibt es noch weitere Tipps für den erfolgreichen KI-Start im Unternehmen?
Benedikt Höck: Es geht darum, Anknüpfungspunkte zu identifizieren und einen niedrigschwelligen Einstieg zu finden. Ein erster Test könnte beispielsweise darin bestehen, dass KI personalisierte Kundenansprachen generiert. Diese werden jedoch nicht direkt versendet, sondern von den Mitarbeitenden im Vier-Augen-Prinzip überprüft, bevor sie an Kunden weitergeleitet werden. Dies dient als Ausgangspunkt, um ein solides Fundament für eine Technologie & KIGovernance aufzubauen.
Darauf basierend können weitere Schritte unternommen werden, um die Komplexität zu erhöhen und kontinuierlich zu lernen, zum Beispiel um in einem weiteren Schritt eine direkte Kundenansprache zu realisieren. Dies bedeutet, die Reise in Richtung digitaler Transformation anzutreten und Prozesse und Strukturen fortlaufend zu optimieren – immer mit dem Ziel vor Augen, die Vertriebs- und Verkaufsstrategien zu optimieren.
Welche Fallstudien oder Erfolgsgeschichten gibt es bereits, die den Nutzen von generativer KI im Bereich Vertrieb und Marketing verdeutlichen?
Michael Niederée: Wir sind derzeit in einem Projekt bei einem Kunden involviert, bei dem wir generative KI für innovative Marketingansätze nutzen wollen. Unser Ziel ist es weniger, die Produktivität zu steigern, sondern vielmehr einzigartige Interaktionen mit den Kunden zu schaffen.
Viel einfacher und mit weniger Risiken verbunden ist natürlich der Einsatz im Vertrieb. Hierbei kann die Technologie dazu beitragen, Angebote schneller zu erstellen, die Kommunikation zu automatisieren und dadurch die Effizienz im Vertrieb zu steigern. Diese Anwendungsfälle lassen sich direkt und messbar auf das Unternehmensergebnis übertragen und sind zudem leicht implementierbar.
Benedikt Höck: Zudem implementieren wir einen anderen Kunden gerade einen Geschäftspartner-Assistenten, der dazu beitragen soll, Geschäftsbeziehungen effizienter zu gestalten.
Ein weiteres spannendes Projekt ist die Implementierung eines Personalisierungsservices für Banken und Versicherungen. Hierbei nutzen wir Kundendaten, um maßgeschneiderte Kommunikation zu ermöglichen und die Kundenbindung zu stärken.
KPMG-Studie: Deutsche Unternehmen planen erhebliche Investitionen in generative KI
Generative künstliche Intelligenz ist aus zahlreichen deutschen Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Das bestätigt unsere Umfrage unter 284 Entscheider:innen. 53 Prozent der befragten Unternehmen wollen Investitionen in generative KI in den nächsten zwölf Monaten erhöhen, die Hälfte von ihnen um 40 Prozent oder mehr. Das zeigen die Ergebnisse unserer Studie. Alle Details finden Sie hier.