Compliance: Ein leeres Fernsehstudio, im Vordergrund links eine TV-Kamera

So erreicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine moderne Compliance

Wie die Anstalten nach der „RBB-Affäre“ Compliance und Gremienaufsicht verbessern könnten.

2022 war ein unruhiges Jahr für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland. Im Sommer kamen in der „RBB-Affäre“ beim Rundfunk Berlin-Brandenburg um dessen damalige Intendantin und ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger Vorwürfe der Verschwendung, Vetternwirtschaft und der persönlichen Bereicherung auf. Für Schlesinger folgten in der Konsequenz Rücktritt und fristlose Entlassung sowie ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Berlin wegen des Verdachts der Untreue und Vorteilsnahme.

Neuer Medienänderungsstaatsvertrag entworfen

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hatte der Vorfall weitreichende Konsequenzen, zeigten doch die Vorgänge beim RBB den Reformbedarf der Governance auch in den weiteren Rundfunkanstalten. Die gesellschaftliche Empörung über die Angelegenheit war groß und Forderungen nach besserem Compliance Management wurden unüberhörbar.

Schnell wurde deutlich, dass die Rundfunkanstalten der ARD das Thema ernst nehmen und den Reformbedarf erkannt haben: Im November 2022 beschlossen die Intendanten einen Compliance-Leitfaden, der die Mindeststandards enthält, zu denen sich alle ARD-Anstalten bekennen. Zudem einigte sich die Rundfunkkommission der Länder auf einheitliche Regelungen zu Governance und Compliance für alle ARD-Anstalten, das ZDF und das Deutschlandradio.

Seit dem 16. März 2023 liegt nun der von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossene Entwurf des 4. Medienänderungsstaatsvertrags (MÄStV-E) vor, der zu mehr Transparenz, Compliance und einer besseren Gremienkontrolle führen soll. Dazu soll der Medienstaatsvertrag um die folgenden Paragrafen ergänzt werden:

  • 31a Transparenz
  • 31b Compliance
  • 31c Gemeinschaftseinrichtungen und Beteiligungsunternehmen
  • 31d Gremienaufsicht
  • 31e Interessenkollision

Bemerkenswert ist insbesondere in Paragraf 31b MÄStV-E die Pflicht der Rundfunkanstalten, „ein wirksames Compliance Management System nach anerkannten Standards“ einzurichten. Bemerkenswert insofern, dass nicht nur das Ob, sondern auch das Wie bestimmt ist.

Compliance Management Systeme nach anerkannten Standards

Wie ist diese klare Vorgabe umsetzbar? Inzwischen gibt es eine Vielzahl anerkannter Standards für Compliance Management Systeme, darunter beispielsweise ISO 37301 oder den am COSO-Rahmenwerk ausgerichteten Prüfungsstandard IDW PS 980 des Instituts der Wirtschaftsprüfer, an dem sich wegen seiner relativ einfachen Struktur viele Unternehmen in Deutschland ausgerichtet haben.

Der IDW PS 980 definiert dabei sieben Grundelemente als Orientierungsrahmen für den Aufbau eines wirksamen Compliance Management Systems und enthält gleichzeitig Vorgaben, wie ein solches System durch Wirtschaftsprüfer zu prüfen ist, um eine Aussage über die Angemessenheit und Wirksamkeit treffen zu können.

Die ISO 37301 ist seit 2021 als zertifizierbarer Standard veröffentlicht, die Vorgängernorm (ISO 19600) ist jedoch ebenfalls langjährig etabliert und auch im internationalen Kontext anerkannt. Die ISO 37301 verwendet eine standardisierte Aufbaustruktur („Harmonized Structure“), welche zukünftig allen ISO Management System Standards gemein sein soll. Dies ermöglicht eine einfache Implementierung innerhalb eines integrierten Management Systems. Die ISO 37301 ist für einen Zyklus von drei Jahren zertifizierbar. Hierbei sind jährliche Überwachungsaudits erforderlich, um die Zertifizierung aufrechtzuerhalten.

ARD-Leitfaden folgt dem IDW PS 980

Der oben erwähnte Compliance-Leitfaden der ARD vom November 2022 basiert auf dem IDW PS 980. Er definiert ein gemeinsames Verständnis sowie konkrete Anforderungen, welche die Compliance Management Systeme der ARD-Anstalten erfüllen sollen. Dabei stehen klar die aktuell diskutierten Verfehlungen beim RBB im Fokus, denn der Leitfaden stellt unter anderem die Themen Transparenz, Sparsamkeit, Vermeidung von Interessenkonflikten und Trennung von Beruflichem und Privatem gesondert heraus. Neben der klaren Ausrichtung am IDW PS 980 orientiert sich der Leitfaden ergänzend „auch an anderen Standards wie z.B. ISO 37301“.

Gremienaufsicht als weiterer Schwerpunkt

In der öffentlichen Aufarbeitung wurde insbesondere kritisiert, dass zumindest im RBB eine wirksame Aufsicht und Kontrolle gefehlt hätten und die Intendantin mehr oder weniger uneingeschränkt habe walten können. Eine solche Aufsicht ist im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorrangig Aufgabe des Verwaltungsrats. Daneben gibt es den Rundfunkrat, der primär die Erfüllung des Programmauftrags kontrollieren soll, im Falle des RBB aber auch wesentlich an der Aufklärung beteiligt ist.

Allerdings werden die Mitglieder des Rundfunkrates aus verschiedenen gesellschaftlich relevanten Gruppen (beispielsweise Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden und Vereinen) entsandt und verfügen somit nicht zwangsläufig über die erforderliche Vorbildung in Governance-Angelegenheiten. Deshalb ist es essenziell, die notwendige Befähigung sicherzustellen und entsprechende Schulungen zu gewährleisten. In Paragraf 31d der MÄStV-E ist festgelegt, dass den Gremien ausreichende Mittel zur Fort- und Weiterbildung zur Verfügung stehen.

Wie ernst gemeint sind die Bemühungen?

Es ist absehbar, dass nun Verbesserungen folgen, die im Durchschnitt den Reifegrad der Compliance im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erhöhen werden. Während einige Rundfunkanstalten bereits vor der RBB-Affäre ausgereifte Compliance Management Systeme hatten, müssen andere erst mit dem Aufbau und der Rekrutierung geeigneter Compliance-Beauftragter beginnen. Ein wichtiger erster Schritt, denn die Rundfunkkommission der Länder schreibt in Paragraf 31d MÄStV-E den ARD-Anstalten, dem ZDF und dem Deutschlandradio die Einrichtung eines wirksamen Compliance Management Systems „nach anerkannten Standards“ unmissverständlich vor.

Ob eine (Wirksamkeits-)Prüfung nach IDW PS 980 oder eine Zertifizierung nach ISO 37301 und damit eine unabhängige, objektive Bestätigung der Wirksamkeit geplant ist, lässt sich den bisherigen Veröffentlichungen leider jedoch nicht entnehmen.

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wäre es aber sinnvoll, nicht nur ein Compliance Management System zu implementieren, sondern es auch prüfen bzw. zertifizieren zu lassen – als Bestätigung, dass Paragraf 31b MÄStV-E erfüllt wird. Eine solche Bestätigung wäre ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit, dass die Bestrebungen der Anstalten, den Reifegrad der Compliance auf das erforderliche Niveau zu steigern, ernst gemeint sind.

Dies erfordert unbestritten große Anstrengungen und eine angemessene Ressourcenausstattung, die aber sinnvoll investiert wären, um das Vertrauen in die zu Zeiten der systematischen Desinformation so wichtige Einrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu stärken und zu belegen, dass die Änderungsbemühungen wirklich rückhaltlos unterstützt werden.