Deutschland steht an einem wirtschaftlichen Scheideweg. Der Kurs, den die neue Regierung nach den Koalitionsverhandlungen festlegt, wird maßgeblich dazu beitragen, Deutschland als Investitionsstandort attraktiv zu halten und wichtige Änderungen voranzutreiben. Eine Kernaufgabe, die eine neue Regierung anpacken sollte, ist die Entbürokratisierung. Aus meinen Gesprächen mit Führungskräften aus unterschiedlichen Unternehmen weiß ich, dass dies ein großes Thema ist. Viele Unternehmen haben oft nicht die personellen Kapazitäten, um sich mit den komplexen Regulierungen auseinanderzusetzen. Ein Handwerksbetrieb etwa muss jährlich hunderte von Arbeitsstunden für Dokumentationspflichten, Arbeitszeitaufzeichnungen und auch steuerliche Meldungen aufwenden. Start-ups müssen sich mit langen Genehmigungsprozessen auseinandersetzen, bevor sie am Markt aktiv werden können. Die Gründung eines Unternehmens dauert in Deutschland im Durchschnitt acht bis zehn Tage. Und in Estland zum Beispiel nur einige Stunden. Der Bürokratieabbau ist deswegen eines der zentralen Themen, die die neue Regierung vorantreiben sollte.
Darüber hinaus sehe ich drei weitere Schwerpunkte, die angegangen werden sollten, um Deutschland als Wirtschaftsstandort attraktiv zu halten: gezielte Investitionen, konsequente Digitalisierung und eine wirkungsvolle Strategie gegen den Fachkräftemangel.
Investitionen in Schlüsseltechnologien
Gezielte Investitionen in Zukunftstechnologien können den Wirtschaftsstandort stärken. Maschinenbau, Automobil- und Halbleiterindustrie sind Treiber des Erfolgs – sie verdienen mehr Fokus in öffentlichen Debatten und Förderprogrammen. Doch auch Mittelstand und Start-ups brauchen leichteren Zugang zu Venture Capital. Die öffentliche Hand kann als Impulsgeber fungieren: durch Abnahmequoten für nachhaltige Technologien, eine umfassende Umstellung öffentlicher Fahrzeugflotten auf E-Mobilität oder gezielte Investitionen in die Chip-Industrie.
Bürokratieabbau als Standortvorteil
Bürokratie ist notwendig – aber nicht in der jetzigen Form. Viele Prozesse sind kompliziert, langsam und kosten wertvolle Zeit und Geld. Das ifo-Institut berechnet, dass durch Bürokratieaufwand in Deutschland jährlich 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung verloren gehen. Und eine Befragung für unsere Studie Business Destination Germany 2024 zeigt, dass „überbordende Bürokratie“ das größte Hemmnis für ausländische Investoren ist. Um 27,1 Milliarden Euro hat sich laut Normenkontrollrat der laufende Erfüllungsaufwand für Wirtschaft, Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger seit 2011 erhöht. Aus meiner Sicht gibt es in Deutschland noch enormes Potenzial, schneller und schlanker zu werden. Besonders bei wirtschaftlich relevanten Projekten sind praxistaugliche Genehmigungsverfahren gefragt. Wenn ausgeschlossen ist, dass Menschen oder Umwelt Schaden nehmen, sollten Prozesse einfacher und dynamischer gestaltet werden. Deutschland sollte Genehmigungen effizienter gestalten, um Projekte schneller umsetzen zu können und es sollte die Möglichkeit geben, Projekte in geschützten Bereichen vorab zu testen. Unternehmen profitieren von klareren Strukturen und einer Verwaltung, die als Partner agiert, nicht als Hindernis. Der Bürokratieabbau und schnellere Genehmigungsverfahren sind aus meiner Sicht ein Schlüssel, um Deutschland auch für ausländische Unternehmen und Investoren attraktiver zu machen.
Digitalisierung vorantreiben
Vieles ist noch analog, wo es digital sein könnte. Verwaltungsleistungen ziehen sich, weil Daten immer wieder neu angegeben werden müssen. Der Bund kann oft nicht auf Daten von Kommunen zugreifen, andersherum ebenso. Außerdem gibt es oft unterschiedliche Systeme, mit denen gearbeitet wird und die ein kohärentes Datenmanagement erschweren. Dabei wäre eine effiziente Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ein echter Wettbewerbsvorteil. Ein einheitliches Bürgerkonto, das Behördengänge bündelt, könnte vieles erleichtern. Auch Anreize für Kommunen, Bundeslösungen zu nutzen, würden helfen. In der Wirtschaft könnte ein Digitalisierungsbonus für Unternehmen, die ihre Prozesse effizient umstellen, Innovationen weiter vorantreiben. Eine neue Regierung sollte auch Digital-Verbände ins Boot holen und Fördertöpfe schaffen, mit denen Digitalisierungsprojekte finanziert werden können.
Fachkräftemangel gezielt angehen
Ohne Fachkräfte kein Fortschritt. Unternehmen brauchen gut ausgebildete Talente – jetzt und in Zukunft. Deshalb ist eine beschleunigte Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse essenziell. Aber es geht um mehr: Bildung und Weiterbildung sollten sich an den Bedarfen der nächsten Jahrzehnte orientieren. Welche Berufe sind 2040 entscheidend? Welche Technologien werden dominieren? Darauf sollte das Bildungssystem schon heute reagieren. Auch der Einsatz von Automatisierung und KI kann gezielt dabei helfen, den Fachkräftemangel abzufedern.