Wenn der Umzug im Familienunternehmen zur Steuerfalle wird

Wegzug und Reform des Stiftungsrechts: Was Familienunternehmen wissen sollten

Ins Ausland umziehen? Was in der Regel eine private Entscheidung im persönlichen Lebensbereich ist, kann als Familienunternehmer:in bzw. Mitglied der Inhaberfamilie unerwünschte steuerliche Folgen haben. Diese können sich auch auf das Unternehmen selbst auswirken. Über die seit Anfang 2022 geltenden Regelungen sowie Möglichkeiten einer Übertragung auf eine Stiftung haben wir mit Sabine Gronbach, Partnerin, Tax, und Mark Uwe Pawlytta, Partner, Leiter Nachfolge- und Stiftungsrecht bei KPMG Law, gesprochen.

 

Der Umzug ins Ausland ist eine Entscheidung im persönlichen Lebensbereich. Frau Gronbach, warum ist dieser Schritt – für Familienunternehmer:innen – ein sensibles Thema, nicht zuletzt für das Unternehmen?

Sabine Gronbach: Menschen werden zunehmend mobiler und internationaler. Das Steuerrecht ist dagegen nach wie vor territorial orientiert: Wer in Deutschland lebt, ist hier steuerverhaftet, und der Fiskus lässt im Grunde niemanden wegziehen, ohne sich das Besteuerungsrecht zu sichern. Vermögensinhaber sind somit – sobald sie sich entscheiden, temporär oder dauerhaft Deutschland zu verlassen – gefordert, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Anderenfalls können unerwünschte Wegzugsmechanismen im deutschen Steuerrecht die Liquidität eines Unternehmens in hohem Maße belasten – gerade, wenn stille Reserven in langfristig orientiertem Vermögen bestehen.

Was passiert bei einem solchen Weg- bzw. Umzug aus steuerlicher Sicht?

Sabine Gronbach: Der deutsche Fiskus behandelt den Sachverhalt so, als würde der Vermögensinhaber zum Zeitpunkt des Wegzugs das Unternehmen bzw. die Unternehmensanteile veräußern, und der fiktive Veräußerungsgewinn wird dann besteuert. Tatsächlich hat sich abgesehen vom Wohnort aber nichts verändert, die Anteile gehören der Person genauso wie vor dem Wegzug. Er oder sie hat also keine zusätzliche Liquidität, mit der die Steuern gegebenenfalls bezahlt werden könnten – anders, als wenn die Anteile wirklich veräußert würden. Die Regelung führt somit zu einer Belastung für den Vermögensinhaber und in der Regel auch für das Familienunternehmen, zumal in Anbetracht der meist hohen Vermögenswerte die Steuerschuld entsprechend hoch ausfällt.

Dieses Problem ist aber nicht neu, oder?

Sabine Gronbach: Die Regelung gibt es grundsätzlich schon sehr lange. Jedoch wurden die Vorschriften zum 1. Januar 2022 erheblich verschärft für die Fälle, in denen der Wegzug innerhalb der Europäischen Union erfolgt. Auch hier wurde schon vor 2022 die Besteuerung ausgelöst, in den meisten Konstellationen aber dauerhaft gestundet. Diese Stundung ist seit Anfang 2022 entfallen. Das heißt: Die Steuer muss – sei es auch in Raten – definitiv gezahlt werden, auch wenn man zum Beispiel lediglich von München nach Salzburg oder von Offenburg nach Straßburg umzieht – also auf Distanzen, die kürzer sind als von München nach Hamburg oder Frankfurt.

Warum wurde die Regelung verschärft?

Sabine Gronbach: Die Änderung ist Teil des Gesetzes, das in Deutschland die europäische Anti-Steuervermeidungsrichtlinie der EU (ATAD) umsetzt. Allerdings ist der deutsche Gesetzgeber teils über das Ziel hinausgeschossen und hat auf nationaler Ebene mehr umgesetzt, als die EU vorgegeben hatte. Diese Regelungen beziehen sich im Übrigen nicht nur auf einen dauerhaften Wegzug ins Ausland. Bei Familienunternehmen wird die nachfolgende Generation oftmals früh am Unternehmen beteiligt. Das kann beispielsweise die 18-jährige Tochter sein, die dann mit 19 zum Studium ins Ausland geht. Solche Fälle gilt es zu betrachten.

Gibt es Möglichkeiten, sich abzusichern, wenn man plant, seinen privaten Sitz ins Ausland zu verlegen?

Sabine Gronbach: Ein temporärer Umzug wie im Fall der jungen Studentin lässt sich über eine Vorabstimmung und entsprechende Anzeige bei der Finanzverwaltung von der Besteuerung ausnehmen. Dann gibt es die Möglichkeit, die Reform und Organisation des Unternehmens entsprechend zu strukturieren. Als Ultima Ratio kann man das Vermögen dauerhaft wegzugsfest machen, indem man es ganz oder teilweise in eine Familienstiftung überträgt. Wir sehen bei unseren Kunden eine zunehmende Nachfrage nach Überführungen an Rechtsträger, die eine gewisse Ewigkeitsgarantie haben, insbesondere Stiftungen.

Herr Pawlytta, Sie beraten Unternehmerinnen und Unternehmer in Nachfolge und Gesellschaftsstrukturen. Worin liegt die grundsätzliche Attraktivität einer Stiftung?

Mark Uwe Pawlytta: Eine Stiftung kann helfen, zukünftig wiederkehrende Anteilsübergänge zu vermeiden. Auf längere Sicht können dadurch auch Liquiditätsrisiken wie z. B. Pflichtteilsansprüche reduziert und später ganz vermieden werden. Das verringert Streit in Erbengemeinschaften. Die Übertragung an eine Stiftung erhöht außerdem die Planbarkeit und schützt vor Überraschungen: Da Stiftungen keine Gesellschafter und Anteilsinhaber haben, besteht nicht die Gefahr, dass überraschend und plötzlich Dritte mit am Tisch sitzen.

Kann nicht auch Streit unter den Erben um die Mitgliedschaft im Stiftungsvorstand entstehen?

Mark Uwe Pawlytta: Man muss natürlich darauf achten, dass man einen Konflikt nicht durch einen anderen ersetzt. Wenn man sich streiten will, wird man immer Streit finden können – das lässt sich auch mit einer Stiftung nicht völlig ausschließen. Auch hier kann es zu Streit um die Besetzung des Vorstands, des Stiftungsbeirats oder des Kuratoriums kommen. Aber zum einen lässt sich das mit klaren Kriterien und Regelungen so weit wie möglich vermeiden, und zum anderen kann ein Streit über Anteilsübergänge wesentlich schlimmere Auswirkungen haben, z. B. wenn Gesellschafterversammlungen blockiert werden und der operative Betrieb des Unternehmens bis hinein in Tochtergesellschaften gelähmt wird.

Allerdings gibt man mit der Übertragung an die Stiftung sein Vermögen aus der Hand.

Mark Uwe Pawlytta: Das ist richtig. Nach der Übertragung gehört das Vermögen der Stiftung, die Familie hat sich insoweit enteignet. Der Gedanke an eine Enteignung löst bei manchen Unternehmerfamilien etwas Unbehagen aus. Aber es ist wichtig zu wissen: Wenn die Familie im Stiftungsvorstand und in anderen Stiftungsgremien Einfluss hat, kann sie weiterhin über das Schicksal des Vermögens in der Stiftung entscheiden. Sie ist zudem bei einer Familienstiftung die Stiftungsbegünstigte. Die Familie erhält also Vermögenszuwendungen aus der Stiftung und nutzt so weiterhin das Stiftungsvermögen.

Sabine Gronbach: Aus der Beratung wissen wir, dass es vielen nicht wichtig ist, die Anteile selbst zu halten. Familienunternehmern geht es vielmehr darum, langfristig die Geschicke des Unternehmens so unmittelbar wie möglich selbst lenken und beeinflussen zu können. Die Struktur lässt sich so gestalten, dass die direkte operative Einflussmöglichkeit auch nach einer Übertragung aller Anteile oder der wesentlichen Anteile an die Stiftung erhalten bleibt.

In Zukunft werden Stiftungen noch attraktiver: Am 1. Juli 2023 tritt die Reform des Stiftungsrechts in Kraft. Was bringt sie?

Mark Uwe Pawlytta: Durch die Reform wird das sehr strenge deutsche Stiftungsrecht zukünftig flexibler. Aus dem Ewigkeitscharakter einer Stiftung folgte bislang, dass die Satzung ab dem Zeitpunkt der Stiftungserrichtung im Grunde nicht mehr geändert werden darf. Deshalb gilt selbst bei Stiftungen aus dem 17. Jahrhundert nach wie vor, was der Stifter damals angeordnet hat oder vor vielen Jahren in die Satzung geschrieben hat. Diese Regelung ist nicht mehr zeitgemäß, da viele Stiftungen auf gesellschaftliche Veränderungen nur schwerfällig reagieren können, obwohl häufig angenommen werden kann, dass die gewünschte, aber rechtlich unzulässige Satzungsänderung auch im Sinne des Stifters wäre. Daher wurden seit Langem gewisse Aufweichungen im Stiftungsrecht gefordert. Dies hat der Gesetzgeber jetzt teilweise aufgegriffen und umgesetzt.

Was konkret wurde geändert?

Mark Uwe Pawlytta: Stifter können künftig in der Stiftungssatzung Möglichkeiten für spätere Änderungen der Stiftungsstruktur schaffen. Sie dürfen in einer Erklärung wichtige Punkte festlegen, die später von der Stiftung zu beachten sind, und auch bestimmen, bei welchen Aspekten sie mögliche Änderungen durch die nächsten Generationen zulassen – vielleicht auch erst in 100 Jahren oder später. Das ist für mich, neben sehr viel Technik, die eigentliche große Reformidee.

Außerdem bringt das neue Stiftungsrecht Verbesserungen für das Stiftungsvermögen, etwa bei der Frage der Umschichtungsgewinne, und beseitigt manche Streitfragen des Stiftungsrechts. Das wird die Stiftungspraxis zukünftig erleichtern, gerade auch für unternehmensbezogene Stiftungen. So wird das gesamte Stiftungsrecht, das heute noch im BGB und in 16 verschiedenen Gesetzen der Bundesländer geregelt ist, zukünftig im BGB vereinheitlicht. Wir hätten uns zwar größere Reformschritte und noch mehr Mut des Gesetzgebers gewünscht, aber ich bin froh, dass es immerhin diese Reform gibt.

Gelten die neuen Regelungen nur für neue Stiftungen?

Mark Uwe Pawlytta: Nein. Der Gesetzgeber möchte, dass auch schon existierende Stiftungen ihre Satzungen an das neue Recht anpassen dürfen – also selbst dann, wenn deren Stiftungssatzung eine solche Veränderung nicht vorsieht. Bislang hätten solche Altstiftungen nur in einem ganz seltenen Extremfall die Satzung ändern dürfen. Altstiftungen müssen aber aufpassen: Ab dem 1. Juli 2023 gilt das neue Recht, so dass unklar ist, ob bei Widersprüchen zwischen Gesetz und Stiftungssatzung sich das Gesetz durchsetzt, was nicht immer gewollt sein wird. Außerdem werden Stiftungsvorstände verunsichert, da sie eigentlich auf die Einhaltung der Satzung achten müssen und sich mit Inkrafttreten der Reform fragen werden, was nun gilt. Die Stiftungsaufsichtsbehörden senden bislang ganz unterschiedliche Signale aus. Deshalb rate ich dazu, nicht lange zu warten, sondern bald zu prüfen, ob die Stiftungssatzung geändert werden sollte.