Teil 2 der Serie „Start-ups und Verwaltung Hand in Hand“. Im ersten Teil haben wir erläutert, wie Start-ups und Verwaltung voneinander profitieren können. In diesem Teil zeigen wir, dass das Vergaberecht dabei keine Hürde sein muss. Teil 3 nimmt die Rolle von Start-ups auf dem Weg zu smarten Städten in den Blick. Teil 4 behandelt die Rolle von Start-up-Einheiten in der öffentlichen Verwaltung.
Start-ups stehen für technologische Neuheiten und agiles Arbeiten. Deshalb erkennen auch immer mehr Organisationen des öffentlichen Sektors den Mehrwert einer Zusammenarbeit mit jungen Unternehmen und wollen bei Digitalisierungsprojekten vom Innovationsgeist der Gründerszene profitieren. Als größtes Hindernis für eine Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand wird vielfach das Vergaberecht benannt. Dies zeigt auch die Publikation des Instituts für den öffentlichen Sektor „Gegensätze ziehen sich an“, wonach die Mehrheit der befragten Start-ups die Dauer und Formalitäten im Ausschreibungsprozess als Hindernis betrachten.
Doch das Vergaberecht muss keine Hürde sein. Hier sind fünf vergaberechtliche Empfehlungen für öffentliche Auftraggeber zur Zusammenarbeit mit der Gründerszene:
1. Den Markt vor einer Ausschreibung kennenlernen
Markterkundung ist nicht verboten. Im Gegenteil: Vergabevorschriften lassen Markterkundungen ausdrücklich zu (§§ 28 VgV, 20 UVgO, 26 SektVO). So können öffentliche Auftraggeber vor einer Ausschreibung prüfen, ob Start-ups in einem bestimmten Markt aktiv sind. Die systematische Auswertung aktueller Trends und Entwicklungen und die Identifikation neuer Marktteilnehmer sind wichtige Voraussetzungen für ein marktorientiertes Vorgehen in der öffentlichen Beschaffung.
2. Ein Problem ausschreiben – mit funktionalen Leistungsbeschreibungen
Öffentliche Auftraggeber folgen häufig einer Fehlinterpretation des Gebots der „eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung“. Sie erstellen kleinteilige, aufwendige und komplexe konstruktive Leistungsbeschreibungen und erwarten vielfach detaillierte und umfangreiche Angebote. So werden einige am Markt verfügbare (und möglicherweise sogar deutlich wirtschaftlichere oder innovativere) Lösungen von vorneherein ausgeschlossen. Junge Unternehmen, die ihr Produkt schrittweise anhand von Kundenfeedbacks entwickeln, scheuen außerdem die Investition in umfangreiche Angebote. Das Vergaberecht eröffnet aber durchaus Möglichkeiten, lösungsoffen(er) auszuschreiben. Das Instrument der „funktionalen Leistungsbeschreibung“ sieht vor, dass der öffentliche Auftraggeber nicht jedes Detail beschreibt, sondern vor allem das mit der anzubietenden Lösung angestrebte Ziel.
3. Neue Partnerschaften initiieren
Vielfältig gestaltbare Rahmenvereinbarungsmodelle, gegebenenfalls auch in Form von dynamischen Beschaffungssystemen (§§ 21, 22 VgV, 15, 17 UVgO, 19, 20 SektVO), bieten Chancen für öffentliche Auftraggeber, Bedarfe zu bündeln und verschiedene Auftragnehmer, also auch Start-ups, einzubinden. Denkbar sind beispielsweise Rahmenvereinbarungen, die projektbezogen den kombinierten Einsatz verschiedener Auftragnehmer, zum Beispiel eines Start-ups und eines am Markt bereits etablierten Unternehmens, ermöglichen. Die „Innovationspartnerschaft“ bietet zudem ein flexibles Vertragsmodell, um bereits bestehende (oder zunächst nur initial entwickelte) Lösungen anzupassen oder weiterzuentwickeln, was ebenfalls eine Chance für die Zusammenarbeit mit Start-ups sein kann.
4. Passende Eignungs- und Zuschlagskriterien wählen
Umsatzzahlen, Referenzen der vergangenen drei Jahre, Berufserfahrung: Dies sind Eignungskriterien, die in öffentlichen Vergabeverfahren sehr oft herangezogen werden, an denen junge Unternehmen mit jungen Mitarbeitern aber oft scheitern. Im Umfeld von Start-ups müssen – vergaberechtlichen Grundsätzen folgend – keine Umsatz- und Mitarbeiterzahlen als (Mindest-) Eignungskriterien herangezogen werden, ebenso wenig wie Referenzen der letzten drei Jahre. Stattdessen sollten Ideen, Entwicklungs- und Umsetzungskompetenzen bzw. -ansätze als Eignungs- bzw. Zuschlagskriterien im Vordergrund stehen. Ein Angebot kann beispielsweise auch aus einem realisierten Prototyp bestehen, der als Lösung(sansatz) für ein ausgeschriebenes Problem dient.
5. Soweit möglich, mit den Bietern kommunizieren
Veröffentlichungen auf einschlägigen Vergabeplattformen reichen in der Regel nicht aus, um Start-ups zu erreichen. Sie könnten aber durch öffentliche Auftraggeber beispielsweise auf Social-Media-Plattformen verlinkt werden. In der Praxis ist bereits die Idee der Etablierung von Start-up-Beauftragten aufseiten öffentlicher Auftraggeber entstanden, um die Bedürfnisse der Unternehmen aus der Gründerszene bestmöglich zu berücksichtigen. Ebenso sind flexible und offene Informations- und Briefing-Termine schon heute in verschiedenen Vergabeverfahren wichtige Instrumente, um interessierten Bewerbern oder Bietern Verfahrensabläufe und Ausschreibungsinhalte zu vermitteln und einen reibungslosen Verfahrensablauf mit breitem Wettbewerb zu gewährleisten.