Wie setzen Familienunternehmen in Deutschland künstliche Intelligenz (KI) ein und wie relevant ist für sie der EU AI Act? Darüber sprechen Dr. Andreas Liebl, Gründer der appliedAI Initiative, und Dr. Ladislava Klein, CMO und Bereichsvorständin für Familienunternehmen bei KPMG in Deutschland, im Interview. Andreas Liebl unterstützt Unternehmen bei der Einführung vertrauenswürdiger KI-Anwendungen. Dr. Ladislava Klein weiß, wie mittelständische Unternehmen KI-Projekte vorantreiben und welche Hürden noch zu überwinden sind. Im Mittelpunkt des Gesprächs steht das Thema künstliche Intelligenz und strategische Maßnahmen. Es geht darum, wie die Technologie wertschöpfend in Unternehmensprozesse integriert werden kann und wie Familienunternehmen durch Kooperationen Wettbewerbsvorteile erzielen können. Außerdem blicken Ladislava Klein und Andreas Liebl darauf, wie sich Firmen auf zukünftige Entwicklungen vorbereiten können.
Wie sind deutsche Unternehmen im Vergleich zu internationalen Firmen in Sachen künstlicher Intelligenz aufgestellt?
Andreas Liebl: Im Großen und Ganzen sind deutsche Unternehmen gut aufgestellt. Industrielle Unternehmen sind vergleichbar mit denen in den USA, abgesehen von den großen Technologieunternehmen und Start-ups. In Asien, besonders in China, sind viele Unternehmen schon weiter. Das liegt an massiven und strategischen Investitionen in den letzten Jahren, während Deutschland noch viel ausprobiert hat.
Ladislava, wie blicken denn Entscheider und Entscheiderinnen im deutschen Mittelstand auf das Thema KI?
Ladislava Klein: Mein Eindruck ist, dass viele Familienunternehmen sehr neugierig auf künstliche Intelligenz sind. Viele nutzen bereits seit langem KI für die Datensammlung. Beispielsweise sammeln Unternehmen im Bereich Wärme- oder Heizsysteme und bei der Herstellung intelligenter Achsen für Fahrzeuge Daten, die von KI analysiert werden, um Prozesse zu optimieren, Treibstoffverbrauch zu reduzieren oder Wartungszyklen vorherzusagen. Ein weiteres Beispiel sind digitale Zwillinge in der Medizin. Auch im Maschinenbau arbeiten viele Unternehmen in der Produktentwicklung mit digitalen Zwillingen und optimieren mithilfe von KI ihre Produkte und Anwendungen. Insgesamt ermöglicht diese Technologie, anhand von Echtzeitdaten Entscheidungen zu treffen und physische Objekte zu steuern. Meines Erachtens ist KI bereits in vielen Familienunternehmen angekommen, auch wenn sie noch nicht in vollem Umfang genutzt wird.
Woran hapert es noch und was sind die Gründe für die Probleme?
Ladislava Klein: Ich denke, es gibt zwei Gründe. Erstens geht es um die Datenbasis. Um KI sinnvoll anzuwenden, benötigt man qualitativ hochwertige Daten. Viele Familienunternehmen haben jedoch keinen detailliert aufbereiteten Datenbestand. Wenn nur wenige oder nur unstrukturierte Daten vorhanden sind, schränkt das die Anwendung von KI jedoch deutlich ein. Der zweite Punkt betrifft die Rahmenbedingungen für generative KI: Viele Familienunternehmen möchten generative KI einsetzen, aber in einer technologisch sicheren Umgebung. Dazu wird eine sichere Datenumgebung benötigt, in der das Unternehmen agieren kann. Auch daran fehlt es häufig.
Andreas Liebl: Ladislava, das, was du gesagt hast, ist ein wichtiger Aspekt. Das Ziel muss sein, einen Mehrwert mit KI zu schaffen. Es gleicht einem Marathonlauf: Man schafft es nicht, einen Marathon zu laufen, nur weil man die besten Laufschuhe hat. Man muss trainieren, die Kondition und Muskeln stärken, die Ernährung anpassen und sich mental vorbereiten. Übertragen auf KI-Anwendungen bedeutet das: Es reicht nicht, die beste KI zu haben. Man braucht eine solide Datengrundlage, kulturelles Verständnis und Akzeptanz in der Belegschaft, eine passende Organisations- und Governance-Struktur sowie eine geeignete Softwareumgebung. Auch das Top-Management muss ambitioniert sein und ein Use-Case-Portfolio haben.
Gibt es eine Branche, die ganz weit vorne ist?
Andreas Liebl: Die Fertigungsindustrie ist besonders in den Produktionsprozessen schon recht weit und generiert Mehrwert mit KI. In der Pharmabranche wird KI bereits intensiv in der Medikamentenforschung und -entwicklung eingesetzt. Im Marketing, in der Kommunikation, in der gesamten Kreativbranche und in Branchen wie Banken und Versicherungen, in denen die digitale Transformation schon fortgeschritten ist, spielen generative KI-Systeme eine wichtige Rolle. Der nächste große Schritt wird in der Softwareentwicklung erwartet. Ich gehe davon aus, dass wir dort in den nächsten Monaten Effizienzsteigerungen sehen werden. Die großen Tech-Konzerne sind bereits aktiv.
Andreas, mittelständische Unternehmen haben es oft schwerer, bei der Entwicklung von KI-Projekten mitzuhalten. Allianzen und Kooperationen bieten sich an. Mit wem können sich kleine und mittelständische Unternehmen zusammentun, um das Thema KI voranzutreiben?
Andreas Liebl: Es ist zunächst wichtig, den Begriff „kleine und mittelständische Unternehmen“ zu definieren. Unternehmen mit weniger als 200 bis 250 Millionen Euro Jahresumsatz tun sich oft schwerer. Bei Unternehmen mit Umsätzen von 250 Millionen bis in den niedrigen Milliardenbereich und schließlich bei Konzernen ist die Lage anders. Konzerne haben oft hunderte Personen, die sich mit KI beschäftigen. Kleinere Unternehmen mit Umsätzen zwischen 250 Millionen und ein bis zwei Milliarden Euro haben oft nur ein bis zwei Personen, die sich ernsthaft mit KI auseinandersetzen. Diese Unternehmen sollten Teams von mindestens drei bis vier Personen aufbauen und sich Partner suchen, die bei der Strategieentwicklung und Umsetzung helfen. Dazu gehören Technologiefirmen für Cloud-Infrastruktur, Start-ups für spezifische Anwendungen und größere Partner für Datentransformationen.
Ladislava Klein: Das spiegelt auch meine Gespräche mit Familienunternehmen wider. Der Mittelstand probiert noch aus. Viele Unternehmen haben noch keine Strukturen wie einen AI Hub oder ein dediziertes Team, das sich strukturiert mit KI beschäftigt. Ich empfehle jedem Mittelständler, sich nicht nur externe Hilfe zu holen, sondern auch einen strukturierten Prozess zu entwickeln, um Use Cases zu sammeln. Viele Unternehmen geben ihren Mitarbeitenden bereits die Möglichkeit, generative KI zu testen.
Andreas Liebl: Unternehmen brauchen Strukturen, die ihnen oft zu Beginn von einem Sparringspartner vermittelt werden. Dieser zeigt, wie eine Infrastruktur für KI-Nutzung aufgebaut wird und wie Use Cases gesammelt und bewertet werden. Mit entsprechender Hilfe können Unternehmen sehr viel schneller erfolgreich werden, anstatt sich alles selbst beizubringen.